Der tragische Polizeieinsatz in Binningen, bei dem ein 64 Jahre alter Mann von der Polizei erschossen wurde, wirft eine Woche später noch viele Fragen auf. Doch bis die beantwortet sind, wird es noch dauern. Wie Staatsanwältin Nathalie Werth auf SÜDKURIER-Nachfrage schildert, liegt der finale Bericht der Obduktion noch nicht vor. Zwar sei die Leiche des Mannes, der am 16. April mit einer Axt auf ein Auto losging und eine Polizistin verletzte, bereits obduziert worden, allerdings stünde ein abschließender Bericht noch aus.
„Wir sind noch mitten in der Auswertung von Zeugenaussagen und Aussagen von Polizisten, die nicht gefeuert haben“, sagt sie. Schwerpunkte der gemeinsamen Ermittlungen von Landeskriminalamt (LKA) und der Staatsanwaltschaft Konstanz seien die Motivlage des 64-jährigen Mannes sowie die detaillierte Rekonstruktion des gesamten Geschehensablaufs. Hierfür hätten unter anderem die Spezialisten der Kriminaltechnik des Polizeipräsidiums Konstanz mehrere Tage lang die Spuren am Tatort dokumentiert.

Das bestätigt Lisa Schröder, Pressesprecherin des Landeskriminalamtes. „Im Nachgang einer Obduktion steht auch eine toxikologische Untersuchung an, diese Ergebnisse werden noch ein paar Tage dauern“, so Schröder weiter. Dabei soll geklärt werden, ob der verstorbene Mann zum Tatzeitpunkt unter Drogen- oder Alkoholeinwirkung gestanden habe.
Gegenüber dem SÜDKURIER beschrieben mehrere Nachbarn den Erschossenen als auffällig und im Ort bekannt. Immer wieder sei es zu Problemen mit dem 64-Jährigen gekommen. Auch von Alkoholproblemen ist die Rede.
Große Hilfsbereitschaft in Binningen
Nach dem tragischen Vorfall von Binningen ist die Hilfsbereitschaft im Hilzinger Ortsteil groß. Auf Facebook ruft der Bürgerverein Binningen zu Spenden für die Mutter, deren Auto vom 64-jährigen Täter mit einer Axt zerstört worden ist, auf. Laut den Initiatoren habe die Familie aktuell nur ein Auto, vielleicht könnte sie nach den tragischen Vorkommnissen auch einen Urlaub vertragen. „Dafür brauchen wir eure Unterstützung“, heißt es weiter.
Wie viele Polizisten haben geschossen?
In den sozialen Medien wird indes vor allem darüber diskutiert, wie viele Schüsse abgegeben wurden und von wie vielen Polizisten. Auch hier verweist Staatsanwältin Nathalie Werth auf die laufenden Ermittlungen. Was sie bestätigt: „Zwei Polizisten haben geschossen.“
Wie viele Schüsse gefallen sind und wie viele Kugeln den Mann getroffen haben, wird der Obduktionsbericht festhalten. „Offensichtlich haben mehrere Polizisten die Lage als so bedrohlich erachtet, um Schüsse abzufeuern“, bewertet Werth die bisherigen Ergebnisse.
Das sagt das Innenministerium vom Fall von Binningen
Geht die Polizei schärfer bei Gefährdungslagen vor als früher? Das ist eine Frage, die in den Kommentarspalten sozialer Medien aufkommt. Denn eine Woche zuvor war bereits in Schramberg ein 48-jähriger Mann von der Polizei erschossen worden. Carsten Dehner, Leiter der Pressestelle im Innenministerium Baden-Württemberg, schreibt auf Anfrage, dass der Einsatz von dienstlichen Schusswaffen grundsätzlich nur als äußerstes Mittel erfolge.
„Polizeibeamte entscheiden im jeweiligen Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Umstände, welche Maßnahmen erforderlich sowie angemessen sind und daher auch, ob und in welcher Form ein Schusswaffengebrauch in Betracht kommt“, erklärt Dehner. Schusswaffengebrauch sei nur zulässig, wenn einfache körperliche Gewalt sowie Hilfsmittel erfolglos waren oder scheinen.
Inwieweit eine gezielte Schussabgabe beispielsweise auf Arme oder Beine möglich sei, sei vom konkreten Einsatz abhängig. Aber Dehner betont, dass sich an der Grundlage im Polizeigesetz nichts geändert hat: „Eine Anpassung der bestehenden innerdienstlichen Vorschriften zum Schusswaffengebrauch gegen Personen ist nicht erfolgt. Die Einsatzkräfte beurteilen die Lage nach wie vor entlang des konkreten Einzelfalls und treffen eine Entscheidung.“
Wie es der verletzten Polizistin geht, ist unklar, denn dazu gibt sich die Pressestelle des Polizeipräsidiums Konstanz bedeckt. Dies hänge laut Aussage einer Sprecherin mit dem Persönlichkeitsschutz zusammen. Damit bleibt auch die Frage unbeantwortet, ob die verletzte Polizistin oder ihr Kollege, der ebenfalls geschossen hat, wieder zurück im Dienst sind.
Was am 16. April passiert ist
Die Geschehnisse des 16. April werden die Polizisten sicher nicht so schnell vergessen. Wie die Staatsanwaltschaft Konstanz, das Landeskriminalamt und das Polizeipräsidium Konstanz in einer gemeinsamen Erklärung mitteilten, wählte eine Anwohnerin den Notruf, nachdem ein 64 Jahre alter Mann mit einer Axt auf ihr Auto eingeschlagen habe. In dem Auto habe sich die Tochter der Frau befunden.
Beim Eintreffen der alarmierten Polizeibeamten sei der Mann auf diese mit der Axt losgegangen. Dabei sei eine Polizeibeamtin leicht am Arm verletzt worden, worauf die Einsatzkräfte das Feuer eröffnet hätten. Der Mann verstarb trotz sofort eingeleiteter Reanimationsmaßnahmen noch vor Ort.