Es nieselt auf die Flüchtlingsunterkunft in Tiengen. Die Tropfen lassen die weißen Container in der Badstraße glänzen. Die Metallzimmer bieten nicht viel, aber sie schützen vor der dem Wetter. Weiß ist die vorherrschende Farbe des Areals: Nicht nur die Container, auch die Gänge, die Wände und die Beleuchtung sind weiß. Selbst die Sonne hinter den Wolken leuchtet als weißer Kreis auf die Container. Auf der Kiesfläche abgesetzt, wirken sie wie eine Zwischenlösung.

Die weißen Container in der Tiengener Badstraße bieten Geflüchteten einen Zufluchtsort.
Die weißen Container in der Tiengener Badstraße bieten Geflüchteten einen Zufluchtsort. | Bild: Rasmus Peters

Uniforme Behausung in Containern

Sie besteht aus Containern mit Fahrädern, Containern mit Waschmaschinen, Containern mit Küchen, Containern mit Spülbecken, Containern mit Wohnungen. Die weißen Quader beherbergen derzeit 335 Menschen. Jedes Zimmer ist etwa sechs Meter lang und 2,45 Meter breit. Es sind uniforme Behausungen, für die unterschiedlichsten Biographien.

Die Container-Zimmer sind etwa sechs Meter lang und 2,45 Meter breit. Da wird der Platz wie hier bei Salome Bukir mit ihren zwei Kindern ...
Die Container-Zimmer sind etwa sechs Meter lang und 2,45 Meter breit. Da wird der Platz wie hier bei Salome Bukir mit ihren zwei Kindern schnell eng. | Bild: Rasmus Peters

Die meisten Bewohner kommen aus der Türkei, auch aus kurdischen Gebieten, Russland, Tschetschenien, Syrien und Georgien. Es gibt kaum private Gegenstände. Im Zimmer von Salome Bukir aus Georgien steht alles dicht an dicht: Bett, Beistellbett, Spinde und ein Schreibtisch. Nur eine Marien-Ikone erinnert an ihre Heimat.

Salome Bukir lebt im Asylheim in der Badstraße. Im Mai brachte sie Zwillinge zur Welt.
Salome Bukir lebt im Asylheim in der Badstraße. Im Mai brachte sie Zwillinge zur Welt. | Bild: Rasmus Peters

Vor fünf Monaten brachte die 35-Jährige Zwillinge zur Welt: Anissia und Alexandre. Mit ihnen teilt sie das Zimmer. Auf die Frage, warum sie nach Deutschland kam, entgegnet sie, sie habe viele Gründe. Wenig später zeigt sie ihr Handydisplay. In der Übersetzungs-App steht der Satz: „Weil es Frauenrechte gibt.“

Die Kommunikation ist unter den Geflüchteten und dem Sozialen Dienst, wenn sie nicht die gleiche Sprache sprechen, oft nur ...
Die Kommunikation ist unter den Geflüchteten und dem Sozialen Dienst, wenn sie nicht die gleiche Sprache sprechen, oft nur bruchstückhaft oder mit Hand und Fuß möglich. Ein Hilfsmittel sind Übersetzungs-Apps. | Bild: Rasmus Peters

„My home kaputt, gehe Deutschland“

Im Flur ist es warm, sehr warm. Wegen der Babys heißt es. Viele Bewohner verschwinden, als sie die Kamera sehen, ziehen sich zurück in ihren weißen Kokon. Auch die Kinder. Handan trägt einen von Bukirs Zwillingen auf dem Arm. Sie lacht viel. „My home kaputt, gehe Deutschland“, sagt die 24-Jährige. Das Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet zerstörte ihr Zuhause. Ob ihre Familie noch lebt, bleibt unklar.

So lebt Handan auf 13 Quadratmetern in der Containersiedlung in Tiengen. Video: Peters, Rasmus

In Tiengen wohnt sie mit ihrem Partner auf knapp 14 Quadratmetern. Sie will Deutsch lernen, sagt sie. Auf ihrem Bett liegen die Lernunterlagen schon bereit. Die Hefte gehören ihrer Freundin Rozerin. Mit ihr kann sie Türkisch sprechen.

Handan (links) und Rozerin (rechts) zusammen mit Heimleiter Rami Georg Johann.
Handan (links) und Rozerin (rechts) zusammen mit Heimleiter Rami Georg Johann. | Bild: Rasmus Peters

Türkische Wortflut, englische Fragmente

Als sich Handan und Rozerin auf dem Gang begegnen, tuscheln sie und kichern. Die türkische Wortflut, durchsetzt von ein paar Englisch-Fragmenten, wenn sie andere in ihren Reigen aufnehmen wollen, und die bunten Spielsachen erzeugen eine freundliche Atmosphäre. Ein verzerrtes Bild. Nichts erinnert an die Schicksale, die dazu führten, dass Menschen Zuflucht in weißen Containern suchen.

Spielzeug, Kinderwagen und Haus-Schlappen erweitern die sonst weiße Farbpalette der Flüchtlingsunterkunft.
Spielzeug, Kinderwagen und Haus-Schlappen erweitern die sonst weiße Farbpalette der Flüchtlingsunterkunft. | Bild: Rasmus Peters

Regen und Mokka

Jetzt, im Nieselregen, kehren Einzelne zurück in ihre weißen Zimmer. Eine Familie scheint der Regen nicht zu stören. Sie sitzen draußen an einem Picknick-Tisch. Die Erwachsenen trinken Mokka, die Kinder spielen. Trotzdem umgibt die Container eine melancholische Stille.

Mokka trinken im Regen. Die Formen des Kaffeesatzes verraten ihre Zukunft, erklären die Bewohner der Container-Siedlung. Dabei müssen ...
Mokka trinken im Regen. Die Formen des Kaffeesatzes verraten ihre Zukunft, erklären die Bewohner der Container-Siedlung. Dabei müssen sie schmunzeln. Die Kinder spielen, ihre Mütter habe gerade Kaffee getrunken. Aus dem Satz hätten sie ihre Zukunft lesen können, scherzen sie. | Bild: Rasmus Peters

Im Aufenthaltsraum ist niemand. Eine Frau, vielleicht 40, schneidet in der Küche ein Stück Fleisch aus der Verpackung. Ihre Tochter verfolgt daneben auf dem Handy eine Kindersendung. Beide schweigen. Fotografieren lassen wollen sie sich nicht. Währenddessen rumpeln im Waschraum die Maschinen. Fast alle laufen. „Für die Kinder“, wie mehrsprachige Hinweisschilder deutlich machen. Vereinzelt piepsen die Geräte. Sie haben ihre Arbeit verrichtet.

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Oussama Ougab und Youssef Maslouhi sind zwei von acht Sicherheitskräften in der Badstraße. In Schichtarbeit wird die Container-Anlage rund um die Uhr überwacht. | Bild: Rasmus Peters

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Rami Georg Johann ist Heimleiter der Gemeinschaftsunterkunft in der Tiengener Badstraße. Vor über 20 Jahren kam er selbst als Geflüchteter aus dem Irak nach Deutschland. | Bild: Rasmus Peters

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Ein Kind in der Flüchtlingsunterkunft in der Badstraße spielt im Gang mit einer Weltkugel. | Bild: Rasmus Peters

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