Der Anlass für den Streit war banal. Es ging um Platz in einem Aufzug. Der Angeklagte, der ohne Verteidiger bei Gericht erschienen war, hatte sich auf Notwehr berufen. Doch Richterin Marie-Theres Polovitzer stellte beim Urteil fest: „Sie durften nicht sofort das Messer ziehen. Es war ein Glück, dass hier nicht mehr passiert ist.“
Vieles im Fall blieb bei der Verhandlung vor dem Amtsgericht im Dunklen, doch klar war: Im August vergangenen Jahres eskalierte in der Theodor-Heuss-Straße ein Streit. Der Maler, der vor Gericht angab, er habe damals ein Knieproblem gehabt, wollte im fünften Stock in einen Aufzug steigen, den ebenso eine Frau und der 26-Jährige nutzten.
Die beiden waren gerade dabei, Sachen aus einem Lagerraum im Obergeschoss in den Keller zu schaffen, und setzten dazu den Lift ein. Als sie wieder nach oben fuhren, und sich die Türen des Aufzugs wieder öffneten, stand dort der Angeklagte.
Zeugin: „Ich weiß nicht genau, wer angefangen hat.“
Die Frau, die im fünften Stock einen Lagerraum ausräumte, schilderte als Zeugin vor Gericht, dass der Angeklagte es eilig gehabt habe, und dies auch sagte. Sie habe noch einen Karton in den Lift schieben wollen, um mit diesem nochmals abwärts zu fahren. Doch der Angeklagte habe Beleidigendes gerufen. Und dann seien die beiden Männer in eine Schlägerei verwickelt gewesen. „Ich weiß nicht genau, wer angefangen hat.“
Im Erdgeschoss hätten beide darum gebeten, dass sie die Polizei rufe. Dies bestätigte auch eine weitere Zeugin. Eine zufällig hinzugerufene Polizeibeamtin, die nicht im Dienst war, sagte vor Gericht, der Angeklagte sei hinter dem Geschädigten gestanden und habe mit dem Messer herumgefuchtelt. Ein Einsatzpolizist erzählte, wie die Polizei die Streitenden getrennt habe. Der Verletzte sei Rettern übergeben worden, der Mann mit dem Messer festgenommen worden.
Angeklagter: „Er hat mich angegriffen. Ich hatte Panik.“
Der Angeklagte räumte vor Gericht die Taten ein, berief sich aber auf „ein bisschen Notwehr.“ Er sagte weiter, aus heutiger Sicht sei die Auseinandersetzung völlig unnötig gewesen. „Ich bin da nicht schuldlos. Es tut mir leid. Ich zahle alles.“ Dem Angeklagten war zu diesem Zeitpunkt möglicherweise nicht klar, dass ihm deutlich mehr als eine Geldstrafe drohte.
Er behauptete, der 26-jährige Mann, der kräftig wirkte und deutlich größer und schwerer war als der Angeklagte, haben ihn in den Schwitzkasten genommen. Voller Angst habe er dann zum Arbeitsmesser gegriffen, das jeder Maler bei sich trage. Der 26-Jährige habe ihn am Hals gewürgt. „So leid mir das tut. Er hat mich angegriffen. Ich hatte Panik.“
Der Geschädigte, der in der Sicherheitsbranche arbeitet, berichtete, dass er bis heute bei kaltem Wetter, also auch in der Nacht, nicht arbeiten könne, weil die Narben schmerzten. Bei den Details der Auseinandersetzung blieb vieles im Unklaren, obwohl in der Gerichtsverhandlung ein Dolmetscher eingeschaltet war. Bei der Polizei hatte der Mann ohne Dolmetscher ausgesagt. Dort wurde notiert, er habe im Aufzug noch kein Messer gesehen.
Vor Gericht, mithilfe eines Dolmetschers, aber sagte der Mann: Der Angeklagte habe ihn beschimpft, er habe von dem aggressiven Mann eine respektvolle Rede eingefordert. Dann habe der Angeklagte das Messer gezückt und damit gedroht. Später habe der Maler auf ihn eingeschlagen. Der Geschädigte sagte, er habe sich voller Angst gewehrt, und versucht, dem Mann das Messer zu entwenden.
Staatsanwalt: „Das rechtfertigt den Einsatz des Messers nicht.“
Wer den ersten Schlag gesetzt habe, sei hier wohl nicht mehr aufzuklären, sagte Staatsanwalt Hägele, der gegenüber dem SÜDKURIER seinen Vornamen nicht nennen wollte. Die Version des Angeklagten, dass er sich ständig in einem gefährlichen Schwitzkasten befunden habe, sei aber nicht glaubwürdig. Kein Zeuge habe dies bestätigt. Er gehe davon aus, dass beide den Körper einsetzten.
Dass der Angeklagte auch zum Messer griff, sei nicht durch das Recht auf Notwehr gedeckt. Er könne nicht ausschließen, dass der 26-Jährige dem Angeklagten den ersten Schlag versetzte. „Doch das rechtfertigt den Einsatz des Messers nicht.“ Er forderte acht Monate Haft, die zur Bewährung ausgesetzt werden. Anwältin Kristina Müller forderte 3000 Euro Schmerzensgeld für den Geschädigten.
Richterin: „Sie durften nicht sofort das Messer ziehen.“
Auch Richterin Marie-Theres Polovitzer sagte, es lasse sich nicht mehr feststellen, wer mit den Schlägen angefangen habe. Klar sei aber: Der Angeklagte sei zumindest nicht durchgehend in einem Schwitzkasten gewesen. Keiner der Zeugen habe davon berichtet. Polovitzer sagte weiter, bei einer Notwehr dürfe man sich nur mit den mildesten Mitteln verteidigen. „Sie durften nicht sofort das Messer ziehen.“
Der Angeklagte habe sein Arbeitsmesser nicht nur eingesetzt, sondern den Geschädigten damit an Hals und Bauch verletzt. Beides könne lebensgefährlich sein. Trotz der oberflächlichen Wunden sei der Geschädigte drei Wochen arbeitsunfähig gewesen und leide noch heute unter den Folgen der Stiche. Sie sprach diesem 1500 Euro an Schmerzensgeld zu. Weitere 1500 Euro muss der Angeklagte an eine gemeinnützige Einrichtung zahlen.
Das Gericht berücksichtigte, dass der Angeklagte vorher noch nie straffällig geworden war, die Taten weitgehend einräumte, und zum Zeitpunkt der Tat ein Medikament einnahm, das möglicherweise enthemmende Wirkung hatte. Es sei nicht zu erwarten, dass so ein Gewaltausbruch nochmals passiere. Der Angeklagte, der ohne Verteidiger vor Gericht erschienen war, kündigte an, eventuell die Möglichkeiten der Revision und Berufung zu nutzen.