Es ist kein heiterer Grund, der die Frauen zusammenbringt. Bei Regen und Wind treffen sie sich am Donnerstagabend, 9. November, in der Konstanzer Döbelestraße. Sie nehmen sich herzlich in den Arm und sprechen sich gegenseitig ihre Freude über die gemeinschaftliche Teilnahme aus.
Wer sind sie? Die Frauen sind Teil des Vereins belladonna und sie haben die Patenschaft für Konstanzer Stolpersteine an der Döbelestraße 2 übernommen. An diesem Tag werden die in den Boden eingelassenen Messingplatten von ihren Paten geputzt und der Opfer des Nationalsozialismus gedacht.

Die Frauen bestärkt das gemeinsame Gedenken
Eine „Mitfrau“, wie sie sich untereinander nennen, ist Maria Theresia Jung. Sie hat einen eigenen Paten-Stein, ist aber trotz fünf Grad und Regen extra mit dem Rad hergekommen. „Das ist schon ein starkes Zeichen für unseren Zusammenhalt“, sagt Vorstandsangehörige Maggie Funk. Nachdem das Ehepaar Maggie und Julika Funk den Stolperstein geputzt haben, stellen sich die Frauen zu einer Schweigeminute zusammen.
Das gemeinsame Gedenken bestärke die Frauen. Wichtig ist ihnen, an die Gräueltaten zu erinnern und zu mahnen, damit dergleichen nicht wieder geschieht. Gerade in den den aktuellen Kriegslagen und der auch in Deutschland aufkommenden Intoleranz, sagen sie. „Es ist wichtig, das in Gemeinschaft wahrzunehmen. Es ist schön, ein Netzwerk über die Initiative der Stolpersteine zu bilden“, so die Vereinsangehörige Alexandra Rottler.

Geschichte von Mutter und Tochter Fuchs bewegt
Seit 2006 gibt es die ersten Stolpersteine in Konstanz und seit 2018 ist der Verein belladonna Frauen & Kultur Pate für die Stolpersteine von Selma und Irene Fuchs. Sie haben sich bewusst für weibliche Opfer des nationalsozialistischen Regimes entschieden. „Gerne auch eine Lesbe, aber die gab es nicht“, sagt Maggie Funk.
Funk ist bereits seit fast 40 Jahren im Verein, der sich letztendlich für Selma und Irene Fuchs entschied, weil ihre Geschichten zeigten, dass jüdische Frauen zu dieser Zeit in zweierlei Hinsicht diskriminiert wurden. Aber besonders Irenes Geschichte habe sie schließlich berührt, da sie als unabhängige Frau ein doppeltes Opfer ihrer Zeit gewesen sei.
Besonders Irenes Geschichte habe sie berührt, da sie als unabhängige Frau ein doppeltes Opfer ihrer Zeit gewesen sei. Die Tochter von Selma Fuchs studierte und promovierte an der Universität Heidelberg in Rechtswissenschaften, in einer Zeit, in der das alles andere als üblich war.
Die liberal und säkularisiert aufgewachsene Jüdin durfte aber ab 1933 kurz vor Beendigung ihres Referendariats wegen ihrer Herkunft nicht mehr arbeiten. Ihr gelang es 1937, ins Ausland zu flüchten – ohne ihre Mutter Selma, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde.


Aber nicht nur das: Irene Fuchs habe laut der Initiative in ihrer Jugend ein Verhältnis mit dem umstrittenen Pfarrer Conrad Gröber gehabt, habe das Verhältnis aber wegen seiner Sympathien für die Nazis aufgelöst. Mit der Machtergreifung der Nazis sei sie von der Gestapo zur damals rechtswidrigen Beziehung verhört worden. Während sie den Pfarrer, vermutlich auch aus Eigenschutz deckte, bezeichnete er sie als „rachsüchtige Jüdin“.
Großvater als Verfechter des Nationalsozialismus
„Sie ist Opfer wegen ihrer nicht-arischen Abstammung und als Frau geworden“, sagt Julika Funk. Sie sei eine inspirierende und unabhängige Frau gewesen. „Man könnte sich vorstellen, dass eine Irene Fuchs heute Mitfrau im belladonna wäre – als feministische Frau“, so Julika Funk. Das gelte aber auch für ihre Mutter Selma.

Auch Funk sei in einem liberalen Haushalt aufgewachsen. Ihre Eltern, Kriegskinder, sprachen und gedachten der NS-Zeit. In der Schulzeit habe sie das frühere Konzentrationslager (KZ) Dachau besucht, was sie sehr geprägt habe. Aber erst später habe sie erfahren, dass ihr Großvater ein Verfechter des Nationalsozialismus gewesen sei. Deswegen sei es für die Familie schwierig gewesen, über den Großvater zu sprechen.
Funk war auch in Konstanz für die Umbenennung der Conrad-Gröber-Straße und ist der Meinung: „Solange es Gegenwind für solche Aktionen gibt, sollte man umso mehr dagegenhalten.“
Frauen fordern: KZ-Besuch sollte obligatorisch sein
Bei Alexandra Rottler und Maggie Funk sei die NS-Zeit von ihren Eltern totgeschwiegen worden. „Vielleicht hatten sie auch keine Worte für das, was geschehen war“, sagt Rottler. Sie habe in ihrer Schulzeit ebenfalls das KZ Dachau besucht.
Funk fügt hinzu, dass sie durch einen Film im Geschichtsunterricht das erste Mal mit den Gräueltaten der Nationalsozialisten konfrontiert wurde. „Es war furchtbar, zu sehen, aber ich möchte es nicht missen“, sagt Maggie Funk.

Die Frauen sind sich einig, dass auch junge Menschen früh aufgeklärt werden sollten, solange es in einem angemessenen pädagogischen Rahmen ist. „Der Besuch eines KZs sollte in der Schule obligatorisch sein“, sagt Julika Funk.