Wo hört die reale Welt auf und wo fängt das Bild an? Bin ich mittendrin oder schaue ich von außen drauf? Das sind zwei der Fragen, die wohl die meisten Besucher von Panoramen des Künstlers Yadegar Asisi umtreiben. Unter ihnen bald auch die Konstanzer und ihre Gäste.

Wie ein Film, in dem alle Szenen gleichzeitig laufen

Seine Riesenbilder sind wie ein Film, in dem alle Szenen gleichzeitig zu sehen sind. Kleine Begebenheiten und großes Theater, Morgen und Abend, Erforschtes und Erfundenes. Im Jahr 2024 wird auch in Konstanz solch ein Bild gezeigt, in einem eigens errichteten, 50 Meter hohen runden Turm bei der Schänzlebrücke. Aber wie entsteht eigentlich so ein Bild und wie weit ist das für Konstanz schon fortgeschritten?

Im Studio von Yadegar Asisi sieht man erst mal: keine Staffelei, kein Stück Leinwand, keine der üblichen Hilfsmittel aus dem Atelier eines Malers. Seine Technik bezeichnet Asisi als „Malerei mit modernen Mitteln“.

Nichts ist dem Zufall überlassen: Yadegar Asisi (Mitte) plant jede Szene seiner Panoramen sehr genau, bevor dafür Bilder mit Komparsen ...
Nichts ist dem Zufall überlassen: Yadegar Asisi (Mitte) plant jede Szene seiner Panoramen sehr genau, bevor dafür Bilder mit Komparsen aufgenommen werden. | Bild: Tom Schulze für Asisi F&E

Er arbeitet mit aufwendig inszenierten Fotos, die ähnlich vorbereitet sind wie eine Filmszene – mit Komparsen und Kostümbildnern und Beleuchtern. All das wird dann umfassend fotografiert.

Sind die Riesenpanoramen also einfach eine gigantische Arbeit mit Bildbearbeitungsprogrammen wie Photoshop? Nein, sagt Asisi, denn er und sein Team malen und zeichnen auch. Zum Teil ganz konventionell auf Papier oder andere Untergründe, das wird dann abfotografiert oder gescannt und in das fertige Bild eingebaut. Zum Teil aber auch mit dem digitalen Zeichenstift auf dem Bildschirm. Das Ergebnis ist eine digitale Datei.

Bild soll die Menschen berühren und staunen lassen

Was auf dem Bild genau zu sehen ist, wie es wirkt, welche Emotionen sie bei den Besuchern auslösen soll, ist minutiös geplant, und man kann sich Yadegar Asisis Rolle wohl am ehesten wie die eines Regisseurs vorstellen. Zugleich, sagt er in seinem Berliner Studio, kommt es aber auch auf Technik an.

Bei den Fotoaufnahmen für das Panorama zum Konstanzer Konzil: Yadegar Asisi instruiert Komparsen.
Bei den Fotoaufnahmen für das Panorama zum Konstanzer Konzil: Yadegar Asisi instruiert Komparsen. | Bild: Tom Schulze für Asisi F&E

Das Bild mit 110 Metern Umfang und 30 Metern Höhe besteht aus über 30 einzelnen Bahnen, die drei Meter breit und 30 Meter lang sind. Sie so zusammenzunähen, dass auch bei wechselnder Beleuchtung möglichst kein Übergang zu sehen ist, das allein ist das Ergebnis von zwei Jahrzehnten Forschung und Entwicklung. Und um es zu zeigen, braucht es ein Bauwerk, wie es in der weiten Umgebung bisher kein vergleichbares gibt.

Die für Konstanz sind offenbar noch nicht gedruckt, aber das Bild selbst ist weit fortgeschritten, wie Yadegar Asisi sagt. Angefangen damit hat er, als noch nicht feststand, ob und wo es überhaupt gezeigt wird. Das macht künstlerische Arbeit für ihn auch aus: aus eigenem Antrieb und auch ohne Auftrag mal etwas zu wagen.

