Reinhard Valenta

Der Nationalsozialismus (NS) funktionierte in Wehr und Öflingen nicht anders als in der Reichshauptstadt Berlin: Als totalitäre Ideologie wollten die Nazis die Gesellschaft mit ihren militaristischen und antisemitischen Ideen durchdringen. Dabei ging es ihnen nicht nur um die brutale Ausschaltung jeglicher Opposition, sondern auch um die Gewinnung der Bevölkerung für ihre „Bewegung“. Neutralität war verdächtig: „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns.“

Dieser totale Anspruch zeigte sich auch in Wehr und Öflingen. Das Verbot der Parteien und Gewerkschaften im Verlauf des Jahres 1933 und die Besetzung wichtiger Stellen in den Rathäusern durch die NSDAP hatten große Auswirkungen auf alle Lebensbereiche. Die Traditionsvereine wurden zwar nicht verboten, aber sie wurden ideologisch gleichgeschaltet und für die NSDAP eingespannt.

Gleichschaltung

Die im Wehratal wichtigen katholischen Organisationen gerieten ins Fadenkreuz. Nachdem der deutsche Gesellentag der Kolpingbrüder im Juni 1933 in München gewaltsam beendet worden war, konnten das Kolping-Werk und die katholischen Gesellen nur noch kirchenintern wirken. Einen traurigen Endpunkt der Gleichschaltung markierte die Auflösung des Wehrer Frauenvereins 1937. Das Kinderhaus St. Josef und die Schwesternstation wurden in den Besitz des gleichgeschalteten Roten Kreuzes überführt.

Auch im Wehratal sah sich der NS als alles durchdringende Bewegung und hielt die Bevölkerung im wahrsten Sinne des Wortes permanent in Bewegung. Dazu dienten aufwändig inszenierte Aufmärsche, Kundgebungen und Umzüge.

Umzug anlässlich des Erntedanks im Jahr 1934. Ein seltenes Foto der Wehrer BDM-Mädchen in ihrer typischen Kluft.
Umzug anlässlich des Erntedanks im Jahr 1934. Ein seltenes Foto der Wehrer BDM-Mädchen in ihrer typischen Kluft. | Bild: Archiv Valenta

Sie sollten das sogenannte Volk für Hitler gewinnen und funktionierten – wie in den sogenannten sozialistischen Staaten – nach dem Motto „Wer marschiert, denkt nicht“. Für diese Veranstaltungen wurden die Traditionsvereine eingespannt. Sie sorgten für die dramaturgische Verpackung der Kundgebungen durch musikalische und sportive Darbietungen.

Max Marksteiner, der als Katholik und Kolpingsgeselle nichts von den Nazis hielt, schoss 1938 Schnappschüsse der 1. Mai-Kundgebung am Talschulplatz.

Max Marksteiner: Überzeugter Kolpingbruder und Hobbyfotograf.
Max Marksteiner: Überzeugter Kolpingbruder und Hobbyfotograf. | Bild: Archiv Valenta

Er machte die Fotos vom Fenster der Wohnung seiner Schwiegereltern Prutscher aus. Sie war oben in der Talschule 2. Dort wohnte er mit seiner jungen Familie. Nachdem Marksteiner in den Krieg geschickt worden war, musste die Familie ins Brugger-Haus am Kirchplatz umziehen. Ein Wehrer Nazi hatte die schöne Wohnung der Prutschers für sich in Beschlag genommen.

Das Foto zeigt eine typische NS-Inszenierung: Vorne links das Rednerpult, umgeben von Uniformierten: Jungvolk, Hitler Jugend (HJ), Mitglieder der NSDAP und ihrer Formationen. Dann erst kommen Zivilisten, teilweise mit Transparenten. Hakenkreuzfahnen als Zeichen der Nazis dürfen nicht fehlen. Der Maibaum war mit den Emblemen der Innungen dekoriert, die auch beim Umzug zum 1. Mai 1936 mit aufwendig gestalteten Themenwagen für die Propaganda der Nazis eingespannt wurden.

Winterhilfe

Eine andere Form der Mobilisierung waren die Sammlungen des Roten Kreuzes und der Winterhilfe. Sie waren engmaschig organisiert und nutzten die Hilfsbereitschaft der Menschen aus. Dabei kamen Milliardenbeträge zusammen. Sie entlasteten den Sozialetat und machten Finanzen für Rüstung und Krieg frei. Wer nichts gab, musste Repressalien fürchten – wie der Wehrer Gipser Anton Büche. Weil er sich verweigert hatte, wurde er als Kriegsversehrter in den 2. Weltkrieg geschickt.

Vor dem Scheunentor am Haus des Obermeisters der MBB Martin Keser in Öflingen: Er war überzeugter Katholik und Anhänger des Zentrums. ...
Vor dem Scheunentor am Haus des Obermeisters der MBB Martin Keser in Öflingen: Er war überzeugter Katholik und Anhänger des Zentrums. Hätte er das Propaganda-Plakat für die Sammelaktion des Roten Kreuzes abgehängt, hätte er Probleme bekommen. Links der 1931 geborene Roland Keser mit seiner Mutter und einem Geschwisterchen (Mitte der 1930er Jahre). | Bild: Archiv Valenta

Auch Prominente wie die katholische Unternehmerfamilie Denk wurden schikaniert. Weil die als „Jesuiter“ verhassten Denks bei der Winterhilfe bewusst nur Minibeträge gegeben hatten, erhielt Albrecht Denk 1942 einen Drohbrief des Kreisleiters der NSDAP. Bender hatte die Sammellisten überprüft. Sie ließen durchaus Rückschlüsse auf die Spender zu. Genau das war bei Albrecht Denk der Fall. Bender schrieb: „Ich habe Spendenlisten nachgesehen und dabei festgestellt, dass Sie und Ihre Familienangehörigen (…) als nicht besonders gebefreudig bezeichnet werden müssen.“ Der Brief endete: „Ihr Ansehen bei (…) staatlichen, kommunalen Behörden und Kreisdienststellen kann durch grössere Gebefreundlichkeit nur gebessert werden.“ Was wohl geschehen wäre, hätte Hitler gesiegt?

Unteroffizier Albrecht Denk um 1943 an der sogenannten Finnlandfront.
Unteroffizier Albrecht Denk um 1943 an der sogenannten Finnlandfront. | Bild: Archiv Valenta

In den Krieg konnte Bender Albrecht Denk nicht mehr schicken. Der war bereits im Kampfeinsatz an der Finnlandfront. Für Hitler kämpfte er gewiss nicht. Dem Fabrikantensohn ging es nicht anders als vielen anderen, die an die Front mussten. Immerhin überlebte er den Wahnsinn und konnte seinem Vater Carl Denk beim Wiederaufbau der MBB zur Seite stehen.

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