Elisabeth Winkelmann-Klingsporn und Patrick Ganter

Bunt und vielfältig ist die religiöse Landschaft in den letzten Jahrzehnten geworden. Neben den volkskirchlichen Gemeinden der Evangelischen Landeskirchen und der Katholischen Kirche finden sich auch im Schwarzwald-Baar-Kreis zunehmend mehr Freikirchen, sogenannte Freie Gemeinden und religiöse Gemeinschaften bis hin zu Pfingstlern und Kreationisten.

Die Mitgliederzahlen der Volkskirchen sind rückläufig und auch die Zahl der sonntäglichen Gottesdienstbesucherinnen und -besucher ist in den letzten Jahrzehnten kleiner geworden. Gleichzeitig haben sich mehr freie und fundamentalistische Gemeinden und religiöse Gruppierungen etabliert.

Der etwas andere Gottesdienst

Was machen die Freikirchen anders, dass sie mit ihren Veranstaltungen bei Jugendlichen und älteren Menschen, Familien mit Kindern und Alleinstehenden so gut ankommen, fragt man sich in Kirchenleitungen und Ältestenkreisen schon lange. Wie beispielsweise ein Sonntag bei der „Christlichen Glaubensgemeinde im Crystel Forum“ (ICF), die aus der Schweiz kommend hier aktuell ihre Gemeinden gründet, aussieht, beschreibt der Beauftragte für Weltanschauungsfragen der badischen Landeskirche, der Religionswissenschaftler Gernot Meier, so:

Kinoatmosphäre, chilliger Sound zu Beginn, Kaffee, Getränke und Kleinigkeiten stehen auf den Tischen, Neulinge werden besonders begrüßt und erhalten ein Welcome Packet. „Das erste Mal hier? – Herzlich willkommen – ich bin die Franziska und wenn du was brauchst, bin ich für dich da.“ Eine Willkommenssituation, die Menschen ansprechen, erreichen kann. Zudem ist die Gottesdienstgestaltung ganz gezielt milieuorientiert und auf junge Menschen zugeschnitten.

Poppige Musik statt klassischer Gottesdienst. Die Band der Freien Evangelischen Gemeinde Donauschingen beim Sonntagsgottesdienst.
Poppige Musik statt klassischer Gottesdienst. Die Band der Freien Evangelischen Gemeinde Donauschingen beim Sonntagsgottesdienst.

| Bild: Winkelmann-Klingsporn, Elisabeth
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In der Freien Gemeinde (FG) Donaueschingen ist der Gemeindesaal am Sonntagmorgen zur Gottesdienstzeit gut besetzt mit Familien mit Kindern, jungen und älteren Menschen. Die Band intoniert poppig ein Glaubenslied, in das die Gemeinde einstimmt, ein Ehrenamtlicher begrüßt, bevor Pfarrer Martin Eichholz mit einer missionarischen Predigt von seinem Glauben erzählt und zum Glauben einlädt. Persönliche Nähe und Dazugehören bestimmen das Gemeindeleben.

Gute Zusammenarbeit

In St. Georgen arbeiten die evangelische Gemeinde und die Freikirchen laut Pfarrerin Susanne Fritsch sehr gut zusammen. Drei evangelische Freikirchen gibt es in der Stadt. „Freikirchen sind in der Vergangenheit oft dann entstanden, wenn die Evangelische Landeskirche das Anliegen einer besonders engagierten Gruppe in ihrer Mitte nicht aufnehmen konnte oder wollte: Sei es, verstärkt Gottesdienste für jüngere Zielgruppen zu feiern, sei es ein theologisches Anliegen. Manche Freikirchen, zum Beispiel Ebenezer, waren zunächst Gemeinschaften innerhalb der Großkirche, die sich in kleinen Gruppen verstärkt mit der Bibel beschäftigen und mehr Gemeinschaft erleben wollten, als es in einer großen Gemeinde möglich war. Später machten sie sich dann selbstständig“, so die Pfarrerin. Sie betrachte diese Bedürfnisse, die von diesen Gruppen formuliert werden, aber durchaus als legitim. „Weil sie diese Bedürfnisse aufnehmen, sehe ich die Freikirchen in unserer Stadt in einem positiven Licht und freue mich über die gute, freundschaftliche Zusammenarbeit, die wir in St. Georgen miteinander haben“, so Susanne Fritsch. Sie sehe aber auch, dass die beiden großen Kirchen eine wichtige Basisarbeit leisten, die Freikirchen nicht stemmen könnten. Sie nennt Beispiele, etwa den Religionsunterricht in Schulen, Kindertagesstätten in kirchlicher Trägerschaft oder diakonische Beratungsstellen. Diese dauerhafte und flächendeckende Arbeit könne nur von den großen Kirchen mit ihrer breiten finanziellen Basis geleistet werden. Unter diesem Gesichtspunkt sei die Abwanderung zu Freikirchen natürlich traurig.

