Gemessen an ihrer Bedeutung für die Region wirken die spärlichen Steinreste, die Jürgen Hald und sein Team hier gefunden haben, wahrlich unspektakulär.
Damit niemand versehentlich über das stolpert, was aber als wissenschaftlicher Sensationsfund beschrieben werden kann, hat der Archäologe eine rot-weiß gestreifte Markierung aufstellen lassen.

Denn bei dem unscheinbaren Steinfundament handelt sich um die Überreste eines Galgens. Vor gerade einmal 250 Jahren wurde an dieser Stelle zuletzt ein Mensch hingerichtet.
Ausgrabung von landesweiter Bedeutung
Auf einem Acker bei Allensbach, wo in wenigen Monaten der Ausbau der Bundesstraße 33 beginnt, haben der Kreisarchäologe vom Landratsamt Konstanz und das Landesamt für Denkmalpflege eine neuzeitliche Hinrichtungsstätte ausgegraben.
“Ich arbeite seit 35 Jahren als Archäologe im Feld, einen Fund dieser Dimension erlebe ich zum ersten Mal“, sagt Jürgen Hald bei einer Führung.
Während sein siebenköpfiges Team weiter gräbt, putzt und vermisst, zeigt der Chefarchäologe Lokalpolitikern und Pressevertretern die bisher wichtigsten Funde: Überreste vom Galgen, Leichengruben und menschliche Knochen.
Zahlreiche Skelette zeugen von der brutalen Geschichte dieses Ortes.

Die Ausgrabung sei über die Region hinaus von großer Bedeutung, erklärt Jürgen Hald. „Die Untersuchung einer Hinrichtungsstätte mit modernen Methoden, das ist sehr selten in Baden-Württemberg.“
Trotz aller Freude über den Sensationsfund ist Jürgen Hald um einen pietätvollen Umgang bemüht, aus “Respekt vor den Menschen, die hier einen grausamen Tod gefunden haben“, wie er selber sagt.
Galgen gehörte zum Herrschaftsgebiet der Insel Reichenau
Bei den Toten handelt es sich wohl um Menschen, die vor wenigen Generationen auf der Insel Reichenau abgeurteilt und an der herrschaftlichen Richtstätte in Allensbach hingerichtet wurden.

Bis ins 18. Jahrhundert wurden auf der Insel unter der Blutgerichtsbarkeit der Klosterabtei Menschen öffentlich zum Tode verurteilt, erst im Zuge der Säkularisation verlor die Kirche diesen Herrschaftsanspruch.
Der Begriff Gnadensee hängt unmittelbar mit den Hinrichtungen zusammen. Wer auf der Reichenau verurteilt wurde und durch den Gnadensee hinüber nach Allensbach schwamm, wurde begnadigt – wenn im Kloster Reichenau zur Begnadigung die Glocken geläutet wurden. Wenn nicht, wartete der Galgen. Auch der berühmt-berüchtigte Frauenpfahl am Konstanzer Hafen spielt eine Rolle.
Ein großer Galgen war das Zentrum der Hinrichtungsstätte. Um den Galgen verstreut finden sich zahlreiche Gruben mit menschlichen Überresten, sie erzählen eine Geschichte „menschlicher Grausamkeit“, sagt Michael Francken.
Der Anthropologe arbeitet für das Landesamt für Denkmalpflege, er entschlüsselt die Rätsel der menschlichen Knochen. Erst im März hat er seine Stelle angetreten, „ein spannender Anfang“, sagt Michael Francken.
Über die genaue Todesursache der Verurteilten kann der Forscher nur erste Vermutungen anstellen, eine Untersuchung der Skelette im Labor steht noch aus.

So viel verrät der Wissenschaftler nach einer ersten Begutachtung dann doch: Einige der mehrheitlich männlichen Opfer seien durch Hängen qualvoll erstickt, darauf würden fehlende Spuren von Gewalteinwirkung hindeuten, erklärt Michael Francken.
Erhängt, enthauptet oder verbrannt?
Andere Skelette dagegen würden deutliche Spuren von Enthauptung aufweisen, erklärt der Anthropologe. Aus Archivquellen gehe hervor, dass an der Richtstätte Menschen auch mit dem Schwert geköpft wurden.
Geschwärzte Knochen würden darauf hindeuten, erklärt Michael Francken, dass hier Leichname verbrannt oder Menschen auf Scheiterhaufen gerichtet wurden.

Auch Überreste von Richträdern, auf denen die Toten grausam ausgestellt wurden, haben die Archäologen ausgegraben. Und auf der Grabungsstätte finden sich Nachweise dafür, dass einige Opfer über Jahre am Galgen hängen gelassen wurden.
Das grausame Schauspiel auf der Hinrichtungsstätte habe vor allem einem Zweck gedient: der Abschreckung, erklärt Bertram Jenisch, Experte für Mittelalter und Neuzeit beim Landesamt für Denkmalpflege. “Das war eine richtige Inszenierung.“
Auf einer Karte zeigt er, was er damit meint: Die Richtstätte bei Allensbach sei so angelegt worden, dass sie von der gesamten Reichenau gut einzusehen gewesen sei. „Die haben zur Abschreckung mit dem Galgen eine richtige Kulisse geschaffen.“
Auf der Reichenau verurteilt, zur Hinrichtung nach Allensbach
Unter den Opfern waren mordende Räuber, aber auch mindestens eine Frau, der Hexerei unterstellt wurde.
Auf der Insel selbst wurde nur gerichtet. Um die geweihte Erde nicht zu besudeln, erklärt Bertram Jenisch, seien die Verurteilten zur Vollstreckung mit dem Schiff über den Gnadensee nach Allensbach gefahren worden.

Dass die Archäologen jetzt einen Sensationsfund feiern, ist alles andere als selbstverständlich. Jürgen Hald und sein Team vermuteten bereits länger eine Hinrichtungsstätte in der Nähe von Allensbach. Aber zunächst blieb ihre Suche ohne Erfolg.
Erst der Fund einer alten Karte von 1817 durch einen Allensbacher Bürger half dem Team, den historischen Ort zu finden. Auf dem Dokument ist die Hinrichtungsstätte im Westen der Gemeinde verzeichnet.

Bis Juni sollen die Ausgrabungen noch andauern. Mindestens ein Dutzend Skelette haben die Forscher bereits gefunden, weitere könnten folgen.
Nach der Grabung im Feld, der Dokumentation und der Sicherung der Funde geht die Arbeit für die Wissenschaftler weiter.
Im Labor und den Archiven des Landes werden sie versuchen, mehr zu erfahren – über den Galgenacker von Allensbach.