Es nieselt auf die Flüchtlingsunterkunft in Tiengen. Die Tropfen lassen die weißen Container in der Badstraße glänzen. Die Metallzimmer bieten nicht viel, aber sie schützen vor der dem Wetter. Weiß ist die vorherrschende Farbe des Areals: Nicht nur die Container, auch die Gänge, die Wände und die Beleuchtung sind weiß. Selbst die Sonne hinter den Wolken leuchtet als weißer Kreis auf die Container. Auf der Kiesfläche abgesetzt, wirken sie wie eine Zwischenlösung.

Uniforme Behausung in Containern
Sie besteht aus Containern mit Fahrädern, Containern mit Waschmaschinen, Containern mit Küchen, Containern mit Spülbecken, Containern mit Wohnungen. Die weißen Quader beherbergen derzeit 335 Menschen. Jedes Zimmer ist etwa sechs Meter lang und 2,45 Meter breit. Es sind uniforme Behausungen, für die unterschiedlichsten Biographien.

Die meisten Bewohner kommen aus der Türkei, auch aus kurdischen Gebieten, Russland, Tschetschenien, Syrien und Georgien. Es gibt kaum private Gegenstände. Im Zimmer von Salome Bukir aus Georgien steht alles dicht an dicht: Bett, Beistellbett, Spinde und ein Schreibtisch. Nur eine Marien-Ikone erinnert an ihre Heimat.

Vor fünf Monaten brachte die 35-Jährige Zwillinge zur Welt: Anissia und Alexandre. Mit ihnen teilt sie das Zimmer. Auf die Frage, warum sie nach Deutschland kam, entgegnet sie, sie habe viele Gründe. Wenig später zeigt sie ihr Handydisplay. In der Übersetzungs-App steht der Satz: „Weil es Frauenrechte gibt.“

„My home kaputt, gehe Deutschland“
Im Flur ist es warm, sehr warm. Wegen der Babys heißt es. Viele Bewohner verschwinden, als sie die Kamera sehen, ziehen sich zurück in ihren weißen Kokon. Auch die Kinder. Handan trägt einen von Bukirs Zwillingen auf dem Arm. Sie lacht viel. „My home kaputt, gehe Deutschland“, sagt die 24-Jährige. Das Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet zerstörte ihr Zuhause. Ob ihre Familie noch lebt, bleibt unklar.
In Tiengen wohnt sie mit ihrem Partner auf knapp 14 Quadratmetern. Sie will Deutsch lernen, sagt sie. Auf ihrem Bett liegen die Lernunterlagen schon bereit. Die Hefte gehören ihrer Freundin Rozerin. Mit ihr kann sie Türkisch sprechen.

Türkische Wortflut, englische Fragmente
Als sich Handan und Rozerin auf dem Gang begegnen, tuscheln sie und kichern. Die türkische Wortflut, durchsetzt von ein paar Englisch-Fragmenten, wenn sie andere in ihren Reigen aufnehmen wollen, und die bunten Spielsachen erzeugen eine freundliche Atmosphäre. Ein verzerrtes Bild. Nichts erinnert an die Schicksale, die dazu führten, dass Menschen Zuflucht in weißen Containern suchen.

Regen und Mokka
Jetzt, im Nieselregen, kehren Einzelne zurück in ihre weißen Zimmer. Eine Familie scheint der Regen nicht zu stören. Sie sitzen draußen an einem Picknick-Tisch. Die Erwachsenen trinken Mokka, die Kinder spielen. Trotzdem umgibt die Container eine melancholische Stille.

Im Aufenthaltsraum ist niemand. Eine Frau, vielleicht 40, schneidet in der Küche ein Stück Fleisch aus der Verpackung. Ihre Tochter verfolgt daneben auf dem Handy eine Kindersendung. Beide schweigen. Fotografieren lassen wollen sie sich nicht. Währenddessen rumpeln im Waschraum die Maschinen. Fast alle laufen. „Für die Kinder“, wie mehrsprachige Hinweisschilder deutlich machen. Vereinzelt piepsen die Geräte. Sie haben ihre Arbeit verrichtet.
24 Stunden Sicherheitsüberwachung
Gegenüber des Waschmaschinen-Containers sitzen Oussama Ougab und Youssef Maslouhi im Security-Container. Sie sind zwei von acht Sicherheitskräften vor Ort. 24 Stunden seien zwei vor Ort, sagt Ougab. Ob es schon Probleme gab, dazu dürfe er leider nichts sagen. Angriffe von außen habe es noch keine gegeben sagt

Menschen wollen nicht nur leben
Neben den Containern stehen die Verwaltungsgebäude des Landratsamtes für das Asylheim. Es sind richtige Häuser. Sie wirken weniger provisorisch. Hier arbeitet Heimleiter

„Später“, sagt Heimleiter Rami Georg Johann, dann nochmal auf russisch: „позже“ und schließt die Tür. Heute kommen die Schecks von der Sozialhilfe, sagt der Heimleiter. Deshalb stünden die Bewohner Schlange. Nur Geld zu bekommen, reiche den wenigsten. „Viele wollen arbeiten, Steuern zahlen, sie wollen nicht nur leben“, erklärt Rami Johann.
Das Spielen mit der Welt
Er kam 2002 aus dem Irak. Sein Vater und seine Familie waren Hussein-Kritiker. So wurde er notgedrungen selbst zum Flüchtling, erzählt er. In seinen Worten: „Ich bin wegen der Weltpolitik nach Deutschland gekommen.“ Er meint, wenn die Großmächte um Gebiete kämpfen, gibt es Flüchtlinge. Ein paar wenige landen dann bei ihm.

Im Flur tritt ein Kind gegen einen Ball. Es ist höchstens zwei Jahre alt. Glucksend rennt es der Kugel hinterher. Es ist ein Globus. Es spielt mit der Welt. Von der Weltpolitik, weiß es noch nichts.