Hat der Konstanzer Oberbürgermeister ein Alkoholproblem oder ist er von Natur aus geistig umnachtet?" Gelinde gesagt: Die feine Art der Kritik ist dieser Satz sicher nicht. Aber ist er auch strafbar? Mit der Frage, wie weit Meinungsfreiheit gehen darf und wann eine Beleidigung und Verleumdung anfängt, beschäftigten sich zuletzt drei Gerichte. In letzter Instanz sprach das Oberlandesgericht den Angeklagten vor Kurzem frei. Vertreten wurde der Angeklagte von einem Anwalt, der in der Vergangenheit selbst mit radikalen Äußerungen zum Thema Migration auffiel.
Debatte um Standort Hörnle
Februar 2016. Eine mögliche Flüchtlingsunterkunft am Hörnle wird kontrovers diskutiert. 1850 Unterschriften sammelt eine Initiative dagegen. Michael Leherr überreicht die Liste in einer Gemeinderatssitzung dem Konstanzer Oberbürgermeister Uli Burchardt und führt aus, dass es bisher kein Problem gewesen sei, Kinder allein ans Hörnle zu lassen. Er befürchte aber, dass dies mit der Flüchtlingsunterkunft nicht mehr möglich sei. Wer die Verantwortung übernehme, wenn etwas passiere, fragt er in der Bürgerstunde. OB Uli Burchardt hat eine deutliche Antwort: "Ich sage meiner 16-jährigen Tochter, dass sie da auch weiter hin kann." Sollte es tatsächlich zu sicherheitsrelevanten Problemen kommen, wovon er nicht ausgehe, würde der Rechtsstaat Mittel finden, diese abzustellen. Aus Protest gegen die Äußerungen von Leherr haben einige Räte zu diesem Zeitpunkt bereits den Saal verlassen. Rechte Internetblogs und Kommentatoren stürzen sich später auf den Satz des Oberbürgermeisters. Einer, der im Internet auf Facebook zu dem Thema kommentiert, ist ein Mann aus dem Kreis Konstanz.
Er schreibt: "Ich bin selbst Vater zweier Kinder. Niemals würde ich unsere Kinder allein dorthin lassen. – Hat der Konstanzer Oberbürgermeister ein Alkoholproblem oder ist er von Natur aus geistig umnachtet?" Es kommt zur Anzeige.
Angeklagter und Anwalt bei der AfD
Die Anzeige wegen Beleidigung geht bei einem Mann ein, der sich öffentlich klar politisch positioniert. Auf seinem Facebook-Profil "Uwe Karsten Schröder AfD" beschreibt er sich als "geistigen Brandstifter" unter dem Motto "aufklären und aufgeklärt werden". Zu seinem Freispruch schreibt er wörtlich: "Dreamteam der AfD, zeigt dem Konstanzer CDU-Oberbürgermeister, wie echte Demokratie und Meinungsfreiheit funktioniert." Mit Dreamteam meint der Mann sich selbst und seinen Anwalt, Dubravko Mandic. Er stammt aus Sarajevo, kam Anfang der 80er Jahre nach Deutschland und beantwortet seit seiner Bundestagskandidatur auf der Liste der AfD im Wahlkreis Tübingen/Hechingen vor allem die Frage, warum ein Migrant eigentlich gegen Migration ist. "Selbst wenn meine Eltern dem Krieg entflohen wären: Daraus lässt sich keine moralische Pflicht herleiten, als deutscher Staatsbürger eine unkontrollierte und gefährliche Massenmigration befürworten zu müssen." Auf Facebook teilt er vor allem Politisches, zwischendurch nette Bilder von urdeutschen Stätten wie der Wartburg.
Mandic teilte mit der Netzgemeinde aber auch ein Bild, für das er selbst schon einmal Ärger mit der Justiz hatte: Die Grünen-Politiker Claudia Roth, Cem Özdemir und Anton Hofreiter stellten Strafanzeige, nachdem Mandic ein Bild des Kriegsverbrecherprozesses von Nürnberg auf seiner privaten Facebook-Seite gepostet und darin die Köpfe der 1945/46 von den Alliierten angeklagten NS-Größen durch die Gesichter heutiger Politiker ersetzt hatte. Seine Partei sprach damals von "polemisch-satirisch überspitzter Kritik".
