Frau Albiez-Neuhold, viele Menschen beschäftigen sich in ihrer Freizeit mit den angenehmen Dingen des Lebens. Was bringt Leute dazu, sich in der ehrenamtlichen Hospizarbeit zu engagieren?
Häufig sind unsere Ehrenamtlichen Menschen in der Lebensmitte oder Rentner, die etwas Sinnvolles tun möchten. Nicht selten haben sie als Pflegekräfte gearbeitet. Aufgrund des hohen Arbeitsdrucks blieb ihnen dabei aber zu wenig Zeit, um sich um den Einzelnen zu kümmern. Das möchten sie im Ruhestand nachholen. Es sind aber auch sehr oft Leute, die am eigenen Leib erfahren haben, wie gut die Unterstützung durch ehrenamtliche Hospizmitarbeiter tun kann.
Was muss man sich als Laie denn unter ehrenamtlicher Hospizarbeit vorstellen?
Wir bieten, wenn wir angefordert werden, Hilfe und Unterstützung für alle diejenigen, die am Sterbeprozess eines Menschen unmittelbar beteiligt sind. Das gilt natürlich für den Betroffenen, aber auch für seine Angehörigen. Die Arbeit sieht sehr unterschiedlich aus, denn kein Fall gleicht dem anderen.

Jedes Mal ist, ein neuer Anlauf nötig, und ein Patentrezept gibt es nicht. Vieles hängt von der Verfassung der Person ab, die man begleitet. Manchmal können wir sogar noch Spazieren gehen oder Veranstaltungen besuchen. Oft sitzen wir aber am Bett, reden, lesen vor oder hören zu.
Über welche Themen spricht man mit einem Sterbenden?
Keine Sorge, man muss mit Todkranken nicht nur übers Sterben oder den Tod reden. Ein Mensch ist so lange da, bis er seinen letzten Atemzug getan hat. So lange interessiert er sich für Hobbys, Tagesgeschehen und Geschichten. Aber in der Situation, in der wir Koordinatoren oder unsere ehrenamtlichen Helfer ins Spiel kommen, geht es oft ums Eingemachte. Oft kommen dabei auch Dinge zur Sprache, die man vor der Familie nicht ansprechen möchte.
Zum Beispiel?
Wir erleben es sehr oft, dass gerade sehr alte Menschen auch nach Jahrzehnten noch sehr unter Kriegserlebnissen leiden. Es geht aber auch um existenzielle Fragen wie das eigene Verhältnis zu anderen Menschen, zur Familie, zu Kirche oder zum Glauben im Allgemeinen, aber auch um Ängste vor dem Sterben.
Es gibt aber auch alltägliche Probleme, die die Betroffenen ihren Angehörigen gegenüber nicht thematisieren möchten, obwohl sie darunter leiden. Die ehrenamtlichen Mitarbeiter haben eine neutrale Position. Das ermöglicht ihnen auch zu vermitteln oder Dinge anzustoßen. Oft geht es aber einfach um Ablenkung oder Entlastung für alle Beteiligten.
Wie sieht die Unterstützung für Angehörige aus?
Wenn ein nahestehender Mensch schwer erkrankt und sich auf den letzten Wegabschnitt des Lebens begibt, geraten Angehörige oft in eine Art Hamsterrad. Es gibt viel zu tun, zu organisieren, zu klären. Anträge müssen ausgefüllt werden, der Angehörige muss gepflegt werden, man möchte, dass es der es möglichst schön hat, sorgt für Unterhaltung und Abwechslung.
Oft verlieren Angehörige dabei den Blick auf den Todkranken, auf dessen tatsächliche Bedürfnisse, aber auch auf sich selbst. Ehrenamtliche kommen an dieser Stelle ins Spiel, um Angehörigen auch mal Gelegenheit zum Durchatmen zu geben. Wir bieten Zeit und Rückhalt, wir sagen aber auch, wann Fürsorge Grenzen hat.
Wie gelangt man an ehrenamtliche Unterstützung bei der Betreuung eines schwerkranken Menschen?
Interessanterweise kommen von sich aus wenige Menschen auf die Idee, sich Unterstützung zu holen. Der Kontakt zu uns kommt in der Regel über Ärzte oder ambulante Pflegedienste wie die Sozialstation und neuerdings das SAPV zustande. Im Kreis gibt es vier hauptamtliche Koordinatorinnen, den die Familie als erstes besuchen und dann einen passenden Hospizmitarbeiter vermitteln.
Was kostet die Inanspruchnahme Ihrer Dienste?
Das ist für Betroffene Kostenlos. Es wird von der Krankenkasse unterstützt, und zwar ohne zeitliche Begrenzung.
Wie viele Ehrenamtliche engagieren sich im Landkreis in der Hospizarbeit?
Derzeit sind es 55. Wir sind aber immer auf der Suche nach neuen Mitarbeitern, denn um unsere Dienste anbieten zu können, braucht es eine gewisse Personalstärke. Im Durchschnitt kümmert sich ein Ehrenamtlicher um ein bis zwei Menschen. Und wir wollen die Helfer nicht ausbrennen. Zum Teil sind die Schicksale auch sehr belastend.
Was sind denn die Härtefälle in der ehrenamtlichen Hospizarbeit?
Wenn man junge Menschen begleiten muss, kann das sehr anstrengend und emotional sein. Belastend sind auch nicht selten die Fälle von Menschen, die niemanden haben und praktisch unbemerkt am Rande der Gesellschaft leben. Solche Fälle beschäftigen einen auch im Nachgang noch sehr.
Wie wird Helfern bei der Bewältigung besonders schlimmer Fälle geholfen?
Es gibt einerseits Supervisionen für Ehrenamtliche, ebenso Gesprächsangebote und monatliche Gruppentreffen.
Tod und Sterben – eigentlich sind das ja Themen, die in unserer Gesellschaft gerne ausgeblendet werden. Hat die Erfahrung der Corona-Pandemie Ihrer Beobachtung nach etwas daran geändert?
Ich glaube, eine Pandemie allein reicht nicht, um einen generellen gesellschaftlichen Wandel herbeizuführen. Aber man hat trotzdem den Eindruck, dass sich viele trauen, offener darüber zu reden als früher. Das ist eine sehr wichtige Entwicklung.