Es gibt sie in rund, oval und eckig. Sie hören auf die Namen „Squared Bowl“ oder „Teller 240“, stets sind sie aus dem gleichen anthrazitgrauen Material gegossen: In diesem Jahr haben die Betreiber des Konstanzer Weihnachtsmarkts komplett auf Mehrweggeschirr umgestellt, um Verpackungsmüllberge zu vermeiden und für mehr Nachhaltigkeit zu sorgen.

Ein Liebling aller, könnte man meinen, eine Maßnahme ohne Gegner. Doch in den vergangenen Wochen regte sich Kritik: Denn die Teller, Schüsseln und Gabeln werden nicht etwa vor Ort gespült, sondern im 284 Kilometer entfernten Bad Mergentheim: Nun war der SÜDKURIER auf dem Weihnachtsmarkt unterwegs – um zu sehen, wie sich das neue Geschirr in der Praxis schlägt.

2500 Teller am Tag, am Wochenende sogar mehr

Die Reise eines solchen Tellers beginnt hinter weißen Bauzäunen: In einem Lager neben dem Weihnachtsmarkt wird das Geschirr stapelweise in roten Kisten aufbewahrt, in jeder Box liegen hunderte Schüsseln oder Teller. „Unter der Woche gebe ich rund 2500¦Teller pro Tag aus, am Wochenende ist das nochmal deutlich mehr“, erzählt Manuel Weihemann von der Firma Vytal. Die Weihnachtsmarkt-Organisatoren haben die Kölner Firma für das Mehrwegsystem engagiert, Vytal stellt neben den Behältern nun auch die Logistik.

Morgens können die Standbetreiber am Lager vorbeikommen, um sich mit den Kisten zu versorgen und ihr dreckiges Geschirr abzuladen. „Das klappt sehr gut, die Gastronomen kommen verteilt vorbei und müssen nicht lange warten“, sagt Weihemann. Der überwiegende Teil der Stände gebe positive Rückmeldungen – nur rund ein Drittel beklage den Mehraufwand, der durch das Mehrwegsystem entstehe.

Das könnte Sie auch interessieren

Und was passiert am Ende des Tellereinsatzes? Zweimal pro Woche komme ein Transporter vorbei, erzählt Weihemann, der neue Kisten mitbringe und das dreckige Geschirr zum Spülen nach Bad Mergentheim fahre: Dort werden die Teller in der Logistikzentrale von Vytal wieder frisch gemacht.

Keine leichte Umstellung

Doch zunächst zum aufregendsten Lebensabschnitt der Kunststoffbehälter. Vor Käsespätzle triefend oder mit dampfenden Kartoffeln beladen: Bei Michael Dummels Stand wandern täglich hunderte Vytal-Teller über die Theke. Am Anfang habe der Gastronom noch etwas Bauchschmerzen gehabt, es sei eine logistische Umstellung gewesen: „Wo kommt das dreckige Geschirr hin? Wo soll das Pfand abgegeben werden?“

Gastronom Michael Dummel vom Restaurant Blickwinkel sieht die Vorteile der Umstellung – und nimmt dafür auch einen gewissen Mehraufwand ...
Gastronom Michael Dummel vom Restaurant Blickwinkel sieht die Vorteile der Umstellung – und nimmt dafür auch einen gewissen Mehraufwand in Kauf. | Bild: Alban Löffler

Doch er habe eine Lösung gefunden, bei ihm gibt es nun eine Rückgabestation, und auch die Logistik laufe reibungslos. Die Spülkosten pro Einheit sind für den Gastronomen teurer als das früher verwendete Einweggeschirr, doch Dummel findet den Preis von Vytal angemessen. Auch bei der Diskussion um den Spülort überwiegen für ihn die Vorteile mit Blick auf Müllvermeidung und Nachhaltigkeit: „Da könnten die Teller von mir aus auch in Frankfurt gespült werden.“

Ob Kartoffel-Raclette oder Kässpätzle: Auf dem Konstanzer Weihnachtsmarkt wandern täglich tausende Mehrweg-Teller über die Theken.
Ob Kartoffel-Raclette oder Kässpätzle: Auf dem Konstanzer Weihnachtsmarkt wandern täglich tausende Mehrweg-Teller über die Theken. | Bild: Alban Löffler

