Durch den Klimanotstand wird sich die Umweltpolitik der Stadt verändern müssen: Weg vom Auto, hin zu verträglichem Bauen – und sie wird teuer werden
Der Konstanzer Gemeinderat hat auf die Schülerproteste reagiert. Damit sollen künftig alle Entscheidungen unter dem Aspekt des Klimaschutzes fallen. Der scheidende Gemeinderat hinterlässt den Nachfolgern nach der Wahl damit ein großes Thema, bei dem sich die Bürger bei weitem nicht einig sind.
Seit Februar dieses Jahres streiken auch in Konstanz Schüler für das Klima – und feiern nun ihren deutschlandweit bislang größten politischen Erfolg: Der Gemeinderat hat als erster in Deutschland den Klimanotstand ausgerufen.
| Bild: Hanser, Oliver
Auf den Straßen rumort es wieder. Weltweit folgen junge Menschen dem Vorbild einer 16-jährigen Schwedin mit dunkelbraunen Zöpfen und treten für das Klima in den Schulstreik. Mit ihren Forderungen für die Umwelt treiben sie die Politik vor sich her.
Auch in Konstanz. Hier entfaltet der Einsatz der Fridays-for-Future-Aktivisten inzwischen eine konkrete Wirkung auf das, was man mitunter als das gesellschaftliche Fundament bezeichnet: die Kommunalpolitik.
Denn infolge der seit Anfang Februar anhaltenden Proteste hat Konstanz Anfang Mai als erste Stadt in Deutschland den Klimanotstand ausgerufen. Ein Schritt, den bislang nur Metropolen wie Los Angeles in den USA, Vancouver in Kanada und London in England gegangen sind und der ein weltweites Medienecho erzeugte. Auch die New York Times berichtete.
Dieser auf den ersten Blick eher symbolisch anmutende Akt wird, sofern die Resolution tatsächlich konsequent umgesetzt wird, die Politik der Stadt künftig mitbestimmen und -prägen, besonders nach der Kommunalwahl. Denn der Gemeinderat erkennt mit seiner einstimmigen Entscheidung „die Eindämmung der Klimakrise und ihrer Folgen als Aufgabe von höchster Priorität an“, wie es unter dem ersten Punkt der Erklärung heißt.
Konkret bedeutet das, dass die Konstanzer Stadträte den Klima-, Umwelt- und Artenschutz ab Juni stärker in ihren Entscheidungen berücksichtigen; dass sie all diejenigen Lösungen vorziehen, die mit diesen Punkten im Einklang stehen; dass sie ein Maßnahmenpaket umsetzen, mithilfe dessen die Ziele des Weltklimarates, darunter die Erderwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, doch noch erreicht werden sollen.
Frage an Gemeinderats-Kandidaten: Wer muss als erstes verzichten, wenn die Stadt den CO2-Ausstoß bis 2050 auf ein Minimum reduzieren will?
Bürger sollen aufs Rad umsteigen
Helfen soll hierbei auch ein Umdenken unter den Konstanzer Bürgern. Denn ein Punkt des Maßnahmenpakets zum Klimanotstand sieht vor, den Autoverkehr in der Stadt zu reduzieren. Die Wahl der Verkehrsmittel müsse sich wandeln, nämlich weg vom Automobil, hin zum Fahrrad und zum öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV), heißt es in der Resolution weiter.
Tatsächlich leidet Konstanz nicht nur an Wochenenden unter einem hohen individuellen Verkehrsaufkommen. 32.130 private PKW waren im Jahr 2017 hier gemeldet, knapp 17.000 Menschen pendeln laut Statistischem Landesamt jeden Tag zu ihrem Arbeitsplatz in der Stadt.
Mobilität in Einklang zu bringen mit den nun festgeschriebenen Zielen zum Schutze des Klimas, das dürfte eine der zentralen Herausforderungen des kommenden Gemeinderats werden.
Denn auch wenn die Stadt zuletzt beim Fahrradklimatest des Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Clubs (ADFC) in der Kategorie Aufholer deutschlandweit den ersten Platz belegte, Radfahren in Konstanz also einen immer besseren Ruf genießt, so tat sie es mit einer Gesamtnote von 3,1. Zwischen dem bereits 2017 formulierten Anspruch auf einen Wandel der Mobilität und der tatsächlichen Wirklichkeit existiert also weiterhin eine Kluft.
Eine weitere wichtige Herausforderung für die Umweltpolitik der Stadt ist das Thema Wohnen
Die Zahl der Einwohner steigt, Wohnraum wird knapper. 87.044 Menschen lebten 2017 in Konstanz, 79.299 waren es vor 20 Jahren, ein Anstieg um knapp zehn Prozent. Die Folge: Immer mehr Wohnbauvorhaben werden umgesetzt, wie am Zähringerplatz oder am Pfeiferhölzle, und immer mehr geplant, wie auf dem früheren Siemens-Areal oder am Hafner.
