„Wir sind nur Freunde, keine Vereinsmitglieder, Funktionäre, Geschäftspartner oder gar Geheimbündler.“Daniel Gross
Wir – das ist der Delphin-Kreis Konstanz. Gegründet 1981. Grafik-Designer Herbert Hofmann hatte die Idee, die Historie der Stadt am Leben zu erhalten. Er trommelte vier Gleichgesinnte zusammen: Dieter Städele, den Geschichtslehrer vom Humboldt-Gymnasium, Gernot Blechner, den Bauingenieur mit einem Faible für bauhistorische Themen, Immo Göpfrich und Rainer Meschenmoser vom Wirtschaftsförderungsamt.

Die Fünf besiegelten ihren Kreis am 3. April 1981. Willi Sutter, der Industriekaufmann, sprang bald für Immo Göpfrich ein. Bauunternehmer Werner Schupp stellte den Herren einen Raum in seinem sagenumwobenen Haus „zum Delphin“ zur Verfügung – womit der Name geboren war: Delphin-Kreis.
Einmal im Monat sitzen sie an der Tafel im zweiten Stock des historischen Gebäudes in der Hussenstraße aus dem Jahr 1313 und reden querfeldein
Themen gehen nie aus. Die niedrige Holzdecke wird zusammengehalten von 500 Jahre alten schmiedeisernen Nägeln.
Hier wird Stadtgeschichte geatmet. Hieronymus von Prag hatte hier sein Quartier Zeit des Konzils, seine Gastgeberin war die Witwe Fida Pfister. „Man darf sich das aber nicht als ein Hotel in unserem heutigen Sinne vorstellen“, erklärt Dominik Gügel, Direktor des Napoleonmuseum Arenenberg. „Wir wissen nicht, ob er in der guten Stube geschlafen hat oder in einer Kammer hinterm Haus. Da verliert sich unsere Weisheit.“

Aus der Tatsache, dass die Delphiner solche geschichtlichen Abläufe nicht zu 100 Prozent deuten können, schöpfen sie Kraft und Motivation.
„Wir wollen die Geschichte der Nachwelt übermitteln“, erklärt Katharina Schlude, die im Herbst in den Kreis berufen wurde, als Gründungsmitglied Gernot Blechner starb. Es ist ein unbeschriebenes Gesetz, dass nur bei Tod oder Wegzug eines Mitglieds eine neue Person beitreten kann.

Daher sieht die heutige Besetzung so aus: Harald Derschka, Daniel Gross, Dominik Gügel, Rainer Meschenmoser und eben Katharina Schlude, die das erste weibliche Mitglied ist – was früher undenkbar gewesen wäre.
Oder, Rainer Meschenmoser? Der letzte Verbliebene Delphin der ersten Stunde stellt klar: „Katharina ist belebend und mit ihrem Wissen enorm wichtig. Ohne sie läuft nichts.“ Nein, Katharina Schlude, die im normalen Leben die Pressearbeit des Rosgartenmuseums organisiert, gehört fest dazu zum erlauchten Kreis der Delphine.
Das Haus „zum Delphin“ ist das einzige Wohnhaus der Stadt, das sich seit dem späten Mittelalter kaum verändert hat und noch in der alten Qualität erhalten ist
„Wir können nur hoffen, dass es als Dokument spätgotischer Wohn- und Lebenskultur niemals in die Hände gewissenloser Spekulanten fällt“, sagen die Delphiner. Der jetzige Besitzer legt großen Wert darauf, das Haus als kulturelle Begegnungsstätte zu bewahren. Neben dem Delphin-Kreis treffen sich hier diverse Kulturvereinigungen oder Gruppen zum Austausch.

Voller Ehrfurcht nimmt der Besucher die Holztreppen in die oberen Stockwerke, vorbei an mehrere hundert Jahre alten Fundstücken, die im Flur hinter Glas präsentiert werden.
Das Haus ist ein Museum, ohne ein Museum zu sein
„Für uns geht es aber nicht nur um die Geschichte der Altstadt, sondern auch um die Vororte, den Bodanrück oder den Thurgau“, erklärt Daniel Gross, so etwas wie Mister Wollmatingen und rhetorisch brillanter Stadtführer mit einem unerschöpflichen Fundus an historischem Wissen.

Ein Mysterium ist und bleibt die Bezeichnung Delphin. Daniel Gross erklärt auf seinen Stadttouren exotische Häusernamen wie Elefant, Leopard, Affe, Kamel oder weißer Bär gerne so, dass sie auf mittelalterliche Handelsverbindungen mit fernen Ländern hinweisen.
„Auch wenn das Haus erst seit 1601 mit diesem Namen nachweisbar ist, kann der Name schon viel länger auf dem Haus liegen: Entweder sind die alten Urkunden oder Papiere aus früherer Zeit nicht oder nur lückenhaft überliefert, oder es gab keinen Anlass, den Namen zu erwähnen.“Daniel Gross
In unregelmäßigen Abständen publizieren die Delphiner in ihren Büchern die Ergebnisse ihrer unabhängigen Studien. Seit 1986 sind zwölf Werke mit 130 Beiträgen auf 3000 Seiten erschienen. Das Themenspektrum ist vielfältig; die Schwerpunkte sind die Bau- und Nutzungsgeschichte historischer Gebäude und einzelner Straßenzüge oder Quartiere, die Geschichte ganzer Stadtteile, Biografien, Kunst oder Darstellungen von Überblicken.

Harald Derschka wundert sich, dass in einer Stadt wie Konstanz keine stadtgeschichtlichen Zeitschriften existieren – wie an anderen Orten zum Beispiel „Heilbronnica“, „Ludwigsburger Geschichtsblätter“, „Reutlinger Geschichtsblätter“, „Esslinger Studien“ oder „Ulm und Oberschwaben“: „Diese Zeitschriften werden von den lokalen Geschichts- und Heimatvereinen oder den Stadtarchiven herausgegeben, die Kommune beteiligt sich an den Produktionskosten“, sagt er. „Demgegenüber sind die Delphin-Bücher weitestgehend durch private Initiative und Zuwendungen zustande gekommen.“
Und die Bücher haben große Strahlkraft: Als Gernot Blechner in den 80er Jahren in einem fundierten Artikel Zweifel äußerte, dass Jan Hus tatsächlich im von der tschechoslowakischen Regierung gekauften Jan-Hus-Haus wohnte, kam es zu diplomatischen Spannungen zwischen dem Land des Ostblocks und der Bundesrepublik.