Der laute Knall riss zahlreiche Bewohner des Konstanzer Stadtteils Petershausen unsanft aus dem Schlaf: Am Dienstagmorgen um 7.48 Uhr krachte ein 28 Meter hoher und rund 20 Tonnen schwerer Baukran, der nur 100 Meter neben dem Petershauser Bahnhof stand, auf eines der beiden Gleise der Zugstrecke und mit dem Schwenkarm auf einen abgesperrten Gehweg direkt neben einem Mehrfamilienhaus. Die Sachverständigen haben noch keine Unfallursache genannt. Die Bundespolizei geht davon aus, dass der Kran bei Hebearbeiten aus dem Gleichgewicht geriet. Seit einem Jahr laufen die Bauarbeiten einer neuen Überführung. Das aufgrund seiner Form als Zorro-Brücke bezeichnete Bauwerk soll den Verkehrsfluss zwischen Petershausen und Konstanz beschleunigen.
Wenige Sekunden bevor der mächtige Kran zu Boden ging, hatte sich die Regionalbahn Seehas in Bewegung gesetzt, um Pendler vom Petershauser Bahnhof an den Konstanzer Bahnhof zu bringen. „Wir wussten zunächst nicht, was los war“, berichtet Fahrgast Bernd Erdmann, der auf dem Weg zur Arbeit war. „Dann kam eine Durchsage des Lokführers. Wir konnten den Zug schnell verlassen, da wir nur ein paar Meter neben dem Bahnhof standen.“ Augenblicke später erkannten die Fahrgäste, dass 100 Meter vor ihnen der umgekippte Kran die Strecke blockierte.

Doch nicht nur die Passagiere des Seehas konnten erleichtert aufatmen, auch die Bewohner der Mehrfamilienhäuser an der Strecke: Der Kran landete rund ein Meter daneben. „Wir hatten riesiges Glück im Unglück“, sagte Wolfgang Seez, Leiter des Tiefbau- und Vermessungsamtes der Stadt Konstanz. Michele Lagrutta, als Projektleiter bei der Stadt Konstanz verantwortlich für die Baustelle, ergänzt: „Was da alles hätte passieren können, wenn der Kran entweder drei Meter weiter links oder zehn Sekunden später umgefallen wäre.“ Die Anwohner der Gebäude entgingen knapp einer Katastrophe. „Da kommen einem schon die Gedanken“, sagte Reben Stier, der hier wohnt. „Als wir die Feuerwehr hörten, dachten wir erst an einen Brand. Ich bin ziemlich erschrocken, als ich den Kran vor dem Haus sah.“
Während der Kranführer kurz nach Beginn des Arbeitstages zwei große Bündel mit sogenannten Spannlitzen, die beim Verschalen des Gerüstes aus Gründen der Stabilität einbetoniert werden, umheben wollte, fiel der Kran der Länge nach auf Bahngleise und Radweg. In der offiziellen Pressemitteilung äußerte sich die Bundespolizei, die für die Sicherheit an Bahnhöfen und Gleisen zuständig ist, vorsichtig zur Unfallursache: „Vermutlich kam der Kran bei einem Entladevorgang aus dem Gleichgewicht.“ Kurz nach dem Unfall trafen Sachverständige der Prüfgesellschaft Dekra am Ort ein und widmeten sich der Bestandsaufnahme. „Wir wurden von der Staatsanwaltschaft beauftragt, die Polizei bei den Ermittlungen zu unterstützen“, sagte einer der Männer, der namentlich nicht genannt werden möchte. Die Sachverständigen machten Bilder, beschäftigten sich akribisch mit möglichen Unfallursachen aus den Bereichen Technik, Natur und Mensch.
„Jetzt geht es darum, ein Gutachten zu erstellen in Abstimmung mit der Staatsanwaltschaft.“ Hinweise auf Ursachen wollten die Experten nicht abgeben: „Das wäre jetzt alles Spekulation und würde nichts bringen.“ Es gebe keinen konkreten Hinweis, versicherten sie. Die Dekra geht davon aus, dass die Erstellung des Gutachtens mehrere Wochen in Anspruch nehmen wird.
Der Kran riss sowohl die Oberleitung der Bahn als auch das Prallseil zu Boden. Die umgehend alarmierte Notfallleitstelle der Deutschen Bahn in Karlsruhe nahm sofort den Starkstrom vom Netz. „Das ist für uns immer eine risikoreiche Angelegenheit“, sagte Wachleiter Klaus-Peter Wehner von der Feuerwehr, der als einer der Ersten am Unfallort war. Fünf Fahrzeuge mit 25 Mann waren im Einsatz. „Wir sprechen von 15 000 Volt“, so Klaus-Peter Wehner. „Wir können so eine Baustelle erst betreten, wenn die Deutsche Bahn bestätigt, dass der Strom abgeschaltet ist. Ansonsten besteht extrem hohe Lebensgefahr für uns.“
Nachdem die Bestandsaufnahme abgeschlossen war, wurde der Kran mithilfe eines Brennschneiders mit 1200 Grad heißer Flamme in Kleinteile geschnitten, die von einem weiteren Kran abtransportiert wurden. Gleichzeitig mussten die Arbeiter den Kran unter Spannung halten, damit beim Abtrennen die Teile nicht durch die Gegend geschleudert wurden. „Das ist eine extrem anspruchsvolle Arbeit“, sagte Bruno Fürst vom Krisenmanagement der Deutschen Bahn.
Die Baustelle
Am Petershauser Bahnhof wird seit Februar 2016 eine barrierefreie Fuß- und Radwegbrücke gebaut. Davon erhofft sich die Stadt eine bessere Anbindung des Stadtteils. Es entstehen Treppen, Rampen für Fahrräder und barrierefreie Aufzüge, die über die Gleise des Petershauser Bahnhofs führen.
Das läuft im Notfall bei der Bahn
Wie geht es nach dem Unfall am Petershauser Bahnhof weiter? Welche Mechanismen greifen, wenn auf einer Bahnstrecke ein Unfall passiert? Die Pressestelle der Deutschen Bahn AG in Stuttgart gibt Antworten.
- Bahnverkehr: Ein Sprecher der Deutschen Bahn in Stuttgart bestätigte gestern Abend auf Anfrage dieser Zeitung, dass der Bahnverkehr von und nach Konstanz ab heute voraussichtlich normal abläuft. „Wir können jedoch nichts garantieren, da wir auf äußere Einflüsse keinen Einfluss haben.“ Zwischen 18 und 19 Uhr stand der Bahnverkehr zwischen Konstanz und Radolfzell still, da die Oberleitungen repariert wurden. Während der Bergungsarbeiten fuhr der Seehas auf einem der beiden Gleise zwischen Radolfzell und Petershausen.
- Notfallkette: Passiert ein Unfall auf der Strecke, kommt eine Notfallkette zum Einsatz: In diesem Fall benachrichtigte der Zugführer des Seehas umgehend die Notfallleitstelle Süd mit Sitz in Karlsruhe.
- Ersatzverkehr: Können Züge nicht fahren, setzt die Deutsche Bahn einen Schienenersatzverkehr ein. In diesem Fall wurden Passagiere der Schwarzwaldbahn mit Ziel Konstanz Bahnhof ab Radolfzell mit Bussen weitergefahren. Diese Busse halten an den Stellen, wo auch der Zug gehalten hätte.