„Wir wollen die Menschen daran erinnern, dass der Krieg in der Ukraine noch nicht vorbei ist“, sagen Maryna Zahoruiko (34) und Nataliia Klymovska (38). Die beiden sind zu Kriegsbeginn im Februar 2022 aus ihrer Heimat geflüchtet und leben mittlerweile in Nöggenschwiel im ehemaligen Gasthof Rössle.
Mitte Juni waren die beiden für sechs Tage in der Ukraine, um die Mutter von Nataliia Klymovska, Hanna Kosohub, zurück in ihr Heimatland zu bringen. Im Gespräch mit unserer Zeitung berichten Maryna Zahoruiko und Nataliia Klymovska von der aktuellen Situation in ihrer kriegsgebeutelten Heimat, den Gründen für die Rückkehr der Mutter und den psychologischen Auswirkungen des Krieges.
Vom Geräusch fallender Bomben aufgewacht
Drei bis vier Mal pro Nacht werde in Kiew immer noch Luftalarm ausgelöst, erzählen Maryna Zahoruiko und Nataliia Klymovska, die vor Beginn des Krieges ein Haus in der Hauptstadt der Ukraine gemietet hatten.

Die beiden Frauen, die seit neun Jahren ein Paar sind, sind an jenem 24. Februar vom Geräusch fallender Bomben aufgewacht, da sich in der Nähe ihres Hauses eine Militärstation befunden hatte, die von den russischen Streitkräften unter Beschuss genommen worden ist.


Messer als Verteidigung
Weil dieser Beschuss sehr gefährlich war und die beiden Frauen Angst hatten, haben sie noch am selben Tag eine beschwerliche Flucht angetreten. Diese ist nach wie vor präsent in der Erinnerung der Ukrainerinnen.
Gemeinsam mit ihrer damals hochschwangeren Freundin Diana Zakharchuk, den Eltern von Nataliia Klymovska, den Haustieren und den größten Messern aus ihrem Messerblock zur Verteidigung haben sie mit dem Auto die Flucht angetreten. Dabei musste Nataliia Klymovska bis zu 15 Stunden durchfahren, da sie die einzige Fahrtüchtige gewesen ist.

„Wir sind auch nachts mit ausgeschaltetem Licht gefahren, da wir niemanden auf uns aufmerksam machen wollten“, erzählen die Ukrainerinnen. Einer der mitgenommenen Hunde habe „den ausgebrochenen Krieg auch gespürt“, wie sich Maryna Zahoruiko ausdrückt. Das Tier sei krank geworden und musste während der Flucht im Auto medizinisch behandelt werden.
Auch die beiden Frauen berichten von Fieber, das sie bekommen haben, nachdem das Adrenalin von der Flucht zurückgegangen war.
In Deutschland kamen die Geflüchteten unterschiedlich gut zurecht. Während Maryna Zahoruiko und Nataliia Klymovska von der Hilfsbereitschaft der Besitzer des ehemaligen Gasthofs Rössle, Familie Zipfler, und der Nöggenschwieler Bevölkerung beeindruckt waren, hat Hanna Kosohub sich in Deutschland nie wirklich einleben können.

Ihr ganzes Leben hat die 69-Jährige in der Ukraine verbracht und musste das Land erst durch den Krieg zwanghaft verlassen.
Rückfahrt in die Ukraine
„Am Schluss hat sie jeden Tag gezählt, bis sie wieder nach Hause kann“, berichtet ihre Tochter, Nataliia Klymovska. Zu groß sei auch der Unterschied zwischen der Großstadt Kiew und der ländlichen Region rund um Weilheim gewesen.

Gerade für eine ältere Person sei es sehr schwierig, sich derart umzugewöhnen, sagen die beiden Frauen. „Ich konnte es eines Tages nicht mehr länger mit ansehen, wie sie in ihrem Zimmer saß und sich nach ihrer Heimat sehnte. Sie hat vor allem ihre Schwester vermisst, die in der Ukraine zurückgeblieben ist“, sagt Nataliia Klymovska.
Kiew sei noch zu gefährlich
Auch wenn es ihr schwergefallen sei, habe sie die Entscheidung getroffen, ihre Mutter zurückzubringen. Allerdings nicht direkt zurück nach Kiew, wo es nach Einschätzung von ihr und Maryna Zahoruiko noch zu gefährlich sei.
„Kombinierte Angriffe mit Raketen und iranischen Shahed-Drohnen sind sehr bedrohlich“, berichten die beiden Frauen. Daher ist Hanna Kosohub vorerst bei Verwandten in einem Vorort von Kiew untergebracht.
Krieg ist für alle eine Belastung
Die kurzzeitige Rückkehr in die Ukraine war für Maryna Zahoruiko und Nataliia Klymovska emotional sehr aufwühlend. Wegen des Krieges befinden sie sich unter dauerhaftem Stress und Anspannung, wie die Frauen erzählen. Insgesamt fühlen sich die Menschen in der Ukraine auch wegen des psychologischen Auswirkungen des Krieges unwohler, so die Einschätzung der beiden Frauen.

Besonders der stetige Luftalarm sei eine Belastung. Die Menschen seien gereizter und aggressiver, was den beiden Frauen bei ihrer Fahrt in die Ukraine mit dem Auto im Straßenverkehr besonders aufgefallen ist. „Aber man wird stärker, wenn man sich in einer Extremsituation befindet“, sagt Nataliia Klymovska.
Es gibt auch Hoffnung
Es gab auch Grund zur Freude: So haben Maryna Zahoruiko und Nataliia Klymovska nach ihrem kurzen Aufenthalt in der Ukraine einem kleinen Hund in Nöggenschwiel ein neues Zuhause gegeben.
„Vor dem Krieg haben wir in Kiew Seite an Seite mit Russen gearbeitet. Dass eines Tages Krieg gegen unser Land von Russland aus ausgehen würde, hätten wir nie gedacht“, sind sich die Frauen einig.
„Mittlerweile kennt jeder jemanden, der im Krieg sein Leben verloren hat.“Maryna Zahoruiko und Nataliia Klymovska
So sei ein Freund des Bruders von Maryna Zahoruiko in der hart umkämpften Front in Bachmut gefallen. „Mit unserer Offenheit über all das, was uns widerfahren ist, wollen wir die Wahrheit über den Krieg verbreiten und gegen die russische Propaganda angehen“, sagen Maryna Zahoruiko und Nataliia Klymovska abschließend.