Pfarrer Peter Krech, Bezirksbeauftragter für Weltanschauungsfragen im Kirchenbezirk Villingen, beschreibt die Stärken der Freikirchen so: Hier werde die Generation der jungen Erwachsenen besser angesprochen, in dem man sich stärker an deren kulturellen Gewohnheiten orientiere wie Musikstil, Powerpointpräsentationen im Gottesdienst und ein leichter Zugang zu Inhalten von Liturgie und Predigt. Der Glaube ist von großer Bedeutung, ein „laues“, indifferentes Christentum gibt es eher nicht. Die Gemeindeglieder bringen persönliches Engagement ein, eine missionarische Haltung mit Werbung für einen Glauben, der in alle Lebensbereiche ausstrahlt.

Der Gottesdient in der Hillsong-Church wird getragen von einer vielköpfigen Band, die Lobeshymnen auf Gott und Jesus im modernen ...
Der Gottesdient in der Hillsong-Church wird getragen von einer vielköpfigen Band, die Lobeshymnen auf Gott und Jesus im modernen Popgewand spielt. Dazu gibt es die Texte auf der Großleinwand, Lichteffekte und perfekt ausgesteuerten Sound. Bild aufgenommen am 13.5.2018 von Marc-Julien Heinsch.

Abgrenzung  und Kirchensteuer

Aber Krech sieht auch die Schwächen, wie eine Tendenz zur Abgrenzung durch die starke Glaubensüberzeugung. Der Glaube darf nicht hinterfragt werden, was Menschen mit Zweifeln im Tiefsten allein lasse. Für Senioren, die nicht mehr hipp, modern, dynamisch und kämpferisch, sondern eher weise und ausgeglichen sind, haben Freie Gemeinden nach Krechs Wahrnehmung manchmal wenig zu bieten.

Interreligiöse Kontakte, die in der Evangelischen Landeskirche in Baden als wichtig angesehen und gefördert werden, sind in den Freikirchen nicht relevant, relativieren eher die absolute Richtigkeit des eigenen Glaubens.

Ein gewichtiges Moment ist die Kirchensteuer, mit der die Kirchen nicht nur die eigene Arbeit, sondern auch ihre diakonische Arbeit und die kirchliche Sozialarbeit finanzieren. Die Freikirchen loben ihr Modell der Freiwilligkeit. Sie verlangen von ihren Mitgliedern oft „den Zehnten“ des Einkommens für sich und andere christliche Projekte. Das ist viel mehr als die Kirchensteuer, die acht Prozent der Einkommensteuer beträgt, so Krech.

Das Gebot der Gastfreundschaft gilt

Pfarrer Gernot Meier, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden, im Interview über die Freikirchen der Region.
Pfarrer Gernot Meier, Weltanschauungsbeauftragter der Evangelischen Landeskirche in Baden, im Interview über die Freikirchen der Region. | Bild: Winkelmann-Klingsporn, Elisabeth

 

Herr Meier, Sie befassen sich intensiv mit religiösen Gemeinschaften und auch mit Freikirchen. Wie ist die Situation, welche Entwicklungen sind zu erwarten?

Die Fachstelle für Weltanschauungsfragen befasst sich mit dem gesamten Spektrum religiöser Vorstellungen in Baden und so auch mit den sogenannten Freikirchen und christlichen Gemeinden, die von der Evangelischen Landeskirche unabhängig sind.

Was beobachten Sie genau?

Die Situation ist von Kirchenbezirk zu Kirchenbezirk und von Landstrich zu Landstrich unterschiedlich. Mit einigen Gemeinschaften gibt es regelmäßige Gespräche mit den landeskirchlichen Gemeinden vor Ort und auch ein gutes Miteinander in der Arbeitsgemeinschaft der christlichen Kirchen (ACK). Die Zusammenarbeit ist sehr positiv und es ergeben sich durchaus hin und wieder gemeinsame Veranstaltungen.

Ist das immer so?

Ganz klar und deutlich: Nein! Bei manchen Gemeinschaften sieht das völlig anders aus. Hier klar genannt: „Wir sind nicht die Landeskirche!“, „Wir sind die einzige richtige Gemeinde“, „Seht, nur bei den Gemeinschaften wie uns wirkt der Heilige Geist, nur bei uns ist das wahre authentische Christentum, der wahre Glaube und die wahre Kirche zu erleben.“ Auch antiökumenische oder patriarchale Strömungen sind durchaus zu finden. Und natürlich viele Spielarten zwischen positiver Zusammenarbeit und klarer Abgrenzung auch von Seiten der Evangelischen Landeskirche in Baden.

Wie steht die Landeskirche dazu?

Mit dem Blick der Fachstelle kann ich sagen, dass grundsätzlich das Gebot der Gastfreundschaft und der Kooperation gilt. Dafür werbe ich immer und baue, wo es geht, auch Brücken. Aber nicht um jeden Preis und nach meiner Einschätzung auch keinesfalls um den Verlusst des eigenen volkskirchlichen und sehr bunten Profils.

Fragen: Elisabeth
Winkelmann-Klingsporn