Ein kleiner Teil des Panoramas: Die Szenerie erinnert an die heutige Zollernstraße. Und Konzil-Chronist Ulrich Richental hält die Szene ...
Ein kleiner Teil des Panoramas: Die Szenerie erinnert an die heutige Zollernstraße. Und Konzil-Chronist Ulrich Richental hält die Szene fest. Finden Sie ihn? (Auflösung weiter unten) | Bild: Asisi F&E GmbH

„Konstanz war ein Wendepunkt in der Religionsgeschichte“

Denn die Wendepunkte in der Religionsgeschichte, sagt Asisi, sind eine Art Lebensthema von ihm. In einem Bild (Rom 312, bis vor kurzem zu sehen in Pforzheim) stellt er dar, in welche Gesellschaft hinein das Christentum als neue Staatsreligion verankert wurde, in einem anderen zeichnete er in Bild von der Welt an der Zeitenwende der Reformation (Wittenberg 1517, in der Lutherstadt derzeit ausgestellt). Dazu passt für ihn das Konstanzer Konzil.

An der Hausecke bringt ein Handwerker ein Wappen an. Das Gebäude erinnert Ortskundige an das Hohe Haus in der Zollernstraße.
An der Hausecke bringt ein Handwerker ein Wappen an. Das Gebäude erinnert Ortskundige an das Hohe Haus in der Zollernstraße. | Bild: Asisi F&E GmbH
Auf dem Platz vor der Leiter steht ein Mann: Es ist Ulrich Richental, der Konstanzer Chronist, steht mit dem Rücken zum Betrachter und ...
Auf dem Platz vor der Leiter steht ein Mann: Es ist Ulrich Richental, der Konstanzer Chronist, steht mit dem Rücken zum Betrachter und hält Papier in der Hand. | Bild: Asisi F&E GmbH

Konstanz in den Jahren ab 1414 stellt er dabei mit der Phantasie eines Geschichtenerzählers dar und stützt sich zugleich auf alle Quellen, die sein Team recherchieren konnte. Ein Glücksfall ist dabei die reich illustrierte Chronik des damaligen Stadtschreibers Ulrich Richental, den er in einer Szene dann auch prompt verewigt.

Dieses Panorama ist durchgestaltet bis ins kleinste Detail

Vom Einzug des Kaisers Sigismund bis zur Verbrennung des Jan Hus vor den Mauern der Stadt, vom volksfestartigen Treiben bis zu Szenen inniger Gläubigkeit, vom Stadtleben bis zur großen Politik: All dies zeigt das Bild in beeindruckender Detailtreue. Mit einem schnellen Blick ist es jedenfalls nicht getan, wie auch andere Asisi-Panoramen zeigen, die sich teils seit vielen Jahren eines regen Besuchs erfreuen.

So auch beim Pergamon-Museum in Berlin. Dort ergänzt das riesige Rundbild die Ausstellung der Originale aus der Antike, ohne sie zu ersetzen. Das Erlebnis in dem gewaltigen Rundbau ist fast körperlich: Überall um die Besucher herum ist eine Stadt und ihre Umgebung von vor knapp 2000 Jahren, voller Menschen, Gebäude, Gegenstände.

Mittendrin: Die Besucher erleben ein Asisi-Panorama – hier das am Pergamon-Museum in Berlin – vom Boden wie auch von einer ...
Mittendrin: Die Besucher erleben ein Asisi-Panorama – hier das am Pergamon-Museum in Berlin – vom Boden wie auch von einer Beobachtungsplattform aus. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Während des Besuchs wechselt mehrfach die Lichtstimmung, und auch hier lenkt eine geschickte Regie das Auge an immer neue Orte. Die Vielzahl und die Gleichzeitigkeit der einzelnen Szenen führt immer wieder dazu, dass Asisis Panoramen als „Wimmelbilder“ bezeichnet werden, in Anlehnung an ähnlich gestaltete Kinderbücher. Asisi mag den Begriff nicht, obwohl er eigentlich den immersiven Charakter seiner Arbeit gut umschriebt: Die Besucher sind, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn, mittendrin.

Wo hört der Besucherraum auf, wo fängt das Bild an: Die Betrachter unten sind real, die auf der hölzernen Kanzel gemalt und beriets Teil ...
Wo hört der Besucherraum auf, wo fängt das Bild an: Die Betrachter unten sind real, die auf der hölzernen Kanzel gemalt und beriets Teil des Panoramabildes von Berlin-Kreuzberg zu Zeit der Mauer. Zu sehen ist es in der Nähe des Checkpoint Charlie in Berlin. | Bild: Rau, Jörg-Peter

In Konstanz wird dies ab Ende 2024 möglich sein. Das bekräftigt Wolfgang Scheidtweiler, der das Panorama auf eigene Kosten anfertigen und auch das Gebäude dafür errichten lässt. Öffentliche Mittel stecken nicht in dem Projekt, das schon bald bei der Schänzlebrücke Gestalt annehmen wird.