"Das letzte Jahr war schon wegweisend, auch was unsere Rechte angeht", sagt Christin Löhner. Die neue Vorsitzende des Vereins Christopher-Street-Day (CSD) in Konstanz meint damit die Öffnung der Ehe für alle und die Forderung des Bundesverfassungsgerichts, ein drittes Geschlecht im Geburtenregister einzutragen. Beide Entscheidungen fielen im Herbst 2017. Am Ziel, der vollständigen Gleichbehandlung aller Menschen, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung, sei Deutschland aber noch lange nicht, meint Löhner.
Neue Vorsitzende erlebte Erniedrigungen wegen ihrer Sexualität
Sie ist selbst transsexuell, organisiert bereits seit längerer Zeit eine Selbsthilfegruppe zum Thema Transsexualität im Raum Bodensee und Hegau. Jetzt hat sie auch den CSD-Vereinsvorsitz übernommen. "Die Hürden, die uns Bürokratie und Politik zur Anerkennung unserer Sexualität auferlegt, sind Wahnsinn, von den Erniedrigungen einmal ganz abgesehen," stellt Löhner fest. Vor Gutachtern habe sie einen Ball werfen müssen. Das sollte beweisen, dass ihre Technik dabei "eher weiblich als männlich" sei, erinnert sie sich. Ein Psychiater habe mittels Fragebogen bewertet, wie aggressiv sie sei. "Solche Dinge habe ich das letzte Mal bei der Bundeswehr-Musterung erlebt", sagt Löhner.
Kein Eintritt für Veranstaltungen im Stadtgarten
In Konstanz herrsche dagegen eine große Offenheit gegenüber ihrer sexuellen Orientierung. Zeugnis dafür sei unter anderem der stete Erfolg des CSD in Konstanz und Kreuzlingen. Alle zwei Jahre demonstrieren Menschen dort für die Rechte von Homo-, Bi-, Inter- und Transsexuellen. 2017 nahmen 600 Menschen an der Parade teil, mehrere tausend feierten später ausgelassen im Stadtgarten weiter – bei freiem Eintritt. "Niemals" werde der Verein Geld für die Besucher verlangen, erklärt Löhner.
Doch dass der weltweit einzige grenzübergreifende CSD überhaupt eine Zukunft haben wird, war zeitweise alles andere als gesichert. Der überraschende Rücktritt der beiden langjährigen Vereinsvorstände Stefan Baier und Christof Stelz hat laut Löhner zu einer Schockstarre geführt. Sie wollen sich künftig mehr für Tierrechte einsetzen und haben hierfür einen neuen Verein gegründet. "Die Entscheidung der beiden kam für uns aus heiterem Himmel", sagt Löhner. Gemeinsam mit ihrer Lebensgefährtin Michelle Bilgeri entschloss sie sich deshalb, den verbliebenen zweiten Vorstand, Nick Schlossberger, zu unterstützen und die Arbeit von Baier und Stelz fortzuführen.
Ausgabe für 2019 stand laut Christin Löhner "auf der Kippe"
Mit ihnen sei auch nahezu das gesamte Organisationsteam der beliebten Parade über die deutsch-schweizerische Grenze weggebrochen. "Die Ausgabe für das Jahr 2019 stand auf der Kippe", gibt Löhner zu. Stand, weil sie inzwischen überzeugt ist: "Wir machen das nächstes Jahr. Notfalls sammeln wir zumindest so viel Geld, dass wir die Strafe bezahlen können, die uns bei einer kurzfristigen Absage blühen würde", erklärt sie. 2017 hat die Parade samt Kulturprogramm im Stadtgarten rund 50 000 Euro gekostet. Gagen, Hotel- und Reisekosten für die Künstler machten den größten Posten aus, zählt Löhner zusammen.
Einen Teil davon nehmen die Organisatoren durch Sponsoren ein, die Stadt schoss aus dem Topf für Kulturförderungen zuletzt 7100 Euro zu. "Mindestens die Hälfte finanziert sich aber durch die Benefiz-Parties, eher mehr", rechnet Christin Löhner vor. Zehn bis zwölf dieser Parties finden jährlich statt. In der Gemeinschaft der LSBTTIQ-Menschen (für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transsexuelle, Transgender, Intersexuelle und Queer) kommen sie gut an. Ein Ziel des neuen Vorstands lautet deshalb: mehr dieser Benefiz-Parties zu veranstalten. "Auch um einen finanziellen Puffer zu haben", sagt Löhner. Bislang sei die Rechnung immer bis auf "wenige hundert Euro" aufgegangen, das finanzielle Risiko deshalb entsprechend groß gewesen.
Infos für Helfer
- Geschichte: Bekannt ist der Konstanzer Christopher-Street-Day (CSD) seit 2005. Die erste Demonstration in der Stadt fand bereits 1992 statt, damals mit rund 50 Teilnehmern. Inzwischen nehmen am Kulturprogramm mehrere tausend Menschen teil. Seine Ursprünge gehen auf das Aufbegehren von Homosexuellen und Angehörige anderer sexueller Minderheiten am 27. Juni 1969 in der Christopher Street in New York zurück.
- Freiwillige gesucht: Wer Interesse hat, bei den CSD-Parties zu helfen, ist laut Vorstandsteam herzlich willkommen. Die Aufgaben erstrecken sich von der Kontaktaufnahme mit Veranstaltern und DJs über die Terminvereinbarung bis zum Kassieren in zwei bis drei Schichten pro Abend. Für alle Aufgaben gebe es eine ausführliche Einweisung. Weitere Informationen gibt es per E-Mail an info@csd-konstanz.de oder telefonisch bei Christin Löhner unter (0176) 478 72 110.