„Für mich ist das eine Sekte!“ Isante Thurau-Zürn hatte ein ungutes Gefühl, als ihre Mutter in den letzten Jahren ihres Lebens die Treffen des Bruno-Gröning-Freundeskreises besuchte. „Sie hat mich immer wieder überreden wollen, mitzukommen.“ Stets lehnte die Konstanzerin ab.
2014 verstarb die Mutter von Isante Thurau-Zürn. Auf ihr Erbe wartet die 46-Jährige seither vergebens. Sie vermutet einen Zusammenhang zwischen der Gruppe und einer Testamentsänderung, die ihre Mutter kurz vor dem Tod vorgenommen hat.
Ob der Bruno-Gröning-Freundeskreis, der sich selbst als eine Interessensgemeinschaft beschreibt, tatsächlich etwas mit dem Erbstreit zu tun hat? Auch wenn Isante Thurau-Zürn davon überzeugt ist, hat sie fünf Jahre nach dem Tod ihrer Mutter immer noch keinerlei Beweise. Klären lässt sich allerdings, was hinter der ominösen Gruppe steckt.
Wir haben dazu einen Experten befragt

Udo Schuster engagiert sich bei der Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus. Wir wollten von ihm wissen, was er vom Burno-Gröning-Freundeskreis hält – und was sich hinter drei weiteren Konstanzer Gruppen verbirgt, bei denen sich die Frage aufdrängt: Sekte oder nicht?
Bruno-Gröning-Freundeskreis

Die Gruppe und ihr Glauben:
Wer sich vom Konzil aus in Richtung Stephanskirche bewegt und in die Gasse „Vor der Halde“ einbiegt, kommt an einem Fenstersims vorbei, auf dem regelmäßig Informationsmaterial ausgelegt wird: Broschüren zu Meditations- und Anti-Stress-Angeboten zum Beispiel, manchmal aber auch Flyer und Poster, auf denen das Konterfei eines Manns mit schmalem Gesicht abgebildet ist: Bruno Gröning.
Gröning, der 1959 wegen einer Krebserkrankung starb, arbeitete zu Lebzeiten unter anderem als Bauarbeiter und Tischler. Nach seiner Zeit in sowjetischer Kriegsgefangenschaft trat er in Westdeutschland als Heiler auf.
Der Bruno-Gröning-Freundeskreis beschreibt sich heute als private, überkonfessionelle Interessengemeinschaft mit mehr als 80.000 „Freunden“ weltweit. Er wurde 1979 gegründet und die Anhänger glauben an eine höhere Kraft, die die Grundlage alles Lebendigen sei und Heilung geben könne. Bruno Gröning nannte sie Lebenskraft, Heilstrom oder göttliche Kraft.
Er habe davon ein genaues intuitives Wissen gehabt, heißt es auf der Homepage des Freundeskreises. Sein Wissen habe Gröning durch eine einfache Lehre nutzbar gemacht. Weiter heißt es dort: „Durch eine entsprechende Körper- und Geisteshaltung kann jeder Mensch die göttliche Kraft in sich aufnehmen. Dieser im Körper spürbare ‚Heilstrom‘ kann Hilfen und Heilungen, selbst von chronischen, degenerativen und schweren organischen Leiden, bewirken.“
Das sagt Sektenexperte Udo Schuster: „Der Bruno-Gröning-Freundeskreis ist eine Neuoffenbarungsbewegung, die christliche Elemente mit Lehren aus anderen Kulturkreisen vermischt. ‚Es gibt kein unheilbar‘, so die klare Aussage der Gruppe, die beispielsweise in einem YouTube-Video und auf zahlreichen der Gruppe nahe stehenden Internetseiten getroffen wird. Doch was ist, wenn es nicht funktioniert? War dann die Körper- und Geisteshaltung nicht entsprechend? Der Kranke wird für den Heilungserfolg selbst verantwortlich gemacht – der nach Gesundheit, Heil und Heilung Suchende zum Schuldigen gemacht, wenn es nicht funktioniert. Zur Krankheit kommt dann dazu, dass auch noch Schuldgefühle eingepflanzt werden. Übersteigerte und utopische Heilungserwartungen werden geweckt. Dass Leiden, Krankheit und Tod mit zum menschlichen Leben gehören, wird ausgeblendet.“
Jehovas Zeugen
Die Gruppe und ihr Glauben:
Jehovas Zeugen sind in Konstanz im Königreichssaal in der Goebelbeckerstraße untergebracht. Medienberichten zufolge war die Gruppe bereits in den 1920er-Jahren am Bodensee aktiv – damals noch unter dem Namen „Internationale Vereinigung Ernster Bibelforscher“. Während der NS-Diktatur wurden Jehovas Zeugen verfolgt. Heute erinnert ein Stolperstein in der Löhrystraße an die von den Nazis internierte Zeugin Berta Maurer.
