Knaller des Jahres
Seenachtfest und Feuerwerk, das gehört zusammen wie Bus und Roter Arnold, wie Fasnacht und Wecken oder Herbst und Nebel. Das eine gibt es nicht ohne das andere. Bisher. Aber so wie inzwischen auch blaue Busse durch Konstanz fahren und der Herbst – zumindest gefühlt – immer weniger neblig wird. So ist das auch bei der Partnerschaft zwischen Seenachtfest und Pyro-Spektakel: Eine Scheidung kann nicht mehr ausgeschlossen werden, sagt der Paartherapeut. Wobei? Es schien schon so gut wie sicher, dass das Farbenspiel bald höchstens noch von Lasern an den Himmel gemalt wird. Dann kam eine Bürgerbefragung und siehe da: Das seenachtfestliche Feuerwerk erfreut sich großer Beliebtheit. Also doch weitermachen wie bisher? Oder überhaupt weitermachen? Schließlich steht (oder stand) das gesamte Fest ja bereits auf der Kippe. Zu groß, zu wenig nachhaltig, zu un-konstanzerisch findet Oberbürgermeister Burchardt die Sause am zweiten Augustsamstag. Wo er Recht hat, hat er Recht – und im Wahlkampf vor acht Jahren half das Versprechen eines kleineren Seenachtfests ja womöglich schon mal zur ein oder anderen Stimme. Aber gut, 2020 wird nochmal gefeiert wie bisher. Es ist eben wie bei einer ordentlichen Scheidung: Trennungsjahr muss sein.
Abfahrt des Jahres
Auf und nieder, immer wieder. Ein lange gehegter Traum für Eltern mit Kinderwägen, Menschen mit Behinderung oder sehr viel Gepäck: ein Aufzug – ein funktionierender – am Bahnhof. Was Barrierefreiheit angeht, war das vermeintliche Tor zur Welt, zumindest aber zu Konstanz, bisher ein schlechter Witz. Wer keine Treppen gehen kann, war auf Umwege angewiesen. Und dann, plötzlich, war er da: Der Aufzug, der den Zugang zu den Gleisen 2 und 3 erleichtern sollte. Und wie schnell das ging. Nach nur einem halben Dutzend (oder waren es mehr) Verschiebungen verkündete die Deutsche Bahn freudig die Inbetriebnahme der Aufzuganlagen. Verbunden mit der Botschaft, dass ihr „die modernere Gestaltung des stark frequentierten Bahnhofs in Konstanz ein Anliegen ist“. Na dann: Vorsicht beim Einstieg, die Türen schließen selbsttätig. (bbr)
Getränk des Jahres
Nein, weder Gin Tonic noch Kurkuma Latte machen das Rennen: Es ist der traditionelle Wein der Spitalkellerei. Warum? Weil es den bald nur noch ohne Glyphosat-Note im Abgang geben wird. Richtig: Geben wird. Nicht: bereits gibt. Denn eigentlich waren die beiden Pächter der Rebflächen um den Bismarcksteig der Auffassung: Ganz ohne chemische Keule geht es im Weinbau nicht, eine Bio-Umstellung wäre wirtschaftlich ein zu hohes Risiko. Sprach‘s und sah sich im SÜDKURIER veröffentlicht. Da man den im Rathaus liest, klapperten die Tastaturen und klingelten die Telefone. Ergebnis: Der neue Pachtvertrag ab 2022 wird keinen chemischen Schutz für die Konstanzer Weintrauben zulassen, die Umstellung auf Bio muss rasch erfolgen – ob mit oder ohne die aktuellen Pächter. Und somit stoßen wir mit einem Bio-Tröpfle an und wünschen: Prosit Neujahr! (bbr)
Straße des Jahres
Im November erreichte das Schreiben den Briefkasten der Stadtverwaltung: „Werde keine öffentlich nutzbare Straße mehr sein. Beantrage die Entwidmung. Gezeichnet: Petershauser Straße.“ Die Verkehrsplaner der Stadt mussten dann doch schlucken. Vorangegangen waren üble Zeiten für die Fahrradstraße, die vom Zähringerplatz über die Petershauser und Jahnstraße bis zum Ebertplatz reicht. Die Fahrradstraße, die erst 2018 eingerichtet wurde, wurde in Leserbriefen kritisiert, in den sozialen Medien diffamiert, beschimpft, beleidigt. Nicht nur von Autofahrern. Immer wieder waren die Regeln geändert worden: die Petershauser Straße wurde erst Umleitung (Sternenplatzsanierung), dann im Oktober Einbahnstraße. Einfahrt verboten, Einfahrt erlaubt. Am Schluss hat es keiner mehr verstanden, aber alle genervt: Auto- und Rollerfahrer, Radler, Fußgänger und Rollstuhlfahrer. Dann reichte es der Straße: „Ich lasse mich doch nicht in aller Öffentlichkeit mit Füßen treten! Mit Gummireifen und Stahlfelgen!“, das soll sie einem verständnisvollen Streetworker erzählt haben, so die Gerüchteküche. Kurz vor Silvester reagierte der OB persönlich: Man werde der Petershauser und der Jahnstraße gleich nach Dreikönig den Titel: „Straße des Jahres 2019“ verleihen. Mit Ehrenurkunde und Fanfare. Das sei noch keiner Fahrradstraße der Republik passiert. Ob‘s helfen wird? Das ist zweifelhaft. Sie lasse sich nicht mit Symbolpolitik besänftigen, ließ sie über den Streetworker ausrichten. Sie habe vor, sich zur Ruhe zu setzen. Respekt sei ein Grundwert in einer Stadt – und niemals eine Einbahnstraße. (cla)
