Herr Renner, die Novartis-Mitarbeiter, die in den vergangenen Monaten die Nachrichten verfolgt haben, erlebten ein Wechselbad der Gefühle. Zuerst die Entscheidung im Werk Stein eine Anlage für eine Gentherapie gegen Blutkrebs zu installieren, damit verbunden die Hoffnung auf neue Arbeitsplätze – und nur wenige Wochen später wurde für dasselbe Werk ein massiver Stellenabbau verkündet. Was bedeuten diese Nachrichten für den Standort Wehr?
Die Entscheidungen zum Werk Stein betreffen den Standort Wehr nicht. Ich kann nicht die Entwicklung an einem anderen Standort kommentieren. Natürlich hat der Stellenabbau Einfluss auf die Stimmung und mögliche Befürchtungen von Mitarbeitern. Einige sind auf mich zugekommen und haben gefragt, was es für uns in Wehr bedeutet.
Und was haben Sie ihnen gesagt?
Dass wir in diese Konzern-Entscheidung nicht involviert sind. Was uns betrifft, haben wir einen schmerzhaften Schritt ja bereits im vergangenen November kommuniziert: Die Verlegung der Verpackung bis zum Jahr 2022. Wir müssen uns nun auf unser Kerngeschäft besinnen. Wir machen hier am Standort in Wehr Dinge, die andere nicht können, darauf gilt es sich jetzt zu fokussieren.
In der Pharmabranche ist derzeit viel Bewegung. Novartis hat sich schrittweise von den freiverkäuflichen Medikamenten getrennt. Wohin geht die Reise – insbesondere für den Standort Wehr?
Es gibt kaum noch 'große Produkte', stattdessen Spezial-Medikamente, beispielsweise für die Krebstherapie, die in kleineren Stückzahlen produziert werden. Sehr wichtig sind für uns in Wehr auch die Produkteinführungen. Neue Medikamente für eine erfolgreiche Markteinführung produzieren, können nur wenige Standorte. Dafür braucht man gute, stabile Prozesse und sehr gute Mitarbeiter. Hier haben wir heute schon fünf Produkte auf der Agenda, die bis 2023 von Wehr aus auf dem internationalen Markt eingeführt werden sollen.
Können Sie schon etwas über diese Medikamente sagen?
Der Hauptfokus liegt auf der Krebstherapie, kleine bis mittelgroße Produktionsvolumina und mit Spezialtechnologien hergestellt. Für die Patienten sind diese Medikamente sehr wichtig.
Der Standort Wehr steht in einem Wettbewerb mit vielen anderen Novartis-Standorten. Welchen Stellenwert hat Wehr innerhalb des Konzerns?
Wir haben sehr gute Kennzahlen, beispielsweise in den Kategorien Qualität, den Sicherheitsstandards im Werk oder der Lieferbereitschaft. Wir haben ein wirklich sehr gutes Team in Wehr und bekommen für die Kompetenz und das Engagement unserer Mitarbeiter viel Lob von den Kollegen in der Entwicklung, mit denen wir eng zusammenarbeiten. Das ist gerade für die künftigen Produkteinführungen enorm wichtig.

Im August haben wir eine Anlage aus dem Werk in Stein übernommen, auf der ab kommendem Jahr ein Diabetesmedikament produziert wird. Für uns ist es die dritte Anlage dieser Art für dieses Medikament, das nun nur noch an zwei Novartis-Standorten hergestellt wird. Dadurch entstehen in Wehr etwa 20 neue Arbeitsplätze. Das ist ein klares Signal an uns, welche Bedeutung wir als Produktionsstandort haben.
... und unverzichtbar sind?
'Unverzichtbar' ist natürlich ein starkes Wort. Für heute ja – für die Zukunft müssen wir uns stetig weiterentwickeln, um gut aufgestellt zu sein.
Wie wollen Sie den Standort zukunftssicher machen?
Wir haben einige Themen angestoßen, eine zentrale Rolle spielt die Effizienz. Wir müssen und wollen die Kosten senken. Das betrifft auch unser ganzes Firmenareal. Wir haben übermäßige Kapazitäten, nicht nur an freien Flächen, sondern auch bei der Elektrizität, Dampf oder der sonstigen Infrastruktur. Diese Kapazitäten wollen wir gerne teilen und suchen dafür Partner aus den Bereichen Pharma, Bio-Technologie oder Medizintechnik. Das können auch Organisationen sein, die Start-Ups unterstützen, die wiederum z. B. unsere Laborkapazitäten nutzen könnten, was eine Win-win Situation für alle beteiligten Parteien darstellen würde.
Sie wollen also andere Firmen in Ihr Areal holen, um Synergie-Effekte zu nutzen?
Richtig, die Idee ist ein Infrapark, wie es ihn schon in der Chemiebranche gibt. Ein Areal mit verschiedenen Firmen, die stellenweise zusammenarbeiten und eine gemeinsame Infrastruktur nutzen. Das, was wir hier gerade anschauen, hat für Novartis durchaus Modellcharakter und wäre vor zwei Jahren vermutlich noch undenkbar gewesen. Wir werden dabei auch von der Stadt Wehr, der IHK und der Wirtschaftsregion Südwest unterstützt.
Gibt es bereits Erfolge bei der Suche nach potentiellen Partnern?
Ja, wir haben seit einiger Zeit eine Vereinbarung mit einem unserer Lieferanten von Pharma-Anlagen. Die können andere Kunden zu uns schicken, um Anlagen im laufenden Betrieb zu sehen und schneller zu lernen, wie sie in Routine betrieben werden. Wir profitieren dann durch bessere Zusammenarbeit und Konditionen bei unserem Anlagen-Lieferanten.

Gleichzeitig hat Novartis ein paar Grundstücke verkauft. Warum?
Es ist eine Frage der Effizienz. Der Bau 30 (das frühere Pharma-Lehrzentrum, d. Red.) steht zum Beispiel schon seit Jahren leer und verursacht natürlich auch Kosten. Wir haben nun einige Parzellen auf dem Markt angeboten. Dadurch können wir uns mehr auf das Wesentliche – unsere Produktion – konzentrieren. Ich freue mich, dass die Stadt Wehr den Zuschlag bekommen hat. Denn auch mit der Stadt arbeiten wir eng und partnerschaftlich zusammen.
Zur Person
Martin Renner, Jahrgang 1973, leitet seit Anfang 2015 das Wehrer Werk der Novartis als Geschäftsführer. In seine Ägide fiel auch die Verlegung der Öflinger Straße, mit der ein zusammenhängendes Firmenareal geschaffen wurde.