Der Druck, Freiflächen inmitten der Stadt in Bauland zu verwandeln, steigt also weiter, Grünflächen verschwinden. Ein umweltverträgliches Wohnkonzept besitzt deshalb hohe Priorität.
Auch diese Aufgabe hat sich der Gemeinderat mit dem Klimanotstand nun auf die Fahnen geschrieben. Neben einem entsprechenden Grünflächen-Ausgleich ist deshalb laut Resolution eine klimaneutrale Energieversorgung von Neubauten nötig. Ziel ist ein möglichst hoher Anteil lokal verfügbarer regenerativer Energien, auch durch eine Solarpflicht für Neubauten. Angedacht ist diese Klimaneutralität beispielsweise für den Hafner, das am Rande von Wollmatingen geplante Neubaugebiet, auf dem frühestens Ende der 2020er Jahre rund 2700 Wohnungen entstehen sollen.
Umweltverbände wie der BUND kritisieren indes, dass dabei jede Menge Lebensraum für Tiere für immer zerstört werde. Sie fordern deshalb eine ökologische Baubegleitung dieses Großprojekts.
Frage an Gemeinderats-Kandidaten: Wie viel unversiegelte Fläche darf Konstanz noch für den Bau von Wohnungen opfern?
Sanierung des Altbaubestands ist nötig
Aber nicht nur der neue geschaffene Wohnraum benötigt eine bessere Klimabilanz. Besonders Altbauten, wie sie im Musikerviertel, im Paradies, in Stadelhofen oder in der Altstadt stehen, sind unersättliche Energiefresser und müssen dringend saniert werden. Zu ihnen zählen auch zahlreiche städtische Gebäude. In der Vergangenheit ist hier vonseiten der Stadtverwaltung noch zu wenig getan worden.
Wie gehen Umweltschutz und Baumfällungen zusammen?
Dass in Konstanz der Umwelt- und Naturschutz grundsätzlich nicht immer ganz oben steht oder stand, zeigt auch die Abholzung des Büdingen-Areals. Unter dem Protest zahlreicher Bürger hatten Arbeiter im Herbst vergangenen Jahres auf dem Gelände 54 teilweise jahrhundertealte Bäume gefällt – hinter Absperrbändern und geschützt durch die Polizei. Zuvor hatte die Stadtverwaltung dem Bauherren unter der Auflage einer Ausgleichszahlung die Genehmigung zur Abholzung erteilt.
Örtliche Interessenvertreter und Umweltverbände wie der BUND kritisieren diese Entscheidung noch heute als unnötig. Die Stadtverwaltung hingegen steht weiterhin zu ihrem Vorgehen.
Versäumnisse beim Klimaschutzprogramm
In Zeiten des Klimanotstandes – von sinkenden Wasserpegeln, Hitzesommern und frühjährlicher Waldbrandgefahr – sind es aber nicht nur streikende Schüler, die den Fokus in Konstanz auf das Thema Umwelt legen. Maike Sippel, Professorin für nachhaltige Ökonomie an der HTWG, und Caroline Wolf, Ärztin für Psychiatrie am ZfP, haben gemeinsam mit ihren Ehemännern sogenannte Wahlprüfsteine erstellt (Anklicken zum Öffnen):
Durch sie haben die beiden Frauen die Haltung der Stadtratsfraktionen zu verschiedenen umweltpolitischen Themen in Konstanz befragt. „Die kommunale Ebene ist sehr nah dran an den Menschen“, sagt Maike Sippel, „die wichtigen Themen mit Auswirkungen auf die Umwelt finden hier statt“.
Ein Punkt dieser Wahlprüfsteine betrifft dabei die Zertifizierung durch den European Energy Award (EEA), ein Programm, das die Maßnahmen von Kommunen in Sachen Klimaschutz nach einem Punktesystem bewertet – und ihren Einsatz im besten Falle mit Gold prämiert. Städte, die 75 Prozent der Anforderungen erfüllen, erhalten diese Auszeichnung. Mit nur 58,4 Prozent hatte Konstanz diese 2017 allerdings deutlich verfehlt. Auch das zeigt, dass die Stadt am See in Sachen Umwelt- und Klimaschutz bis zuletzt hinterherhinkte.
Mit dem Klimanotstand soll sich das künftig ändern und die Versäumnisse der Vergangenheit beim EEA aufgeholt werden. Darin sind sich zumindest die Stadtratsfraktionen einig, die von Maike Sippel und Caroline Wolf zu diesem Thema befragt wurden.
Dabei helfen müsse aber jeder Einzelne, sagt Maike Sippel: „Die Stadt alleine schafft es nicht, sie braucht dabei auch die Hilfe der Bürgerinnen und Bürger.“