Berthold Halves, der seit vielen Jahren das Konstanzer Familienunternehmen Bettenhaus Hilngrainer führte, hat das etablierte Fachgeschäft geschlossen. Jäh endet damit die mehr als 80-jährige Firmengeschichte in der Wessenbergstraße/Ecke Münzgasse.

Die Gewürzschatulle in der Sigismundstraße, das Maximilian‘s in der Hussenstraße und der English Bookshop in der Münzgasse sind noch drei Beispiele für die Geschäftsschließungen dieser Tage und Wochen. Weitere werden folgen, spätestens wenn die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ausläuft, die bis zum 31. Januar 2021 verlängert wurde.

Die Stadt wird sich verändern

„Es wird die größte Krise nach dem Zweiten Weltkrieg, und keiner weiß, wie es ausgeht“, stellt der Konstanzer Wirtschaftsförderer Friedhelm Schaal fest und meint mit Blick in die Zukunft: „Die Stadt, wie wir sie kannten, wird es nicht mehr geben.“

Allerdings: Nicht alles ist der Corona-Pandemie und den daraus resultierenden Einschränkungen und Lockdowns zuzuschreiben. Manchmal fehlt es auch am passenden Nachfolger, es kommt zu persönlichen Schicksalsschlägen, oder die Geschäfte liefen schon vorher nicht so gut.

Das wird getan, um Geschäften zu helfen

„Corona ist das Brennglas, unter dem alle Schwierigkeiten extrem zu Tage treten“, zitiert Friedhelm Schaal den Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx. Weit vor der Pandemie sei klar gewesen, dass sich die Struktur des Einzelhandels verändern werde, nicht zuletzt aufgrund der großen Konkurrenz der Internetanbieter.

In Konstanz wurden frühzeitig das Handlungsprogramm Wirtschaft ausgearbeitet, der Arbeitskreis „Zukunftsfitte Innenstadt“ gegründet und dezidierte Trainingsprogramme angeboten. Das Ziel: „Hartes Training, um die Qualität in jeder Hinsicht zu steigern und damit zukunftsfähig zu sein.

Es geht darum, besser als alle anderen zu sein, denn normal kann jeder“, beschreibt es Schaal. Gleichzeitig müssten die Händler auch das Kirchturmdenken ablegen. „Die Region muss stark sein, einzelne Sieger gibt es nicht mehr“, formuliert der Wirtschaftsförderer.

Aus für 60 Läden zu erwarten

„In der Corona-Zeit ist die Situation existenzbedrohend für relativ viele Händler“, so Schaal. Schätzungen auf Bundesebene besagten, dass in Deutschland etwa 50.000 Geschäfte neben dem „normalen Selektionsprozess“ schließen würden.

Das könnte Sie auch interessieren

Auf Konstanz heruntergerechnet, bedeute dies das Aus für 50 Läden. „Die Lage ist dramatisch. Da draußen wird ums Überleben gekämpft“, sagt Friedhelm Schaal, der mit Vorurteilen in der Bevölkerung, aber auch in den Reihen des Gemeinderats aufräumen will.

Waren bleiben in den Lagern liegen

„Viele denken, dass der Einzelhandel Goldbarren aufgehäuft hätte.“ Dem sei jedoch nicht so, auch wenn die Umsätze in den vergangenen Jahren deutlich gesteigert werden konnten. Einzelhandel sei sehr kapitalintensiv. „Die Waren in den Lagern sind in der Regel fremdfinanziert“, schildert Schaal und kommt auf die Probleme, die durch die Lockdowns entstehen, zu sprechen.

Der Abverkauf gerade im Bereich der Textilhändler nach dem ersten Lockdown sei schon schwierig gewesen, denn diese unterlägen einem saisonalen modischen Verfallsdatum. In anderen Branchen sei es durch Unterbrechung der Lieferketten zu Versorgungsengpässen gekommen.

Bis zu 40 Prozent des Jahresumsatzes im Weihnachtsgeschäft

„Für das Weihnachtsgeschäft haben die meisten deshalb Waren gehortet. Es gibt Branchen, die zum Teil bis zu 40 Prozent ihres Jahresumsatzes in dieser Zeit machen“, berichtet Schaal und fügt zum aktuellen Lockdown an: „Dass ein zweites Mal der Schalter umgelegt wird, hat keiner gedacht.“

Die Leerstände in der Konstanzer Innenstadt haben in den vergangenen Wochen zugenommen: Auch der English Bookshop in der Münzgasse hat ...
Die Leerstände in der Konstanzer Innenstadt haben in den vergangenen Wochen zugenommen: Auch der English Bookshop in der Münzgasse hat geschlossen. | Bild: Scherrer, Aurelia

Mit den prall gefüllten Warenlagern ploppten sofort die Probleme der Liquidität und der Überschuldung auf. Die Finanzhilfen seitens des Bundes seien zwar gut, doch das Geld würde viel zu spät ausgezahlt.