Die Gruppe schreibt auf ihrer Homepage, dass man sich an die christlichen Lehren halte, nach denen Jesus und seine Apostel gelebt haben. „Für uns ist alles, was in der Bibel steht, gültig — aber wir sind deswegen keine christlichen Fundamentalisten.“ Man sei sich bewusst, dass Teile der Bibel in symbolischer Sprache verfasst wurden und nicht wörtlich aufzufassen seien. Weiter heißt es jedoch: „Das Königreich Gottes ist eine reale Regierung im Himmel, nicht irgendetwas in uns. Es wird alle Regierungen auf der Erde ablösen und das umsetzen, was Gott für die Erde vorgesehen hat.“ Das werde schon bald geschehen, denn die Bibel zeige klar, dass wir „in den letzten Tagen“ leben. Jehovas Zeugen glauben, dass der Mensch nach dem Tod zu existieren aufhört. „Keiner wird in einer Hölle gequält.“ Gott werde aber Milliarden Menschen auferwecken. Und wer dann nicht auf ihn hören wolle, werde für immer vernichtet. Der Name Jehova wird von der Gruppe synonym für Gott verwendet. Er leite sich von einem hebräischen Verb ab, das „werden“ bedeutet.
Das sagt Sektenexperte Udo Schuster: „Für Jehovas Zeugen trifft die Bezeichnung christliche Sekte zu. Sie verwenden eine eigene Bibelauslegung, in der die Texte nach Lehre der Zeugen interpretiert werden. Problematisch sind die rigiden Vorschriften, die einzuhalten von den Mitgliedern erwartet wird. Isolationistisch ist die Erwartung, dass sich die Mitglieder von Menschen, die nicht nach den Geboten Jehovas leben, soweit wie möglich fernhalten, da man sonst eine ‚Ansteckung‘ mit unbiblischem Verhalten befürchtet. Wer nicht spurt, dem droht Sanktionierung, die bis hin zu Ausschluss, Kontaktverboten und sozialer Ächtung gehen kann. Äußerst problematisch sind die Lehren hinsichtlich der Ablehnung von Bluttransfusionen, auch wenn als Konsequenz daraus der Tod droht. Wer dennoch eine Bluttransfusion akzeptiert, muss mit Folgen für sich selbst innerhalb der Gruppe rechnen, die bis hin zu Ausschluss und Ächtung gehen können. Der Status als Körperschaft öffentlichen Rechts darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den Zeugen Jehovas um eine totalitäre Gruppierung handelt, die über viele einzelne Menschen und ganze Familien großes Leid gebracht hat und immer noch bringt.“
Hillsong Church
Die Gruppe und ihr Glauben:
Sonntags um 10, 12 und 17 Uhr feiert die Hillsong Church in Konstanz-Petershausen einen Gottesdienst. Auf ihrer Homepage beschreibt sich die Gemeinde so: „Wir sind gewöhnliche Menschen, die Gott, Menschen und das Leben lieben; jugendlich im Geist, von Herzen großzügig, liebevoll in unserer Art und glaubenserfüllt in unserem Bekenntnis. Wir würden uns freuen, dich willkommen zu heißen.“
Weiter wird auf der Homepage erklärt, dass die Hillsong Church ihren Ursprung in Australien habe, in Deutschland aber Mitglied im Bunde Freikirchlicher Pfingstgemeinden sei. „Wir glauben, dass die Bibel Gottes Wort ist. Sein Wort ist wahr, verbindlich und maßgebend für unser alltägliches Leben“, fasst die Gruppe ihre Grundsätze zusammen. Man glaube an Gott, als den Schöpfer aller Dinge. Gott sei die Liebe selbst und vollkommen heilig. „Wir glauben, dass wir Vergebung erlangen und von Neuem geboren werden, wenn wir unsere Sünden bekennen, an den Herrn Jesus Christus glauben und seinen Willen für unser Leben annehmen.“ Die Gottesdienste der Konstanzer Hillsong Church sind geprägt von einer emotionalen Glaubensvermittlung, zum Beispiel, was die Predigten und den Einsatz von Live-Musik betrifft.
