Der 9. Dezember 2018 ist ein Tag, an dem ein Leben zerstört wird – und ein zweites in eine Abwärtsspirale aus Schuld und Scham gerät.
Am 22. Januar 2020 wird über diesen Tag und seine Folgen Recht gesprochen. Manche Personen, die von dem Geschehen tangiert sind, werden das Gefühl haben, dass ein Stück Gerechtigkeit geschaffen wird.
Was geschehen ist
Am jenem 9. Dezember kommt es um 13:27 Uhr am Ortsausgang von Langenrain zum Frontalzusammenstoß zweier Fahrzeuge. Der Unfallverursacher ist mit deutlich überhöhter Geschwindigkeit aus Dettingen unterwegs, gerät in einer langgezogenen Linkskurve auf die Gegenfahrbahn. Der entgegenkommende Fahrer hat keine Chance, auszuweichen – es geht alles zu schnell. Er bremst sein Auto auf beinahe 0 Stundenkilometer ab – den Zusammenprall kann er nicht verhindern.
Wie es dem Unfallopfer geht
Ein Jahr später fällt die Bilanz verheerend aus: Das Unfallopfer ist nach einer stundenlangen Not-Operation am Unfalltag in den Folgemonaten noch etwa zehn mal operiert worden. Der heute 30-Jährige ist im Wachkoma-Zustand und in einer Pflege-WG im Kreis Konstanz untergebracht. Er benötigt Intensivpflege rund um die Uhr, kann nicht selbstständig essen, sich bewegen oder kommunizieren. Was und wie viel er wahrnimmt, darüber können Angehörige und Therapeuten nur spekulieren.
Wie es dem Angeklagten geht
Auch der Unfallverursacher ist gezeichnet – mehr psychisch als körperlich. Er könne nachts kaum schlafen, berichtet sein Verteidiger. Was geschehen sei, tue ihm unendlich leid. Er nehme Medikamente und sei im Moment berufsunfähig. Auf der Anklagebank sitzt ein gebrochener Mann.
Der Amtsrichter versucht in der Verhandlung, den Unfallhergang aufzuklären, die Minuten vor und nach dem Zusammenprall zu beleuchten. Wie schnell fuhr der Verursacher? Warum fuhr er so schnell? Hätte es eine Chance gegeben, auszuweichen? Hat jemand den Unfall beobachtet?
An der Baustellenampel fällt ein Fahrer auf
Später, in der Urteilsverkündung, wird er sich vor allem auf einen Zeugen beziehen. Ein 35-jähriger Rettungssanitäter ist am Unfalltag mit seiner Freundin unterwegs, sie fährt. Als sie an einer Baustellenampel in Dettingen anhalten, wundern sich beide: von hinten kommt ein Auto, überholt und fährt trotz Rotlicht und entgegenkommender Fahrzeuge durch die Baustelle.
In Langenrain beschleunigt der Angeklagte wieder
Bei der Weiterfahrt erkennt der Rettungssanitäter das Auto wieder, das erneut zu schnell fährt. Sie gelangen nach Langenrain. „Dort habe ich gesehen und gehört, wie das Fahrzeug durchbeschleunigt“, sagt der Zeuge. In den nächsten Sekunden ereignet sich der Zusammenstoß. Der Rettungssanitäter steigt aus und leistet Erste Hilfe bei den Verletzten, wenige Minuten später sind Einsatzkräfte von DLRG, Feuerwehr und die Polizei vor Ort.
Risikobereites Fahrverhalten
Eine andere Zeugin, eine Polizistin, die früh am Unfallort ist, berichtet von ihrem Gespräch mit der Frau des Unfallverursachers im Krankenhaus. Sie habe zu Protokoll gegeben, dass ihr Mann früher bereits auffällig risikobereites Fahrverhalten gezeigt habe. Ungewöhnlich sei an diesem Wochenende gewesen, dass er nicht Bescheid gesagt habe, wohin er unterwegs sei.
Der Unfallverursacher will sich nicht äußern, das sagt sein Anwalt zu Beginn. Während der Verhandlung fixiert er einen Punkt auf dem Tisch vor ihm.
In den Zuschauerreihen ist die Stimmung angespannt. Freunde, Kollegen des Unfallopfers sind anwesend, die Lebensgefährtin, die Mutter, die Nebenklägerin ist, Verwandte. Auch Menschen aus dem Umfeld des Angeklagten sind gekommen. Immer wieder weint jemand.
Was der Staatsanwalt fordert
Der Staatsanwalt fordert einen Freiheitsentzug von einem Jahr sowie den Entzug der Fahrerlaubnis für zwei Jahre. Er nennt den Angeklagten einen „unverbesserlichen Raser, der aus dem Verkehr gezogen gehört“. Der Anwalt der Nebenklage setzt auf einen Entzug der Fahrerlaubnis für mindestens sechs Monate. Dem Antrag auf Schadensersatz, den der Nebenkläger stellt, stimmen Staatsanwaltschaft und Verteidigung zu.
Wie der Richter urteilt
Ein Jahr und sechs Monate Haft. Der Führerschein soll dem Angeklagten für zwei Jahre entzogen werden. Die Anklage lautet auf fahrlässige Gefährdung des Straßenverkehrs und fahrlässige Körperverletzung. Dass der Beschuldigte bereits in Dettingen eine rote Ampel missachtete und das Tempo nochmals steigerte, ist für den Richter Signal genug, dass er an diesem Tag beim Autofahren weder Maß noch Ziel kennt. „Für Ihr Verhalten fehlt eine vernünftige Begründung, ich kann keine Besserung absehen“, sagt er an den Angeklagten gewandt. Der Fahrer des anderen Fahrzeugs sei zwar nicht verstorben – die Folgen des Unfalls aber seien so gravierend, dass der Unterschied geringfügig scheine: „Es geht ihm ganz schlecht“.
Am Ende, kurz vor der Urteilsverkündung, spricht der Angeklagte doch noch. „Was passiert ist, tut mir unendlich leid“, sagt er. Er bete jeden Abend für das Unfallopfer. Bei ihm und seiner Familie wolle er sich entschuldigen.
Die Lebensgefährtin des Unfallopfers entspannt die hochgezogenen Schultern. Das Urteil schafft keine Linderung, aber ein kleines Stück Ausgleich.