So ein Mehrwegteller darf sich über ein langes Leben freuen, er wird immer wieder neu „geboren“. Im Gegensatz zu seinen Einweg-Artgenossen, die oft den unschönen Tod in überquellenden Mülltonnen oder gar auf dem Boden sterben müssen. Ergebnis: „Wir haben deutlich weniger Müll“, erzählt Heiko Ulrich von der technischen Marktleitung. Er konnte die Anzahl der Arbeitskräfte und Rundgänge über den Markt mehr als halbieren, nur einmal habe er einen Mehrwegteller in einer Mülltonne entdeckt. Er erhalte auch keine Beschwerden von Besuchern, die sich an dem Müll auf den Gassen stören – das sei in den früheren Jahren noch der Normalfall gewesen.

Lediglich noch wenige Kinderkrankheiten

Doch trotz all der Vorteile hatte es das Geschirr nicht leicht in den vergangenen Tagen, der entfernte Spülort sorgte für Aufregung. Tommy Spörrer von Event Promotions – einer der Markt-Organisatoren – nennt nochmal die Gründe für diese Entscheidung: Ein Spülzentrum vor Ort sei nicht praktikabel, die Stromversorgung im Stadtgarten aktuell nicht ausreichend. Zudem sei es schwer, den Tellermassen gerecht zu werden.

Und: Das früher verwendete Einweggeschirr sei oft aus Asien gekommen, die Entfernungen wären somit sogar kürzer als in den vergangenen Jahren. Durch die hundertfache Nutzung der Teller falle dann auch der Transportweg nicht so stark bei der Gesamtbilanz ins Gewicht. Doch Spörrer sieht selbst noch Optimierungsbedarf – insgesamt zeigt sich der Veranstalter aber zufrieden: „Bis auf wenige Kinderkrankheiten läuft das System sehr gut.“

„Im letzten Jahr lag hier noch alles voll mit Papptellern“, erinnern sich Poliana und Ashkan Sarafian – das habe sich spürbar verbessert.
„Im letzten Jahr lag hier noch alles voll mit Papptellern“, erinnern sich Poliana und Ashkan Sarafian – das habe sich spürbar verbessert. | Bild: Alban Löffler

Und was denken die Besucher über ihr neues Geschirr? „Im letzten Jahr lag hier noch alles voll mit Papptellern“, erzählt Poliana Sarafian – das Mehrwegsystem habe den Müll spürbar reduziert. Das neue Geschirr sei auch beim Essen deutlich angenehmer: „Die Teller werden nicht feucht, knicken nicht weg – und die essbaren Schälchen haben wir auch nie aufgegessen“, sagt Sarafian. Sie stört sich nicht an dem weit entfernten Spülort – und erinnert an Politiker, die in erster Klasse und Privatjet um die Welt fliegen: „Da ist so eine Fahrt deutlich gerechtfertigter.“

Das denken die Besucher

Nicole Bösch ist für den Weihnachtsmarkt aus der Schweiz angereist: Auch sie sieht die Vorteile: „Es schmeckt wunderbar – viel stabiler als die Kartonteller.“ Stört es sie, dass sie jetzt nochmal zur Pfandabgabe an einen Stand muss? „Man muss ja auch die Gläser zurückgeben, da ist das keine zusätzliche Belastung“, sagt Bösch. Sie unterstütze den Wechsel auf das Mehrwegsystem – betont aber mit Blick auf die Spül-Debatte: „Das könnte man noch effizienter und direkt vor Ort lösen.“

Das könnte Sie auch interessieren

Roger Hönger kannte solche Konzepte schon davor, zum Beispiel vom Weihnachtsmarkt in Zürich: „Die Idee ist sehr gut – aber man hat immer die Problematik mit dem Rattenschwanz, den das System nach sich zieht“, sagt er. Auch Hönger berichtet, dass die Teller deutlich praktischer sind, um Kaiserschmarrn und Co zu essen. Zur Diskussion um die weit reisenden Teller sagt er: „Es geht darum, was die Gesamtbilanz sagt – aber wenn man das Geschirr mehrere hundert Male verwenden kann, geht das vermutlich schon auf.“