Auch die Gastronomie leidet unter der derzeitigen Situation

In der Gastronomie sehe es nicht besser aus. Auch in dieser Branche sei es kaum möglich, ein großes Vermögen anzusammeln, um derartige Einbußen kompensieren zu können, meint Friedhelm Schaal. „Der Außerhausverkauf ist nett und schön, aber nur ein kleiner Tropfen auf einen sehr heißen Stein, denn es fehlt der Grundumsatz. Die Hauptschlagader ist fast abgeschnitten“, meint er.

Zudem sei das Preisniveau in Konstanz insgesamt sehr hoch. „Das muss sich nach unten regulieren. Aber in Anbetracht der etwa 15 bis 20 Prozent höheren Kosten ist das ein enormer Konflikt“, so Schaal, insbesondere was die Bezahlung hoher Pachten anbelange.

Mieten für Einzelhändler teils sogar angehoben

Zwar hatte die Stadt alle Immobilienbesitzer dazu aufgerufen, ihren Mietern und Pächtern finanziell entgegenzukommen, „aber es gibt vereinzelte Fälle, wo die Mieten sogar angehoben wurden“, weiß Friedhelm Schaal, der deutlich kritisiert: „Das halte ich für ein unverantwortliches Handeln.“ Dies sei ein weiterer Baustein dafür, dass Unternehmen pleite gingen.

Für ihn ist aber auch klar, wer Mondpreise einfordere, werde „auf den überteuerten Flächen sitzen bleiben“. Die daraus resultierende Folge: Leerstand. Je mehr Leerstand, desto unattraktiver ein Besuch in der Innenstadt, und die Abwärtsspirale beginne.

Ein weiteres Beispiel für das Einzelhandelssterben: Das Familienunternehmen Bettenhaus Hilngrainer in der Wessenbergstraße/Ecke ...
Ein weiteres Beispiel für das Einzelhandelssterben: Das Familienunternehmen Bettenhaus Hilngrainer in der Wessenbergstraße/Ecke Münzgasse ist nach mehr als 80 Jahren Geschichte. | Bild: Scherrer, Aurelia

Es gibt Verlierer und Gewinner

Handel und Gastronomie sind aber bei weitem nicht die einzigen Branchen, die hart getroffen sind. Das Gros der Reisebüros und Reiseveranstalter werde die Krise kaum überstehen. „Was mir wahnsinnig Sorge macht, ist auch der Veranstaltungsbereich: Künstler, Dienstleister, Veranstaltungstechniker, Messebauer, Berater, Getränkehersteller... den Bereich trifft es grausam“, meint Schaal, der die Folgewirkungen nicht außer Acht lässt.

Er weist am Beispiel von Messen und Tagungen auf die „fundamentale Transformation“ hin, schließlich habe die durch Corona rasante Fortschritte in Sachen Digitalisierung gezeigt. Man müsse nicht mehr quer durch die Republik reisen, sondern kann sich virtuell vernetzen: Von zu Hause oder dem Büro in Live-Video-Konferenzen. Dieses Rad, davon ist Schaal überzeugt, werde nach der Pandemie sicherlich nicht mehr komplett zurückgedreht.

Andere Branchen erleben einen Boom

Es gebe aber auch Branchen, die einen Boom erlebten, darunter Informationstechnik, Biotechnologie- und Pharmaunternehmen, strategische Beratungsfirmen sowie der Energiesektor, der nachhaltige Technologien vorantreibe.

Und eben solche Branchen gebe es in Konstanz. Ein weiteres Plus sei, dass der regionale Tourismus gefragt sei. Das habe Konstanz im Sommer 2020 ein Stück weit gerettet, denn aufgrund des hohen Gästeaufkommens hatten zahlreiche Branchen ihr Umsatzminus aus der Zeit des ersten Lockdowns verringern können.

Das könnte Sie auch interessieren

„Lockdown: Eine Entscheidung, die ziemlich grausam, aber notwendig ist“, meint Schaal, der sich eine dritte derartige Maßnahme zwar nicht vorstellen, sie aber auch nicht ausschließen kann. Doch er setzt auf das „Prinzip Hoffnung“. Wichtig sei, dass alle auf die Wiedereröffnung bestens vorbereitet sind: „Dass sie voll fit sind und die Leute abholen, denn das ist der Schlüssel zum Erfolg“.