Zwei Tage nachdem der SÜDKURIER über den geplanten Verkauf der Konstanzer Niederlassung von Dr. Kade berichtete, ist die Stimmung unter den 196 Mitarbeitern nach wie vor gedrückt. Die Geschäftsführung hat den Angestellten zwar verboten, mit den Medien zu reden. Doch die Menschen möchten, dass die Öffentlichkeit erfährt, wie es im Inneren zugeht. Eine Frau erzählt von den vollen Auftragsbüchern: "Von daher können wir noch weniger verstehen, dass man uns verscherbeln möchte." Eine Kollegin bezeichnete ihre Gefühlslage so: "Ich komme mir vor, als hätte mein Mann mir die Scheidungspapiere auf den Tisch geknallt." Der SÜDKURIER-Artikel hängt mittlerweile in jeder Abteilung am schwarzen Brett. "Das hat eingeschlagen wie eine Bombe", erzählt ein Angestellter. "Die Reaktionen der Konzernbosse seither war gleich null. Mit uns redet niemand, es soll alles zunächst weitergehen wie bisher. Aber diese Ungewissheit macht uns fertig."
Das Unternehmen hübscht sich derzeit auf und möchte für einen potenziellen Käufer gut aussehen, zumindest äußerlich. "Bei den Mitarbeitern herrscht aber Angst vor der Zukunft, wir sind immer noch fassungslos und haben nicht die geringste Ahnung, wie es weitergehen soll", sagt ein Mann. Der SÜDKURIER befragte den Betriebsrat von Dr. Kade zur aktuellen Situation. Folgende Pressemeldung gab es als Antwort: "Wir wurden am Donnerstag vergangener Woche ein paar Stunden vor der Belegschaft über den geplanten Verkauf informiert. Wir haben derzeit keinerlei Informationen über den geplanten Verkauf oder über die Gründe hierfür. Jedoch können wir versprechen, dass wir für jeden der 196 Arbeitsplätze kämpfen werden."
Unterdessen hat sich die zuständige Industriegewerkschaft Berbau, Chemie, Energie (IG BCE) eingeschaltet. Im Bezirk Freiburg vertritt die IG BCE die Interessen von rund 8500 Mitgliedern. Der Bezirk betreut 85 Betriebe, die der chemischen und pharmazeutischen Industrie, der Kunststoff-, Kautschuk- und Papierindustrie angehören. Für Dr. Kade ist Gewerkschaftssekretär Gerd Laskowski zuständig. Er hat sich bereits vor Ort ein Bild gemacht. "Ich kann aber noch nicht einschätzen, warum der Konstanzer Standort verkauft werden soll", berichtet er. "Noch fehlen leider die Vergleichszahlen, so dass Aussage, die Produktion in Konstanz sei zu teuer, derzeit keine Kraft hat." Ein Problem in seinen Augen: "Öffentlich hat die Geschäftsführung ja bereits gesagt, dass Konstanz nicht wirtschaftlich genug sei. Das könnte dazu führen, dass sich kein geeigneter Käufer findet." Ob die Behauptung, es gebe derzeit fünf Interessenten, überhaupt stimme – darüber lasse sich nur spekulieren. "Die Geschäftsführung gibt ja keine weiteren Informationen preis, also ist es nach jetzigem Stand sehr, sehr schwierig, verbindliche Aussagen und Prognosen zu tätigen." So lange Betriebsrat und Gewerkschaft keine Zahlen, Daten und Fakten haben, hängt die Belegschaft in der Luft.
Gerd Laskowski nennt noch einen weitere Aspekt: "Wie viel Personal bleibt nach dem Verkauf übrig? Können wir alle 196 Stellen retten? Das hängt natürlich davon ab, welcher Käufer zugreift. Was soll in Zukunft produziert werden? Wie viel soll produziert werden? Diese Fragen müssen in den kommenden Wochen und Monaten geklärt werden." Positiv sei für ihn die Aussage der Geschäftsführung, dass Dr. Kade in Berlin in Zukunft weiterhin Dr.-Kade-Produkte aus Konstanz beziehen möchte: "Das spricht zunächst einmal dafür, dass tatsächlich ein Bestreben besteht, Konstanz an einen geeigneten Käufer zu veräußern."
Am kommenden Mittwoch hat die Geschäftsführung des Konzerns den Konstanzer Betriebsrat und den betriebsinternen Wirtschaftsausschuss nach Berlin eingeladen zu einer Informationsveranstaltung. Hier werden auch der Berliner Betriebsrat und der dortige Wirtschaftsausschuss anwesend sein. Die externe Beratungsfirma, die zuletzt in der Konstanzer Niederlassung unterwegs war, wird hier die Ergebnisse ihrer Analyse vorstellen. Diese Ergebnisse, so wird spekuliert, haben die Geschäftsführung veranlasst, den Verkauf von Konstanz voranzutreiben. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Zahlen von Konstanz besser seien als die von Berlin. Bei diesem Treffen möchte die Gewerkschaft anwesend sein, um den Betriebsrat und damit die Belegschaft zu unterstützen. "Ich kann mir kaum vorstellen, dass die Konzernleitung möchte, dass wir nicht dabei sind. Das wäre ein schlechtes Zeichen für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit", so Laskowski.
Die Konzernleitung schrieb der Berliner Belegschaft diese Worte: "Dr. Kade bleibt ein produzierendes Pharmaunternehmen. Die Analyse hat jedoch ergeben, dass die Herstellungskosten bei Dr. Kade im Vergleich zum Wettbewerb zu hoch sind. Unsere internen Überlegungen haben wir vor einigen Tagen abgeschlossen und sind im Dialog mit unseren Gesellschaftern zu dem strategischen Entschluss gekommen, die Produktion von Cremes und Salben am Standort Berlin zusammenzulegen. Den Berliner Standort werden wir dafür ausbauen. Das Konstanzer Werk soll als Produktionsstandort verkauft werden. Dabei sind uns der Erhalt von möglichst vielen Arbeitsplätzen und die Sicherung des Werkes wichtige Anliegen." Geschäftsführer Norbert Marquardt schrieb den Berliner Mitarbeitern folgendes zur Zukunft des Standortes Konstanz: "Alle fünf interessierten Unternehmen sind im Pharmaumfeld tätig. Wir suchen einen Käufer, der möglichst viele Arbeitsplätze erhält und neue Produkte in das Werk transferiert, um die Produktion höher auszulasten und den Standort wirtschaftlich zu betreiben." Felix König, Vorsitzender der Geschäftsführung, fügte hinzu: „Die Anpassungen sind für uns ein notwendiger Schritt, auch langfristig die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens zu stärken und unsere Unabhängigkeit zu erhalten.“
Dr. Kade
Die Presseabteilung von Dr. Kade war gestern telefonisch nicht zu erreichen. Mehrere Telefonate blieben unbeantwortet. Die Firma wurde 1886 in Berlin gegründet, wo heute noch der Hauptsitz ist. Sie ist seither in Familienbesitz. Der Standort Konstanz kam im Jahr 1962 hinzu. 2016 hatte Dr. Kade einen Jahresumsatz in Höhe von 120 Millionen Euro zu verbuchen. Die Geschäftsführer Annett Schubert, Felix König und Norbert Marquardt sprachen vor der Belegschaft am Tag, als sie die Hiobsbotschaft übergaben, von einer schwierigen Entscheidung, die aber einstimmig ausgefallen sei. Der Konstanzer OB Uli Burchardt versprach: "Wir sind bereit, die Geschäftsführung bei den Bemühungen um den Erhalt der Arbeitsplätze zu unterstützen." (aks)