Andreas Schuler

Bereits im September hat sich der Autor mit Peter Müller zum Gespräch getroffen. Die Krankenkasse des Rollstuhlfahrers wollte vor einigen Wochen nur einen Teil der Kosten für einen neuen Rollstuhl übernehmen, der für den ab dem siebten Halswirbel Querschnittgelähmten notwendig ist. Über diese finanziell und psychisch belastende Situation hat Peter Müller mit uns gesprochen und dabei auch erzählt, wie es zu der schlimmen Verletzung vor 30 Jahren kam.

1987 geriet der heute 46-Jährige völlig unverschuldet in diese Lage: Er war als Sozius mit einem Freund auf dessen Moped unterwegs. Das Zweirad geriet auf die Gegenbahn, Peter Müller wurde auf die Straße geschleudert und von einem Polizeiwagen im Einsatz überrollt. Nach Monaten im Koma erwachte der damals noch Jugendliche mit acht Schrauben und vier Stangen in der Wirbelsäule.

Seitdem ist der Rollstuhl der ständige Begleiter im Leben von Peter Müller, der 18 Stunden am Tag darin sitzend verbringt. Der physische Gesundheitszustand des Konstanzers wird sich nie mehr bessern. Das sagen die Ärzte. Dennoch muss er jedes Mal mit der Krankenkasse verhandeln, wenn er einen neuen Rollstuhl bestellen muss.

Peter Müller kennt dieses „Gezeter“ schon aus dem Jahr 2013. Auch damals benötigte er einen neuen Rollstuhl, doch die Krankenkasse wollte nur rund 60 Prozent übernehmen. Erst nach zweimaligem Einspruch sagte man ihm schließlich eine Kostenübernahme von 85 Prozent zu.

Nun weist der damals bestellte Rollstuhl Verschleißerscheinungen auf. Beispielsweise ist die Aufhängung der Lenkachse verbogen, weshalb die Federung nicht mehr richtig funktioniert. Dies kann zur weiteren Verschlechterung von Müllers Gesundheitszustands führen. Ein neuer Rollstuhl muss her! Doch es beginnt das gleiche Spiel wie vor vier Jahren.

Erneut legt der Mann mit körperlicher Behinderung Einspruch ein und die Reaktion der Krankenkasse lässt nicht lange auf sich warten. Nun steht sogar die Befürchtung im Raum, dass er ganz ohne Rollstuhl auskommen müsste.

Soweit kommt es schlussendlich nicht: Zwar wurde ein  Unternehmen von der Krankenkasse beauftragt, um den verschlissenen Rollstuhl in Konstanz abzuholen. Doch zu diesem Zeitpunkt war die tatsächliche Finanzierung des neuen Rollis nicht abschließend geklärt. Müller behielt den Rollstuhl und wandte sich hilfesuchend an die Lokalredaktion Konstanz.

Nachdem sich der Autor mit Peter Müller getroffen und sich dieser Angelegenheit angenommen hat, rudert die Krankenkasse zurück. Nun werden mehr als 90 Prozent der Kosten von dieser übernommen. Pressesprecherin Marion Busacker erklärt: „Es kam zu einer Neubewertung, mit dem Ergebnis, dass Herr Müller einen höherwertigen Rollstuhl erhält, für den die Barmer auch entsprechend höhere Kosten übernimmt.“ Die Krankenkasse begründet die zunächst geringere Kostenbeteiligung damit, dass sie die „wesentlichen Informationen zur Prüfung des Antrags“ erst zu einem späteren Zeitpunkt erhalten habe.

Ist es denn so, dass ein Mensch mit Querschnittlähmung bei jedem neuen Rollstuhl beweisen muss, dass er nach wie vor querschnittgelähmt ist? Dazu sagt die Pressesprecherin: „Nein, selbstverständlich muss Herr Müller das uns gegenüber nicht nachweisen. Aber es ist so, dass jeder Antrag bei uns geprüft wird, und zwar unabhängig von vorhergegangenen Anträgen.“

Stephan Grumbt, Behindertenbeauftragter der Stadt Konstanz, ist froh, dass Müller Einspruch eingelegt hat. Auch er ist auf einen Rollstuhl angewiesen, kennt diesen Vorgang bestens: „Medizinische Hilfsmittel oder Reha-Produkte sind mittlerweile ein Wirtschaftszweig mit großer Lobby. Jedes Mal muss man von neuem fachärztliche Begründungen liefern. Also ob Herr Müller plötzlich nicht mehr querschnittgelähmt wäre. Das ist ermüdend und entwürdigend.“ Zum Ende stellt er eine Frage, auf die er keine Antwort erwartet: „Glauben die denn, dass wir zum Vergnügen in diesen Rollstühlen sitzen?“