Die archäologischen Grabungen, die im Sommer 2019 und im Vorjahr auf dem Vincentius-Areal stattfanden, sind abgeschlossen. Die Landesbank Baden-Württemberg Immobilien GmbH, der das Gelände gehört, lässt längst die Neubebauung vorbereiten. Die Wissenschaftlerinnen Caroline Bleckmann vom Landesamt für Denkmalpflege und Carola Berszin, selbstständig tätige Anthropologin, berichten, welche Schlüsse sie bereits aus den Skelettfunden ziehen können.
Dies werten die Archäologen anhand der Knochen aus
Alter und Geschlecht, Körpergröße und Körperumfang – all dies können die Wissenschaftler aus den Knochenfunden ableiten, berichtet Carola Berszin, und diese Faktoren werden bei jedem Knochenfund bestimmt. So bekommen die Anthropologen ein gutes Bild davon, wer auf dem ehemaligen Schottenfriedhof begraben wurde. Berszin hat die Grabungen auf dem Vincentius-Areal betreut.
Die Skelette wurden gereinigt und nach anatomischen Merkmalen gelagert. Nun untersuchen Berszin und ihr Team die Knochen nach verschiedenen Kriterien: Krankheiten, Traumata, also Unfallfolgen. Außerdem versuchen sie, einzelne Personen zu identifizieren, soweit dies möglich ist. Letzteres funktioniert nur mithilfe eines Gräberfeldplans, den die Wissenschaftler im Stadtarchiv fanden.

Was die Knochen verraten – und was nicht
Krankheiten an den Knochen abzulesen, sei zunächst nicht einfach, erläutert Carola Berszin: „Die meisten Krankheiten hinterlassen keine Spuren am Knochen“, sagt sie. Einige Hinweise gibt es aber doch: An Zähnen und Knochen seien etwa Hinweise auf Hungersnöte zu finden. Sei ein Mensch auf Dauer mangelernährt, erkenne man das beispielsweise an der Rachitis, einer Knochenkrankheit, die durch Vitamin-B-Mangel entsteht. Ein verknöcherter Muskelansatz wiederum könne Hinweise auf eine Überlastung des Muskels geben – die Ursache sei meist ein Unfall.
Gewalteinwirkung ist am Knochen erkennbar
Unfälle und Gewalteinwirkung sind leichter zu erkennen: In den Gräbern auf dem Schottenfriedhof sind zahlreiche Kriegsopfer begraben. Man erkennt Stichverletzungen zum Beispiel an den Schäden, die sie am Knochen verursachen. Ein Schwerthieb wiederum spaltet einen Schädel sauber in zwei Hälften – auch solche Funde gab es in den Gräbern.

Massengräber deuten auf Krisensituationen hin
Ein Grab sage auch viel aus über die Lage, in der sich eine Gesellschaft zu dieser Zeit befindet, berichtet Caroline Bleckmann. „Je weniger Mühe man sich gab mit der Bestattung, desto größer war die Krise„, so fasst es die Archäologin zusammen. Massengräber wurden in Kriegs- und zu Seuchenzeiten gebraucht: in Situationen, in denen Leichen schnell bestattet werden müssen. Seuchenzeiten hat es im Mittelalter und in der frühen Neuzeit immer wieder und in raschen Abfolgen gegeben. Betroffen war die Bevölkerung von der Cholera, Tuberkulose und der Pest. „Oft findet man auch den abgetöteten Pesterreger in diesen Massengräbern“, berichtet Berszin. Er sei aber meist schwierig zu datieren.
Der Aberglaube ist zu jeder Zeit präsent
Dass Menschen Angst vor Verstorbenen hatten, lasse sich ebenfalls an den Grabfunden zu jeder Zeit seit dem Mittelalter ablesen, berichten die Wissenschaftlerinnen. Erkennbar sei dies an jenen Skeletten, bei denen man dem Toten erkennbar einen Stein in den Mund gelegt habe. „Das sind Skelette sogenannter Nachzehrer“, erläutert Berszin.

Man sagte ihnen nach, sie könnten den lebenden Angehören die Lebensenergie aussaugen, Vampiren ähnlich, erläutert die Anthropologin. Die Menschen hätten auch befürchtet, dass sie sich aus dem Grab herausgraben könnten und bestatteten diese Toten deshalb in Bauchlage. „Vor diesen Menschen hatten ihre Mitmenschen meist bereits zu Lebzeiten Angst. Aus diesem Grund entstand nach deren Tod der Aberglaube“, ergänzt Caroline Bleckmann.