Das sagt Sektenexperte Udo Schuster: „Bei Hillsong handelt es sich um eine evangelische Freikirche. Im Gegensatz zu christlichen Sekten sind diese Gemeinschaften oftmals aus dem Bemühen um die Erneuerung urchristlichen Gemeindelebens entstanden. Bei Bewegungen, Gemeinschaften und Gruppen im Kontext der Pfingstbewegung sind Erfahrungen mit dem Heiligen Geist und bestimmten Geistesgaben Ausgangspunkt und Mittelpunkt ihrer Frömmigkeitspraxis. Teilweise stehen Pfingstkirchen auch vor Ort in Kontakt zu den traditionellen Kirchen. Kritisch zu werten ist bei manchen Pfingstkirchen eine überzogene Heilungserwartung. Auch hier stellt sich die Frage: Was, wenn es nicht zur Heilung kommt? Weiterhin findet man in Freikirchen oftmals eine ausgeprägte Dämonenlehre, die mit ihrer Überbetonung personaler teuflischer Mächte Ängste erzeugen kann.“
Kirche Jesu Christi der Heiligen der letzten Tage

Die Gruppe und ihr Glauben:
In Konstanz selbst findet sich zwar kein Gemeindestandort, dafür gibt es aber in der Schweiz die Gemeinde Kreuzlingen/Konstanz. Auf ihrer Internetpräsenz erklärt die Gruppe, dass man sich auf die Lehren des Amerikaners Joseph Smith beruft. „Im Frühling 1820 erschien Gott in einem anderen Erdteil einem 14-jährigen Jungen namens Joseph Smith und setzte Ereignisse in Gang, die zur Wiederherstellung der Urkirche Jesu Christi führten.“
Die offizielle Gründung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage wird auf den 6. April 1830 datiert. Die Gruppe beruft sich auf das Buch Mormon, das im gleichen Jahr erstmals veröffentlicht wurde. Die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage versteht sich als eine missionierende Kirche. „Die Missionstätigkeit erfolgt in Anlehnung an das Neue Testament, wo Missionare zu zweit das Evangelium verkündeten und die Gläubigen im Namen Jesu Christi tauften“, erklärt die Kirche. Es gebe ständig über 65.000 Missionare, die die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage weltweit vertreten. Überwiegend handele es sich um junge Menschen unter 25 Jahren. Inzwischen habe die Gesamtzahl der Mitglieder 16,3 Millionen erreicht, von denen mehr als die Hälfte außerhalb der USA leben.
Das sagt Sektenexperte Udo Schuster: „Auch die Mormonen sind eher als Neuoffenbarungsbewegung einzustufen. In unserer Beratungsarbeit gab es bisher kaum Anfragen wegen aufgetretener Probleme. Nachfragen kommen dann, wenn in einzelnen Städten Menschen auf der Straße von jungen Missionaren der Gruppe, die überwiegend aus Amerika nach Deutschland kommen, angesprochen werden. Undurchschaubar sind die geheimen Tauf- und Tempelrituale als Mittel der Erlösung. Dies hat mit einer offenen Religionsgemeinschaft nichts zu tun. Geradezu obskur ist aus unserer Sicht die stellvertretende Taufe Verstorbener – darunter auch Hitler und Stalin -, die auch der Grund für die ‚Ahnenforschung‘ der Mormonen ist.“
Was ist eine Sekte überhaupt? Zwei Definitionsversuche
Einschätzung Kultusministerium: Das Wort Sekte wird zumeist abwertend verwendet. Das Kultusministerium Baden-Württemberg definiert den Begriff folgendermaßen. „Viele Menschen haben den Wunsch nach religiöser Zugehörigkeit und sinnstiftenden Beziehungen.“ Dieses verständliche Bedürfnis könne aber leicht ausgenutzt werden. Entsprechende Gruppen würden unter den verschiedensten Namen und Bezeichnungen auftreten. Oftmals ließen sie ihre eigentlichen Ziele nicht auf Anhieb erkennen. Zwar sei nicht nicht jede Gruppierung von vornherein gefährlich: „Vorsicht ist aber immer dann geboten, wenn es zu einer ungewöhnlich starken Bindung des Einzelnen an eine Gemeinschaft oder an Personen kommt, die ein hohes Maß an Sozialkontrolle ausüben und große persönliche, zeitliche oder finanzielle Investitionen fordern.“
Einschätzung Elterninitiative: Die Elterninitiative zur Hilfe gegen seelische Abhängigkeit und religiösen Extremismus hält wenig von der Verwendung des Begriffs Sekte. „Ob es sich bei einer Gruppe um eine Sekte handelt, ist in erster Linie eine Frage des theologischen Standpunkts“, betont Udo Schuster. Von Christlichen Sekten spreche man dann, wenn Gemeinschaften mit christlichen Überlieferungen „außerbiblische Wahrheits- und Offenbarungsquellen verbinden, aus denen sie wesentliche Sonderlehren ableiten“. Wichtiger als die Fragen „Ist XY eine Sekte?“ sei es, einen eigenen Standpunkt zu definieren und Angebote mit dem gesunden Menschenverstand zu hinterfragen: „Kann ein Heilungsangebot, das ‚in zehn Stunden jede Krankheit bekämpfen kann‘, seriös sein? Welche Qualifikation haben einzelne Anbieter und ihre Mitarbeiter? Stimmt das dort vermittelte Menschenbild, die Definition von Ethik, Moral, Verantwortung und mitmenschlichem Umgang mit meinem eigenen Standpunkt überein?“ Diese Fragen gelte es zu stellen und Angebote eigenständig zu bewerten, findet Udo Schuster.