Eine Strafkammer des Landgerichts Konstanz verurteilte den Mann zu sieben Jahren Haft. Wegen des Vorliegens einer paranoiden Schizophrenie ordnete sie die Unterbringung im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Reichenau an.
Am letzten Verhandlungstag präsentierte die psychologische Gutachterin ihren Bericht. In persönlichen Gesprächen, so sagte die Frau, habe der Angeklagte berichtet, wie seine Mutter ihn habe zugrunde richten wollen. Diese haben ihn als Kleinkind zur Selbsttötung durch das Greifen in eine Steckdose bewegen wollen.
In seiner Jugend sei er in Aberglauben geflüchtet und habe auch viel Cannabis konsumiert. Kurz vor der Jahrtausendwende sei er erstmals aufgrund einer Psychose im Zentrum für Psychiatrie (ZfP) Reichenau behandelt worden. Nach dem Werkrealschulabschluss sei daran eine Ausbildung gescheitert. Während dieser Zeit habe angeblich auch sein Schwiegervater versucht, ihn umzubringen.
Die Gutachterin spricht von „Verlust der Realität“
Die Gutachterin ging auf den Lebenslauf des Angeklagten ein. In den Jahren darauf folgten mehrere Wohnortwechsel, zwischenzeitliche Obdachlosigkeit, diverse Psychiatrieaufenthalte und der Abbruch eines zweiten Ausbildungsversuchs aufgrund einer Alkoholabhängigkeit. In dieser Zeit sei ihm erstmals ein Betreuer zur Seite gestellt worden.
Der Angeklagte habe unter seinem Geldmangel gelitten und Schwierigkeiten gehabt, sein Leben zu organisieren, erklärte die Sachverständige. Im Jahr 2015 sei der Angeklagte gegenüber dem damaligen Vermieter äußerst aggressiv aufgetreten, so habe er sich auch gegenüber den Mitarbeitenden des Jobcenters gezeigt. Es habe diese immer wieder beleidigt und Anfang 2018 mit einem Taschenmesser bedroht.
Der Angeklagte neige dazu, die Verantwortung für persönliche Frustration bei anderen Menschen zu suchen. Hinzu komme der Alkoholkonsum. Vor der Tat habe er sich in den Wahn gesteigert, dass er als Ausländer diskriminiert werde, die Medien ins Hirn eindrängen und aus zufälligen Ereignisse auf große Zusammenhänge geschlossen.
Die Gutachterin sprach von einem „Verlust der Realität“ und ging zudem davon aus, dass der Angeklagte wohl auch Halluzinationen habe. Die psychologische Sachverständige diagnostizierte eine chronische paranoide Schizophrenie, die sich episodenhaft zeige. Vom Angeklagten gehe auch in Zukunft ein beträchtliches Risiko für schwerwiegendere Taten aus.
Die Staatsanwältin widersprach in ihrem Plädoyer der Behauptung des Angeklagten, in Notwehr gehandelt zu haben. Statt nach den ersten Messerstichen aus der Wohnung zu fliehen, sei er seinem Opfer in dessen Zimmer gefolgt und habe dort weiter auf dieses eingestochen. Er habe „ein richtiges Gemetzel angerichtet“, so die Staatsanwältin. Zudem habe er nach der Tat geistesgegenwärtig seinen Chatverlauf gelöscht.
Aufgrund der chronisch paranoiden Schizophrenie sei die Schuldfähigkeit jedoch eingeschränkt. Die Staatsanwältin forderte eine Freiheitsstrafe von sieben Jahren, wobei der Haftbefehl in einen Unterbringungsbefehl in einer psychiatrischen Einrichtung umgewandelt werden solle.
Anwalt fordert Freispruch für seinen Mandaten
Der Angeklagte habe in steter Angst vor seinem Mitbewohner gelebt, betonte der Verteidiger. Sein Mandant habe aus Todesangst zum Messer gegriffen. Es habe sich sehr wohl um eine Notwehrsituation gehandelt, so der Verteidiger. Auch entspreche die Prognose der psychologischen Sachverständigen nicht mehr den aktuellen Umständen.
Derzeit bestehe keine Gefahr für die Allgemeinheit durch seinen Mandanten, so der Verteidiger. Er forderte Freispruch. „Es tut mir sehr leid“, erklärte der Angeklagte. Er hoffe, dass die Mutter des Verstorbenen ihm eines Tages verzeihen könne. Er habe seinen Mitbewohner respektiert und zu keinem Zeitpunkt eine Eskalation gewollt.
Die Strafkammer folgte in ihrem Urteil weitgehend der Staatsanwaltschaft. Zahlreiche Tatsachen sprächen gegen eine spontane Tat, sagte der Vorsitzende Richter. Der Angeklagte habe die körperliche Auseinandersetzung mit dem Opfer in der Wohnung erwartet und sich bereits vorab mit einem Messer bewaffnet.
Richter: „Es ist eindeutig, dass es nicht Notwehr war“
Auch als der Mitbewohner in sein Zimmer flüchten wollte, habe er nicht mehr von ihm abgelassen. Er habe „die Sache zu Ende bringen wollen“, so der Richter und erklärte: „Es ist eindeutig, dass es nicht Notwehr war.“ Der Angeklagte habe zumindest in Kauf genommen, dass das Opfer sterbe. Strafmildernd wirke sich seine Erkrankung aus. Auch das Teilgeständnis und die Reuebekundungen seien zu seinen Gunsten auszulegen.
„Sieben Jahre sind schuldangemessen für diese furchtbare Tat“, so der Richter. Aufgrund der paranoiden Schizophrenie sei die Umwandlung des Haft- in einen Unterbringungsbefehl verhältnismäßig. So gebe es eine „überwiegende Wahrscheinlichkeit“ für weitere schwerere Taten. Erschwerend komme hinzu, dass der Angeklagte keine Krankheitseinsicht zeige.