Fast sechs Monate ist es her, als Waleri Mostika mit seiner Tochter Julia und seiner Frau Galina am Bahnhof in Waldshut ankam. Schon eine Woche nach Beginn der russischen Angriffe auf die Ukraine flohen sie aus Kiew über Polen und Berlin in den Süden Deutschlands. Nun sitzt er in der Redaktion in Bad Säckingen und erzählt, wie es ihm und seiner Familie seither am Hochrhein ergangen ist. Wie damals in Waldshut ist er mit dem Zug in Bad Säckingen angekommen – aus Dogern. Dort hat die Familie Mostika ein vorläufiges zu Hause gefunden. „Dogern ist sehr gemütlich. Die Gegend ist wunderschön“, kommt Waleri Mostika ins Schwärmen.
Sein Deutsch ist sicher. In den sechs Monaten, die er in Deutschland ist, hatte er viele Gelegenheiten, die Sprache zu üben. „Ich habe mich schon immer für fremde Sprachen interessiert“, antwortet er auf die Frage, warum er so gut Deutsch spricht. Dann überlegt er kurz, sucht nach den richtigen Worten und zitiert auf einmal Goethe: „Wie viele Sprachen du sprichst, sooft Mal bist du Mensch.“ Nimmt man dieses Zitat wörtlich, dann wäre Waleri Mostika vier Mal Mensch. Er spricht neben seiner ukrainischen Landessprache Polnisch, Russisch und eben Deutsch.

Die Sprache als Zugang zu den Menschen
Seit seiner Schulzeit lernt er Deutsch, wie er erzählt. Damals, in seinem Heimatdorf, wohnte ein Mann, der in Deutschland Kriegsgefangener war und dadurch fließend Deutsch sprach. Waleri Mostika erinnert sich, dass dieser Nachbar nach der Schule immer gefragt habe, welche neuen Wörter er gelernt hat und brachte ihm neue bei. Dem 70-Jährigen kommen Tränen, als er von dieser Erinnerung erzählt. Seitdem war sein Interesse für die deutsche Sprache geweckt.
Heute erweist es sich als Glücksfall, dass Mostika bereits in jungen Jahren Deutsch gelernt hat. „Besonders für mich ist es einfach, in Deutschland zu leben“, sagt der 70-Jährige und ergänzt mit einem Lachen: „Ich lebe sechs Monate hier und fühle mich wie ein Deutscher.“ Für seine Frau Galina und seine Tochter hingegen sei es deutlich schwerer, hier zurecht zu kommen. Oft seien sie auf Waleri angewiesen.
„Unsere Seele sehnt sich nach der Ukraine“
Waleri Mostika hat sich eingelebt in Deutschland. Er schaut sich mit seiner Frau die Gegend an, war bereits in Freiburg, in Weil am Rhein, am Rheinfall oder bei der Säckinger Holzbrücke. Immer unterwegs mit Zug oder Fahrrad. Die kleine Rente aus der Ukraine und ein bisschen Sozialhilfe aus Deutschland reichen für ihn und seine Familie. Dafür ist er dankbar. Auch wenn die Sehnsucht nach der Heimat groß ist: „Unsere Seele sehnt sich nach der Ukraine“, sagt er mit glasigen Augen.
Trotzdem hat er sich ein Stück weit mit der Situation angefreundet. Im Gespräch wird klar: Er sucht vor allem die positiven Dinge. Wie die Wohnung, in der er mit seiner Frau und Tochter untergekommen ist, zur Verfügung gestellt von einer älteren Frau. „Wir leben wie in einer Familie“, beschreibt er das Verhältnis zur Vermieterin. Mal backt Waleri Mostika einen Kuchen und bringt ihn nach Nebenan, mal sitzen alle zusammen beim Abendessen, erzählt er mit einem Lächeln.
Er braucht keine Hilfe
Auch wenn es jetzt einfach scheint, gerade am Anfang gab es viel zu tun. „Es waren viele Dokumente, die wir unterschreiben mussten“, erinnert er sich. Erst in letzter Zeit sei langsam Ruhe eingekehrt – und statt selbst Hilfe in Anspruch nehmen zu müssen, möchte er nun anderen helfen. In der neuen „kleinen Familie“ repariert er gerne Dinge, wie er es auch schon der Ukraine gerne getan hat. Das sei sein Hobby, sagt er. „Ich gebe den Dingen gerne ein zweites Leben.“
Mit seiner Frau führt er oft den Hund der Nachbarin aus. Und auch mit anderen Ukrainern kommt er regelmäßig in Kontakt. Einmal die Woche treffen sie sich in Waldshut. Erst kürzlich hatten sie zum 31. Jahrestag der ukrainischen Unabhängigkeit ein kleines Fest organisiert. Auch dort bietet Waleri Mostika seine Hilfe an, weil er die Sprache beherrscht.
Der Sohn muss zur Waffe greifen
Während seine Tochter mitkommen konnte und aktuell ebenfalls Deutsch lernt, um hier Arbeit zu finden, sind die beiden Söhne von Waleri Mostika nicht in Dogern. Einer arbeitet schon seit längerem in Norddeutschland und betreut dort Menschen mit Behinderung. Sein zweiter Sohn musste in der Ukraine bleiben. „Er muss die Waffe in die Hand nehmen“, erklärt Mostika ruhig. Regelmäßig habe er Kontakt mit ihm. Oft geht es dabei um etwas scheinbar Banales: Welche neuen Wörter der Vater gelernt hat? Denn auch sein Sohn interessiert sich für die deutsche Sprache. Doch statt sie mit seinem Vater am Hochrhein zu lernen, verteidigt er das Land, in das seine Eltern irgendwann wieder zurückkehren möchten.
Kraftwerk erinnert ihn an zu Hause
Die Heimat vergessen. Das scheint für die Familie trotz der guten Situation hier in Deutschland unmöglich. Täglich verfolge er noch die Nachrichten aus der Ukraine, erzählt Waleri Mostika. Hauptsächlich ukrainische Medien, hin und wieder laufe aber auch deutsches Radio in der Küche, während er Kuchen backt. Sogar der Blick nach Leibstadt lässt ihn an die Heimat denken. „Das Atomkraftwerk erinnert mich an meine Heimatstadt Warasch“, erzählt er. Dort in der Nähe, in Riwne gibt es auch eines, nur viel größer als jenes in Leibstadt. Statt eines Kühlturms stehen dort sechs.
Was die Zukunft bringt, kann er nicht sagen. „Wir sind alt, wir haben keine großen Pläne mehr“, sagt er über sich und seine Frau. Die Hoffnung, dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen könnte, äußert er mehrmals im Gespräch. Doch wirkt es mehr wie ein ferner Wunsch, als dass es in nächster Zeit wirklich soweit kommen könnte.