Roland Benker gehört nicht zu den Menschen, die mit ihrem Schicksal hadern. Das würde ihn nur Kraft kosten. Kraft, die er für andere Dinge benötigt. "Es nützt ja nichts", sagt der 45-Jährige. "Ich kann das, was geschehen ist, nicht mehr ändern."
Der Jahrestag
Das, was geschehen ist.
Der Sturz aus dem siebten Stock im Fiebertraum.
Die Querschnittslähmung in Folge des Sturzes.
Das war vor 30 Jahren.
Neulich saß Roland Benker mit seinem Vater auf ein Bier zusammen. "Da ist uns das Jubiläum eingefallen", erzählt er lächelnd. "Wir hatten die Idee, bei der Aufschlagstelle mit ein paar Freunden Raketen in die Luft steigen zu lassen und zu grillen." Immerhin sei dieser Tag für ihn so etwas wie ein Geburtstag gewesen, "denn wie leicht hätte ich sofort tot sein können".
Der Sturz
Vater Albin wurde in jener Nacht gegen 23 Uhr jäh aus dem Schlaf gerissen. "Ich hörte einen großen Knall", erzählt er. Er ging in die Küche und sah das Loch im Fenster – und unten vor dem Haus auf dem Boden seinen Sohn liegen. Er rannte hinunter und traf Roland bei vollem Bewusstsein an. "Sein rechter Arm schmerzte, aber ansonsten klagte er nicht."
Der 15-Jährige hatte in den Tagen zuvor eine schweren Angina. Das vom Arzt verschriebene Penicillin vertrug er offenbar nicht, weshalb die hohe Fieberattacke auftrat, durch die er die Kontrolle über sein Handeln verlor.
Die Diagnose
Krankenwagen und Notarzt waren sofort zur Stelle und brachten den Patienten ins Klinikum. "Ich kann mich aber an rein gar nichts erinnern", sagt Roland Benker. Der Rettungswagen brachte ihn aufgrund der Schwere der Verletzung noch in der Nacht in die Spezialklinik nach Tübingen – Hubschrauber flogen aufgrund der Witterung nicht.
Auch an die Reise dorthin hat er keinerlei Erinnerungen.
Später berichtete ihm eine Krankenschwester, dass er sich in einem unbeobachteten Moment alle Schläuche vom Körper riss und aus dem Bett fiel.
Die Ärzte stellten den Bruch des zwölften Brustwirbels fest und setzen ihm zur Stabilisierung eine Metallplatte ein. Die Diagnose: Querschnittslähmung. Das Urteil: lebenslänglich.
Der Rollstuhl
Der Rollstuhl sollte fortan sein treuester Begleiter sein. "Meine ersten beiden Rollis habe ich noch", sagt er lachend. Überhaupt das Lachen: Es ist ein weiterer, lebenslanger Begleiter des sympathischen Mannes.
"Sarkasmus, Ironie und Humor gehören dazu", erklärt er. Wenn er beispielsweise in einem Restaurant seinen Rollstuhl an einer engen Stelle abstellen muss und ein anderer Gast sich nähert, sagt er ganz gerne: "Kommen Sie nur vorbei, ich bleib aber sitzen."
Halb Konstanz nahm damals Anteil am Schicksal des ambitionierten und beliebten Teenagers. Seine starken Leistungen im Schwimmbecken für Sparta Konstanz ließen leise Hoffnungen auf eine Karriere zumindest auf nationaler Ebene aufkommen. Daneben fuhr er gerne mit dem BMX-Rad querfeldein durch die Wälder seiner Heimat oder auf dem Skateboard über Stock und Stein. Bis zu jenem verhängnisvollen Tag im Januar 1989, an dem sich sein ganzes Leben änderte. "Ich stelle mir eigentlich nie die Frage, was hätte sein können, wenn das nicht passiert wäre", sagt er.
Der Sport
Roland Benker versucht, ganz seinem Naturell entsprechend, das Beste aus dem Unfall zu ziehen: "So viele tolle Menschen hätte ich nie kennengelernt, wenn ich nicht im Rollstuhl sitzen würde." Zahlreiche Länder wie Australien, USA, Belgien, Italien, Spanien oder Frankreich hat er bereist für die Passion, die ihn als Rollstuhlfahrer packte: das Wasserskifahren.

Sieben Mal wurde er Deutscher Meister, mehrmals nahm er an Europa- und Weltmeisterschaften teil.
"Wahrscheinlich hätte ich andere Dinge erlebt, wenn ich nicht im Rollstuhl sitzen würde", sagt er. "Doch es ist gut so, wie es gekommen ist."
Würde er den Unfall ungeschehen machen, wenn das denn ginge? "Auf jeden Fall", gibt er offen zu.
Ab und an, wenn er junge Menschen auf dem Skateboard sieht, kommen ihm schon mal Gedanken, dass er das gerne wieder selbst machen würde. Doch diese Gedanken verdrängt er schnell.
Das Umfeld
Wichtig bei der Verarbeitung des schlimmen Schicksals war das persönliche Umfeld. Familie, Freunde und Schule gaben ihm den nötigen Halt.
Vater Albin: "Noch während dieses Klinikaufenthaltes haben sich seine Klassenlehrer der Geschwister-Scholl-Schule mit den Lehrern der Schule in Tübingen kurz geschlossen, damit er dort den Schulabschluss zur mittleren Reife machen kann." Freunde und Klassenkameraden kamen ebenfalls regelmäßig nach Tübingen, um Roland zu besuchen. "Das war oft sehr lustig", wie der Vater augenzwinkernd berichten kann.
Das Vorbild
Schnell beschloss er, der Querschnittslähmung die kalte Schulter zu zeigen. Ein Rückzug kam nie in Betracht – Roland Benker wollte teilnehmen am sozialen und sportlichen Leben. "Wir haben niemals daran gedacht aufzugeben."
Er nahm zusammen mit dem Vater Kontakt auf zu Gerda Pamler aus München, einer Trickskifahrerin, die seit einem Skiunfall an den Rollstuhl gefesselt war. "Sie ist echt ein verrücktes Weibsbild", erinnert sich der Vater lachend. "Sie ließ nach ihrem Unfall nie den Kopf hängen und fuhr wieder weiter als Monoskifahrerin, wurde zweimal Weltmeisterin." Darüber hinaus nahm sie bei den Paralympics in Nagano teil.
Die heute 60-Jährige wurde eine Art Vorbild für Roland Benker, "denn sie hatte die Gabe, Roland zu motivieren und zu fördern", wie es der Vater ausdrückt. Der Konstanzer gewann selbst einige Pokale im Monoski, ehe er sich in Braisach ins Wasserskifahren verliebte, seinen Siegeszug startete und selbst zum Vorbild für viele Menschen mit Behinderung wurde.
"Das habe ich nie so gesehen", sagt er. "Wenn das so ist, dann freut es mich." 2002 wurde er zum Sportler des Jahres in Konstanz gewählt.
Das Leben
Roland Benker arbeitet bei den Stadtwerken. In seiner Freizeit ist er mit einem Sportrollstuhl unterwegs, um fit zu bleiben. Wasserski fährt er nur noch ab und an, die Gelenke machen nicht mehr mit. Er liebt das Leben und die Musik, spielt mit Leidenschaft Bass. Die Querschnittslähmung kann ihm mal gerne haben.