Benjamin Brumm meint: Mehr Verständnis für die feierwilligen Bierzeltgänger

Wer einmal längere Zeit im frühherbstlichen München verbringt, kommt schwer am Ausnahmezustand Wiesn vorbei: Lederhosn, Dirndl, Oans-zwoa-gsuffa. Wer das nicht aushält, so sagen Münchner, der nimmt zweieinhalb Wochen Urlaub und fährt weg. Als Konstanzer meint man: also wie Fasnacht. Man liebt sie, oder man flüchtet aus der Stadt. Seit Dirndl quietschend-pink im Discounter gekauft werden und die Krachlederne aus Polyester sind, steigt die Zahl der Liebhaber wie der Verächter. Wir im Alemannischen haben die Fasnacht, die Münchner haben ihr Oktoberfest. So weit, so traditionell. Was aber soll das bierselige Glump, ruft der Konstanzer, bei uns auf Klein Venedig?

Seit Freitagabend wird wieder deutsch-schweizerisch geschunkelt, gesungen, geflirtet und getrunken. Das muss niemand lustig oder gar geistreich finden. Es ist aber auch kein Verbrechen, dorthin zu gehen. Spaß ist, was Spaß macht – und wem es denselben bereitet. Frei nach Schiller: Schunkeln und schunkeln lassen, unter Wahrung von Anstand und der Rücksichtnahme auf die eigenen und fremden Grenzen.

Wer zu Blasmusik und Party-Schlager auf den Bierbänken stehen will, wer dabei für den Liter Bier und das halbe Hähnchen mehr ausgeben will als für die Plastik-Tracht am eigenen Leib, der soll das tun dürfen. Mit Blick auf die im Alltag herrschenden Dauersorgen um das Klima, die national wie international herrschenden politischen Spannungen und einen sich abzeichnenden Abschwung der Wirtschaft, hilft ein wenig mehr Gelassenheit. Statt verächtlich den Blick in Richtung Festzelte auf Klein Venedig zu richten, befreit der Gedanke: Schunkeln und schunkeln lassen.

Die Kritiker des Oktoberfests am vermeintlich falschen Ort fragen: Kann man nicht auch ohne Grund gesellig sein? Benötigen wir denn immer einen herbeizitierten Anlass, um ausgelassen feiern zu können? Ja, manchmal ist das der Fall in unseren Breitengraden. Manchmal müssen wir gesagt bekommen: Hier könnt ihr zusammenkommen; hier habt ihr sogar die Gelegenheit, euch unter Gleichgesinnten zu bewegen; hier ist es in Ordnung, dass die Diskussionen bei der Wahl des passenden Getränks oder Imbisses enden. Die Trauer vieler Konstanzer über den möglichen Abschied vom Seenachtfest im zurückliegenden Sommer – dokumentiert von teils rührenden Videos des Feuerwerks, die im Internet dutzendfach verbreitet worden sind – untermauert diesen Eindruck. Nicht wenigen wird der große Knalleffekt um 22 Uhr fehlen, so er denn ab dem kommenden Jahr eingestellt und durch eine klimafreundlichere Alternative ersetzt wird.

Zum Oktoberfest kommt nicht eine Handvoll Verirrter pro Abend, die Besucherzahlen auf Klein Venedig bewegten sich in der Vergangenheit über drei Wochen verteilt um die 100 000er-Marke herum. Es ist auch ein Irrglaube, die Zelte wirkten wie ein Magnet auf ortsfremde Feierwillige vornehmlich Schweizer Dialekts. Und selbst wenn: Die Münchner halten es am Oktoberfest sogar aus, dass die Verkehrsmeldungen während des sogenannten Italiener-Wochenendes urplötzlich zweisprachig werden.

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Wussten sie schon? Eigentlich ist das Konstanzer Oktoberfest gar kein Oktoberfest. Genauso wenig wie das Original aus München. Die meiste Zeit spielen diese Feierlichkeiten nämlich im Monat September. Dem Bürger wird bereits an dieser Stelle etwas vorgegaukelt. Aber Spaß beiseite. Für viele Konstanzer lädt dieses Thema nicht zum ausgelassenen Schunkeln ein. Denn mit der Gemütlichkeit, wie sie etwa das gemeinsam angestimmte Prosit verspricht, ist es im und um das Festzelt herum nicht sehr weit her.

Und da kommen wir eigentlich auch schon zu einem der vielen Probleme: Das Oktoberfest auf Klein Venedig ist ein exzessiver Party-Marathon – und damit eine überflüssige Dauerbelastung für die Anwohner, die eben keine drei Wochen am Stück bis spät in die Nacht schunkeln, singen und flirten wollen. Dass die dabei dringend gebotene Rücksichtnahme offenbar nicht ausreichend stattfindet, zeigt ein derzeit ruhendes Gerichtsverfahren: Ein Bewohner des Musikerviertels, immerhin mehr als einen Kilometer vom Veranstaltungsort entfernt, hatte vor dem Freiburger Verwaltungsgericht geklagt, dass das Oktoberfest zu viel Lärm verursacht – und er steht mit diesem Vorwurf nicht alleine.

Natürlich mag die Geräuschkulisse aus Blasmusik und Schlager beim Party-Volk gut ankommen. Aber eine Stadt wie Konstanz besteht nun mal nicht nur aus feierwütigen Maßkrugstemmern.

Und teils scheinen nicht einmal die wirklichen Spaß an der großen Feierei zu haben, oder warum sonst artet das gesellige Geschunkel derart häufig in Handgreiflichkeiten und Schlägereien aus?

Natürlich, wo viele Menschen viel Alkohol trinken – 100 000 Besucher sind es in den drei Wochen etwa auf Klein Venedig -, fallen Hemmungen und fliegen auch mal Fäuste. In dieser Hinsicht sind sich die Oktoberfeste in München und Konstanz offenbar nicht unähnlich. Einen gravierenden Unterschied aber gibt es und das ist das nächste Problem: Letztlich ist die deutsch-schweizerische Ausgabe nur ein weiteres Fest, dessen ausschließlich kommerzielle Absichten die Veranstalter unter dem Deckmantel der Tradition verstecken.

Zwar sind diese Absichten auch in München mittlerweile ein offenes Geheimnis, doch immerhin kann das Oktoberfest auf der Theresienwiese auf eine lange Historie bajuwarischen Brauchtums zurück blicken – und wirkt damit nicht wie aus einer anderen Welt. Lederhosn, Dirndl, Oans-zwoa-gsuffa – ein Bild, das auf Klein Venedig nicht stimmig scheint, dort, wo eigentlich Häs, Guggenmusik und Ho Narro Zuhause sind. Das zeigt: Das Oktoberfest ist – wie bis zuletzt auch das Seenachtfest – nicht ausgerichtet auf Konstanzer. Die Konzilstadt wird damit erneut ein Magnet für die Region – mit all den negativen Folgen wie verstopften Straßen und Parkhäusern, die Konstanzer Bewohner so oft beklagen.

Natürlich spricht es für eine lebendige Stadt, wenn viel gefeiert, viel gelacht und viel getrunken wird. Nun ist es aber mitnichten so, dass es in Konstanz zum Feiern nicht genügend Möglichkeiten gibt. Ob es das Oktoberfest in dieser Form im Veranstaltungskalender der Stadt also wirklich braucht, ist fraglich.