Eigentor des Jahres
Ob passgenau unter die Latte gehämmert oder unhaltbar in den Winkel geköpft: Eigentore sind oft die spektakulärsten Tore. Dachte sich wohl auch die Konstanzer Stadtverwaltung, als sie im Juli dieses Jahres mit fadenscheinigen Argumenten eine Umwelt-Demo auf dem Stephansplatz verbot – und damit zwar keinen Ball, aber sehr wohl das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit mit Füßen trat. Denn das Verwaltungsgericht Freiburg gab dem daraufhin folgenden Einspruch der Demonstranten Recht – woraufhin wiederum die Stadtverwaltung Einspruch einlegte. Ein Eigentor mit Anlauf. In den Winkel. Unhaltbar. Erst als die Konstanzer Klimavorreiter in der Verwaltung, unter ihnen OB Burchardt, das PR-Desaster erkannten, zogen sie den Einspruch zurück. Sie verloren dennoch, zwar nicht die Partie, aber sehr wohl an Glaubwürdigkeit. (lre)
Donnerwetter des Jahres
Im Januar braute sich am Bodensee ein Frühjahrssturm zusammen: Twitter-Tief Jörg Kachelmann drohte, über Konstanz hinwegzufegen. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter wetterte der Wettermann gegen die Konstanzer Kachelofenbesitzer: „Es stinkt am Bodensee“, ärgerte er sich über deren Feinstaubausstoß. Und erteilte den Dieselfahrern die Absolution, indem er sie im Vergleich zum Holzofen-Heizer „Waisenknaben“ nannte. Es sollte nicht das einzige Mal in diesem Jahr bleiben, dass Jörg Kachelmann wegen Feinstaubs tobte. Ende November folgte der Wintersturm. Als „dumm“ bezeichnete er die Stadtverwaltung, die zuvor eine Pelletheizung in einer Kita installiert hatte. Glücklicherweise ist eines gewiss: Ein Kachelmannsches Twitter-Tief zieht schnell weiter – und löst sich schon bald in Nichts auf. (lre)
Zettel des Jahres
Wir Konstanzer wollen das nicht: Künftig sollen Schweizer die Mehrwertsteuer nur noch zurück erstattet bekommen, wenn ihre Einkäufe 50 Euro übersteigen. Alles, was weniger kostet, liegt unterhalb der Bagatellgrenze. Dafür gibt es bald keinen grünen Zettel mehr. Wie jetzt? Man nehme uns bitte diese lieb gewonnene Bürokratie nicht! Und die Wartezeit an der Drogeriemarktkasse, in der wir unsere gesamte Whatsapp-Korrespondenz erledigt haben! Und das Recht, immer, wenn uns danach war, die Schweizer und deren Konsumverhalten für unsere schlechte Laune verantwortlich zu machen. Wir hängen an unseren Vorbehalten und daran, dass Finanzen auf Cent und Euro geregelt werden. Und wenn nun die grünen Bögen, diese ur-südbadischen Dokumente, geopfert werden, kündigen wir an: Uns fällt schon etwas ein, womit wir die Aufenthaltsdauer an Supermarktkassen wieder verlängern, verlasst euch drauf! (cla)
Ausverkauf des Jahres
Ausverkauf finden die meisten Menschen gut. Schnäppchenjäger stürmen gerne in Läden, an deren Schaufenstern „SALE, SALE“ steht. Oder sie sitzen gebannt vor dem Computer, um zur richtigen Sekunde einen reduzierten Kühlschrank im Internet zu kaufen. Doch es werden nicht nur Küchengeräte verscherbelt, sondern auch Tiere. Die Nachricht, dass ein Jugendlicher 40 Kälber nach Dettingen bestellt hatte und über die Hälfte von ihnen mittlerweile tot ist, erschütterte viele Menschen aus der Region. Zur gleichen Zeit kam die Meldung, dass weibliche Kälber im Oktober für durchschnittlich 8,50 Euro verkauft wurden. Auf dem Oktoberfest sind wir bereit, für eine Maß Bier elf Euro zu bezahlen. Milch und Joghurt sollen aber schön billig sein. Prost Mahlzeit! (jos)