Paul R. Stengele aus Mühlingen-Maiwangen verschafft dem Altbau neues Leben. Er sagt, er sei ein Nachfahre der Familie, die im ausgehenden 19. Jahrhundert sieben Jahre lang die frühere Gaststätte Rheinau am Seerhein betrieben hatte, dem Vorgänger des Wirtshauses Rheingarten.

Der 70-Jährige hat die schriftlichen Erinnerungen übersetzt, die Marie Butscher, seine Großmutter mütterlicherseits, deren Schwester Paulina und deren Vater Josef Butscher hinterlassen haben.

„Die Tagebücher standen schon lange im Bücherregal“, sagt Paul R. Stengele. Es handle sich um viele Meter schriftlicher Zeugnisse aus der Vergangenheit. Er sei gerade dabei, diese von der deutschen Schreibschrift, manche sagen auch Kurrentschrift, in die heute für alle lesbare lateinische Druckschrift zu übertragen.

Das könnte Sie auch interessieren

Als er zu den Kapiteln kam, in denen die Verwandten schilderten, wie sie das frühere Gasthaus am Seerhein erwarben und betrieben, sei ihm ein Artikel aus dem SÜDKURIER in die Hände gefallen. Es ging darin um das Baudenkmal des ehemaligen Gasthauses, das nun im Schatten der neuen Bürotürme steht.

Das Zeitungspapier habe eigentlich im Feuer eines Ofens landen sollen, doch dieser Artikel habe sein Interesse geweckt. Paul R. Stengele schickte schließlich ein feinsäuberlich getipptes und gebundenes Dokument an den SÜDKURIER. Es handle sich um die Auszüge der Jugenderinnerungen seiner Vorfahren, schrieb er dazu.

Großmutter Marie schreibt vom Familienleben am Seerhein

Darin ist zu lesen, wie Josef Butscher im Jahr 1870 das Gut am Seerhein erwarb, umbaute und etwa 100 Meter von der Wirtschaft entfernt ein Wohnhaus errichtete. Seine Tochter Marie bezeichnete dieses als „trautes, liebes, schönes Heim“. Die ersten Jahre darin schilderte sie als Zeit des „schönsten Glücks und Friedens“.

Marie berichtete es so, als hätte sie diese Zeit selbst erlebt. Tatsächlich ist sie nach Angaben von Paul R. Stengele erst 1881 geboren, zu einer Zeit also, als Maries Eltern die Wirtschaft und das Wohnhaus am Seerhein schon wieder abgegeben hatten.

Die Postkarte aus dem Jahr 1904 zeigt das Gasthaus Rheingarten am Seerhein.
Die Postkarte aus dem Jahr 1904 zeigt das Gasthaus Rheingarten am Seerhein. | Bild: Rindt Claudia

Die Aufzeichnungen sind also erst sehr viel später entstanden. Sie dürften auf den Erzählungen in der Familie basieren. Ähnlich verhält es sich mit denen der Schwester Paulina, die nach Angaben von Paul R. Stengele 1875 geboren wurde, also gerade zwei Jahre alt war, als sich deren Eltern von der Wirtschaft am Seerhein verabschiedeten.

Das könnte Sie auch interessieren

In den Erinnerungen der Schwestern gibt es einige Abweichungen zu den Erkenntnissen des Denkmalschutzes. Demnach wurde das frühere Gasthaus vermutlich 1606 errichtet und um 1850 in Rheingarten umbenannt. Es gehört zu den wenigen Relikten der vorindustriellen Bebauung am rechten Rheinufer.

Eines der Kinder wäre fast im Seerhein ertrunken

Nach den Erinnerungen der Geschwister Paulina und Marie nannte sich das Gasthaus noch im Jahr 1870 Rheinau. Nach Angaben Paulinas kam der Name Rheingarten erst nach 1877 mit einem weiteren Bau hinzu. Sie notierte: „Später bildete sich dann nebenan die Wirtschaft zum Rheingarten, die heute noch steht.“

Nach Paulinas Erinnerungen diente der Gasthof des Vaters den Arbeitern der nahen Ziegelei und anderer Industriebetriebe als Lokal für das Mittagessen. Sie schrieb auf: „Die Eltern hatten viel zu tun, da sie vieles selbst einrichteten und selbst kochten und bedienten.“ Sie schildert, wie eines der Kinder beinahe im Seerhein ertrunken wäre, aber gerade noch rechtzeitig Hilfe bekam.

Das könnte Sie auch interessieren

In einer späteren Passage stellte sie fest: „Doch je größer die Kinder wurden, sah der gute Vater immer mehr ein, wie viel er durch die Wirtschaft gehindert sei, sich der Kinder anzunehmen.“ Der Vater habe den Entschluss gefasst, die Wirtschaft zu verkaufen und wieder in die Stadt zu ziehen.

Auch Marie berichtete, wie den Eltern der Verdruss mit der Gastronomie zu viel geworden sei. Dazu hätten vor allem die Italiener beigetragen, die als billige Arbeitskräfte im Gasthaus Rheinau übernachteten. Sie seien zum Bau der Schwarzwaldbahn nach Konstanz gekommen.

Das könnte Sie auch interessieren

Paul R. Stengele, der sich bestens mit den Schienen am Bodensee auskennt, notiert dazu, dass Konstanz schon 1863 an die Bahn angeschlossen war. „Es müssen Nacharbeiten an der Bahnterrasse gewesen sein, vielleicht wurde das zweite Gleis verlegt.“

Seine Großmutter jedenfalls schilderte, mit den Italienern sei ein ruheloses, wildes Leben in die Rheinau eingekehrt. Immer wieder sei es unter ihnen zu Messerstechereien gekommen, „und der Wirt musste oft unter eigener Lebensgefahr den Streit schlichten.“

Schließlich lässt sich die Familie in der Konradigasse nieder

Nach Paulinas Erinnerungen sei der Vater mit der Familie 1877 in die Konradigasse gezogen, um die Landwirtschaft der Schwiegereltern zu übernehmen. Paul R. Stengele sagt, er habe selbst lange Zeit in der Konradigasse gelebt. Ab dem 17. Lebensjahr sei er Dauergast im alten Stadtarchiv gewesen, das damals noch in der Katzgasse seinen Sitz hatte.

Erst 1984 war es in den Westflügel des früheren Klosters Petershausen gezogen. Der gebürtige Niederbürgler sagt, er sei vor 15 Jahren weggezogen. Das Haus seiner Vorfahren in der Konradigasse sei vor sechs Jahren verkauft worden. Der 70 Jahre alte Enkel von Marie Butscher geht davon aus, dass die in den Aufzeichnungen erwähnte Landwirtschaft tatsächlich noch in der Niederburg lag.

Das könnte Sie auch interessieren

Zu den Tagebüchern stellt er fest: Das erste von Josef Butscher sei verschwunden. In den folgenden Aufzeichnungen stehe viel Religiöses. Auch Paulina, die später Nonne wurde, habe viel zu diesem Thema notiert. Paul R. Stengele selbst war beruflich vielseitig tätig. Der gelernte Feinmechaniker berichtet, er sei unter anderem Restaurator gewesen und habe als Steinmetz am Konstanzer Münster gearbeitet.