Die Narrengesellschaft Niederburg wird die Lieder von Willi Hermann nicht mehr aufführen. Dies bestätigt Mario Böhler, Präsident des Vereins, dem SÜDKURIER. Die Entscheidung sei demnach nach Gesprächen mit Heinz Maser und Norbert Heizmann und im Einvernehmen mit dem 13er-Rat gefallen. Sie gelte für das Bühnenprogramm des Fasnachtsauftakts, das Narrenspiel und die TV-Übertragung des SWR.

Podiumsdiskussion wird verlegt, fällt aber nicht aus

"Wir sind uns einig darüber, dass wir die Lieder von Willi Hermann nicht aufführen werden, bis die gesamte Faktenlage von Herrn Klöckler dargelegt werden kann", erklärt Böhler. Der SÜDKURIER hat daraufhin beschlossen, eine für Montag, 17. September, im Konzil Konstanz geplante Podiumsdiskussion zu verlegen. Sie soll nach Abschluss der derzeit laufenden weiterführenden Recherchen von Stadtarchivar Jürgen Klöckler nachgeholt werden.

Diese führten offenbar maßgeblich zur jetzigen Entscheidung der Niederburg. Bereits Klöcklers im August im SÜDKURIER veröffentlichten Forschungsergebnisse zu Hermanns Vita förderten zutage: Bei dem 1907 in Stockach geborenen Mann handelte es sich um einen Propagandaredner und Schulungsleiter der Nationalsozialisten. Mutmaßlich war der spätere Liederschreiber ("Ja, wenn der ganze Bodensee") zudem an Kriegsverbrechen beteiligt.

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Abschluss der Forschungen soll abgewartet werden

Klöckler erklärt nun: "Die Recherchen gestalten sich sehr schwierig, ständig taucht neues Material in diversen Archiven auf." Die Arbeit des Historikers soll demnach in einem wissenschaftlichen Aufsatz über Hermann münden, dafür benötige es jedoch Zeit. Erst auf der Basis eines solchen Aufsatzes, erklärt Klöckler, "kann eine ernsthafte, sachliche und seriöse Diskussion geführt werden".

Tobias Engelsing, Leiter der städtischen Museen, und Wolfgang Mettler, der zu einem ursprünglich geplanten Festakt zu Ehren von Hermanns 111. Geburtstag dessen Lieder neu arrangiert hatte, folgen der Argumentation Klöcklers. Engelsing sagt: "Erst auf Basis eines umfassenden biografischen Bildes kann das Nachkriegsverhalten und das Wirken Hermanns in der Konstanzer Fasnacht abschließend beurteilt werden."

Niederburg-Präsident nimmt Bezug auf aktuelle gesellschaftliche Lage in Deutschland

Auch die Reaktionen nach Enttarnung Hermanns als begeisterter Nationalsozialist führten offenbar zum Entschluss, vor einer weiteren Diskussion erst einmal abzuwarten. Museumsleiter Engelsing erklärt hierzu: "Viele Narren beharren darauf, dass die schönen Nachkriegs-Lieder von Willi Hermann doch überhaupt nichts mit seinen Taten vor 1945 zu tun hätten: Man könne Leben und Werk trennen, heißt es immer wieder, auch mit Hinweis auf Richard Wagner und seinen Antisemitismus." In einem Interview mit dem SÜDKURIER nach den ersten Enthüllungen hatte er sich klar gegen ein öffentliches Weiter-so ausgesprochen.

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Für die Niederburg-Narren hat auch die aktuelle gesellschaftliche Entwicklung eine Rolle gespielt. Vereinspräsident Mario Böhler erkennt in der Berichterstattung aus Chemnitz und Sachsen: Die Vergangenheit ruhe eben nicht. "Vielmehr nehmen die geistigen Brandstifter wieder zu und was noch viel schlimmer ist: Diejenigen, die diesen irrlichternden Typen zuhören, werden auch wieder mehr," sagt Böhler.

Böhler: "Nicht den Hauch eines Verdachts aufkommen lassen"

Die Niederburg distanziere sich in aller Form von extremistischem Gedankengut. Mit dem Verzicht auf das Singen der Hermann-Lieder wolle der Verein laut Böhler "gar nicht den Hauch eines Verdachts aufkommen lassen, dass wir einem NS-Propagandaredner und Kriegsverbrecher eine große Bühne bereiten".

Etliche Zuschriften an den SÜDKURIER scheinen eine Einschätzung von Tobias Engelsing zu belegen. Er ging nach Bekanntwerden von Willi Hermanns Vergangenheit davon aus, dass viele seiner Lieder auf den fasnächtlichen Straßen weitergesungen würden. Ein Einwand, der den Historikern um Jürgen Klöckler zudem entgegnet worden war: Mögliche Kriegsverbrechen Hermanns seien nicht bewiesen, für ihn müsse daher die Unschuldsvermutung gelten.

Beweiskräftiges Bild über Willi Hermanns Biografie soll Zweifel zerstreuen

Dem Vorwurf, die anfänglich vorliegenden Quellen haben zu einem vorschnellen Urteil geführt und missachte Hermanns Rolle als gefeierte Fasnachtsgröße nach 1945, wollen die Beteiligten nun begegnen. "Diesen Schuh ziehen wir uns nicht an", sagt Engelsing stellvertretend. "Vor dem Hintergrund dieser offenkundig geschichtsrelativierenden Haltungen ist es erforderlich, die wenigen bisher bekannt gewordenen Details und Hinweise zu einem beweiskräftigen Bild abzurunden."

Hinweise auf längerer Kenntnis von Hermanns Vergangenheit

Vor allem was Hermanns Rolle bei der Fasnacht in seiner Heimatstadt Stockach vor 1945 angeht, seien laut Engelsing "mutmaßlich weitere gravierende Aspekte zu erwarten, wie erste Untersuchungen zeigen". Demnach gebe es inzwischen auch Hinweise, nach denen die Narren nach 1945 um die Vergangenheit Willi Hermanns wussten. Engelsing: "Es litten ja nicht alle an Amnesie, nur am allgemeinen Schweigegebot der Täter."