Anzeigen gegen mehrere Personen
Als eben solche will der Anwalt auch die Äußerung seines Mandanten verstanden wissen. Zunächst beschäftigt sich das Amtsgericht Konstanz mit dem Fall. Am 18. November 2016 verurteilt das Gericht den Angeklagten wegen Beleidigung zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 15 Euro. Der Angeklagte legt Berufung ein, die das Landgericht ein halbes Jahr später als unbegründet verwirft. Auch dieses Urteil will der Angeklagte nicht akzeptieren und beantragt Revision. Der Fall landet vor dem Oberlandesgericht Karlsruhe, der letzten richterlichen Instanz. "Der Angeklagte wird freigesprochen", heißt es in dem Beschluss. Das Urteil ist bereits rechtskräftig, anfechten könnte Burchardt den Entscheid nicht. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Angeklagten entstandenen notwendigen Auslagen. Auf Anfrage erklärt der städtische Pressesprecher Walter Rügert, dass der Stadt keine Kosten entstanden seien. Und weiter: "Oberbürgermeister Burchardt war vom Niveau und der Sprache etlicher Kommentare in den sozialen Medien, in denen er angegriffen wurde, persönlich sehr betroffen.
Er hat seinerzeit gegen mehrere Personen Anzeige erstattet und möchte sich darüber hinaus zu den Vorgängen nicht weiter äußern. Das Urteil des Oberlandesgericht Karlsruhe im Strafverfahren gegen Schröder hat er zur Kenntnis genommen." Zur Frage, wie die anderen Verfahren ausgegangen sind, äußert sich die Pressestelle nicht.
Der juristische Knackpunkt ist das Fragezeichen hinter dem fragwürdigen Satz. Das Oberlandesgericht Karlsruhe kommt, im Gegensatz zum Landgericht Konstanz, zu dem Schluss, dass in der Äußerung keine Tatsachenbehauptung zu erkennen ist. Sprich: Der Kommentator hat nicht explizit behauptet, OB Burchardt sei Alkoholiker oder habe ein Alkoholproblem, sondern eine rhetorische Frage formuliert. Am Ende fällt der Satz also in die Kategorie: Meinungsfreiheit. Kritik dürfe – gerade auch im politischen Bereich – pointiert, polemisch und überspitzt sein. "Auch die Mutmaßung des Landgerichts, der Hinweis auf eine Alkoholproblematik des Oberbürgermeisters werde sich in den Köpfen der Leser 'festsetzen', scheint dem Senat nicht nahe liegend. Der weit überwiegende Teil der (vernünftigen) Leser wird erkennen, dass es sich um eine polemische, aus der Emotion heraus erfolgte Meinungsäußerung des Angeklagten handelt, die keinen wahren Kern hat." Hinzu komme, dass dieser Satz im Rahmen einer ohnehin aufgeheizten kontroversen Diskussion fiel – nicht nur in Konstanz, sondern deutschlandweit. Politiker müssten im Rahmen der politischen Auseinandersetzung abwertende Äußerungen hinnehmen – in gewissem Maß. So heißt es nämlich auch weiter: "Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist allerdings nicht vorbehaltlos gewährt." Sprich: Es gibt Grenzen. Und über diese wird im Einzelfall entschieden.
Was ist eine Beleidigung?
Die Beleidigung nach Paragraph 185 des Strafgesetzbuches ist jede Verletzung der persönlichen Ehre, ausgedrückt durch Miss- oder Nichtachtung. Die Äußerung muss also die Ehre verletzen – eine Unhöflichkeit oder Taktlosigkeit genügt nicht. Beleidigt werden kann mit Worten, Gesten oder Taten. Im schlimmsten Fall droht eine Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren oder eine Geldstrafe. (sap)