Wie schwer war es, aus der Ukraine nach Engen zu kommen?
Schwer, vor allem für Männer. Ich habe eine Erlaubnis vom Kriegskommissariat für die Ausreise gebraucht. Ein Feuerwehrkollege von mir, der Leiter der Jugendfeuerwehr von Kobeljaki, konnte nicht mitkommen, da er keine Erlaubnis erhalten hat, die Ukraine zu verlassen.
Sind Feuerwehrleute vom Kriegsdienst ausgenommen?
Wir haben in der Ukraine drei Arten von Feuerwehrdiensten: den staatlichen, den örtlichen und den freiwilligen Feuerwehrdienst. Bei den staatlichen Feuerwehrmitgliedern werden 90 Prozent vom Kriegsdienst befreit, bei den örtlichen Einsatzkräften 50 Prozent.
Wie schwierig ist dabei, die Bereitschaft der Feuerwehr zu gewährleisten?
Man könnte das irgendwie schon meistern, aber es kann im Ernstfall schwierig werden. Unsere Feuerwehrleute haben 24 Stunden Dienst, dann haben sie drei Tage Zeit, sich zu erholen. Wenn es große Einsätze gibt, werden sie aber auch in den freien Tagen alarmiert. Wenn jetzt 50 Prozent der Einsatzkräfte fehlen würden, würden natürlich auch die übrig gebliebenen häufiger alarmiert müssen. Wir versuchen aber, freiwillige Kräfte einzustellen, das können etwa Väter sein, die mehrere Kinder haben. Diese Männer werden aktuell nicht zum Kriegsdienst eingezogen.
Hat es bisher überhaupt eine freiwillige Feuerwehr in der Ukraine gegeben?
Nein gar nicht. Der Krieg hat die Menschen dazu bewogen, noch mehr zusammenzustehen. In der Region rund um Kobeljaki ist es deshalb gelungen, eine erste freiwillige Feuerwehr aufzubauen. Die aus Singen geschickten Uniformen werden etwa für diese Einheiten benutzt. Das ist eine Art Pilotprojekt für uns.
Haben Sie Angst, selbst eingezogen zu werden?
Nein! Aber es kann passieren, dass ich mobilisiert werde. Ganz am Anfang, als die russische Frontlinie nur wenige Kilometer von Kobeljaki entfernt war, waren in der Territorialverteidigung der Ukraine auch freiwillige Feuerwehrmänner aktiv. Viele von uns sind nach ihrem Feuerwehrdienst auch dort noch tätig geblieben.
Nach mehr als zwei Jahren Krieg: Wie ist die Stimmung in der Bevölkerung von Kobeljaki?
Der Zusammenhalt der Menschen ist riesig. Wenn irgendwo ein Haus von einer russischen Rakete getroffen wird, kommen so viele Freiwillige, um zu helfen. Wir Ukrainer stehen nach wie vor zusammen. Aber nach zwei Jahren merkt man schon, dass es eine Art Kriegsmüdigkeit gibt. Aber niemand will, dass die Russen die besetzten Gebiete behalten. Wir werden nicht aufgeben!
Wie hat sich die Arbeit der Feuerwehr seit Kriegsbeginn verändert?
Die Feuerwehr muss die Bevölkerung benachrichtigen, wenn es einen Angriff gibt. Das ist vor allem im ländlichen Raum nicht überall zentral organisiert. Seit dem Krieg ist es auch wichtig, die Infrastruktur sicherzustellen. Deswegen ist es auch Aufgabe der Feuerwehr, Generatoren an öffentlichen Orten aufzustellen, da das Stromnetz immer wieder zusammenbricht. Dort können die Menschen ihre Mobiltelefone aufladen oder Informationen erhalten. Letztes Jahr hat zum Beispiel eine Rakete die Stromleitung getroffen, da kam es zu einem Brand im Wald. Wir haben jetzt andere Brände durch den Krieg. Sie sind schwerer zu bekämpfen, sie gehören nicht zu unserem normalen Alltag – auch nach zwei Jahren noch nicht.
Ist die Feuerwehr seit Kriegsbeginn verstärkt in Alarmbereitschaft?
Das ganze Jahr 2022 waren immer doppelt so viele Einsatzkräfte in der Bereitschaft. Da gab es kaum Pausen zwischen den Bereitschaften. Jetzt ist die Frontlinie wieder nach hinten verschoben, da wir Gebiete zurückerobern konnten. Aktuell gilt deshalb wieder die normale Bereitschaft. Aber die Feuerwehr aus Kobeljaki hilft immer, wo sie kann. Wenn weiter weg Gebäude von Raketen getroffen werden und wir helfen können, rücken wir natürlich aus.
Es gab schon diverse Hilfslieferungen aus Singen. Wie wichtig ist diese Hilfe aus der Partnerstadt?
Das hilft uns sehr. Das kann man gar nicht beschreiben, wie wertvoll das ist. Allein die Tatsache, dass Singen uns die Hand gereicht hat, lässt uns wissen: Wir sind nicht allein! Als Wolfgang Werkmeister am ersten Tag angerufen hatte, war das ein so bekräftigender Moment, dass er und ganz Singen bereit war uns zu helfen – und es noch heute tut. Andere Gemeinden beneiden uns, alles aus Singen ist wichtig, im Einsatz, und vor allem, es funktioniert. Wir geben unsere Fahrzeuge und Werkzeuge auch an andere Gemeinden weiter. Also Singen hilft nicht nur uns, sondern ganz vielen anderen Menschen in der Ukraine auch.
Woran fehlt es noch?
Notstromgeneratoren, es gibt so viele Stromausfälle bei uns. Und im Winter wird es wahrscheinlich noch schlimmer sein. Und dann fehlt es uns auch an hydraulischer Ausrüstung für Autounfälle sowie an Stahlrohren. Medizinisch betrachtet brauchen wir vor allem Krankenhausbetten. In unserem Krankenhaus wird für verwundete Soldaten Platz bereitgehalten.
Welche Kinder durften denn mit ins Zeltlager der Jugendfeuerwehren nach Engen kommen?
Alle Kinder, die Lust und von den Eltern die Erlaubnis hatten. In der Kriegszeit sind solche Camps in der Ukraine verboten. Vielleicht gibt es in der westlichen Ukraine noch solche Zeltlager – aber viel kleiner und nur dort, wo es Schutzkeller gibt. Es ist super, dass wir diese Kinder vom Kriegsgeschehen entfernen können – wenn auch nur sehr kurz. Der Alltag der Kinder sollte nicht im Krieg liegen.
Fällt es schwer, zurückzugehen?
Ja, die Kinder wollen viel mehr vom Hegau sehen. Sie waren vor allem vom Hohentwiel und der Ruine begeistert. Viele Kinder haben hier Freunde gefunden.