Können Sie sich vorstellen, blind zu sein? Hoffentlich nicht. Vielleicht nicken Sie aber auch, denn Sie leiden an einer Sehbehinderung. Oder Sie kennen jemanden, dessen Welt langsam dunkler wird. Da kann die maschinelle Vertonung von Zeitungsartikeln ein Segen sein – eine Funktion, die für Sehbehinderte Barrieren reduziert. Und übrigens eine Funktion, die auch das SÜDKURIER Medienhaus auf seiner Internetseite und in der Nachrichten-App für Mobilgeräte anbietet.
Barrierefreiheit und Sichtbarkeit – zwei Stichworte, die mir während der Paralympics öfters im Kopf herumgingen. Die Wettkämpfe haben es zwar noch nicht in die Primetime geschafft, aber das Thema Para-Sport war doch ziemlich präsent – und damit auch das Thema Behinderung an sich. Was die Schwimmerin Naomi Maike Schwarz wohl zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Deutschland sagen würde? Im Alter von zehn Jahren verlor sie, die heute Spitzensportlerin ist, innerhalb weniger Wochen ihr Augenlicht.
Ist für Menschen wie Schwarz unser Land barrierefrei? Damit ist nicht nur der öffentliche Raum gemeint, etwa Straßen und Bahnhöfe, sondern auch Verwaltungen und Internetseiten. Der UN-Fachausschuss für Behindertenrechte lobte in seinem Bericht 2023 zwar die Bemühungen in Deutschland, stellte aber auch eine ellenlange Mängelliste auf, die zum Fremdschämen ist. Auch der Behindertensport hat in unserem Land nicht die Priorität, wie in anderen Nationen.
Das muss nicht unbedingt schlecht sein – das Konzept in Deutschland ist eher, den Breitensport für alle Altersgruppen zu fördern. Aber Para-Sport transportiert doch so viel mehr als nur Wettkampffieber, Medaillenspiegel und Rekorde: Sichtbarkeit, Akzeptanz, Inspiration und Ermutigung. Der Begriff Para-Sport leitet sich her vom englischen Wort paralyzed – gelähmt. Inzwischen wird die griechische Übersetzung bevorzugt: para- bedeutet neben. Para-Sport soll für ein gleichberechtigtes Nebeneinander stehen. Ein Miteinander wäre allerdings besser.
Eine weitere Schwimmerin aus dem deutschen Team könnte dazu auch etwas sagen: Gina Böttcher wurde wegen ihrer Fehlbildungen nach der Geburt abgegeben und lernte ihre leiblichen Eltern nie kennen. Bei genauerer Betrachtung der Biografien der Para-Athleten fiel mir auf, wie viele von ihnen adoptiert wurden. Bei meinem ersten Praktikum in einer Schule für Kinder mit einer Behinderung lernte ich Kinder kennen, von deren sorgfältig abgeschirmter Existenz kein Nachbar etwas wusste. Seitdem ist viel passiert. Aber nicht genug. Und die AfD erklärt Inklusion kurzerhand zum Irrweg. Para-Sportler können Botschafter für Sichtbarkeit werden. Das funktioniert aber nur dann, wenn wir alle nicht die Augen verschließen.