An die Anfänge der Wasservogelzählungen können sie sich naturgemäß nicht erinnern, ja, da waren sie nicht einmal geboren. Und doch wissen Lisa Maier und Arno Reinhardt, wie wichtig gerade die Anfänge dieser regelmäßig wiederkehrenden Tätigkeit waren. Seit 1958 werden am Bodensee die Wasservögel gezählt – und zwar nur in den Wintermonaten, wenn auf dem See richtig viel los ist.

Lisa Maier und Arno Reinhardt übernehmen mit anderen Kollegen regelmäßig eine Zählstrecke bei der Wasservogelzählung. Diese findet jeden ...
Lisa Maier und Arno Reinhardt übernehmen mit anderen Kollegen regelmäßig eine Zählstrecke bei der Wasservogelzählung. Diese findet jeden Monat in der Winterzeit statt. | Bild: Wagner, Claudia

Anders als bei den Menschen findet der Tourismus in der Vogelwelt am See im Winter statt. Dann sammeln sich Einheimische und Gäste – und in jedem Jahr verändert sich ihre Zahl. In einem Wintermonat halten sich aktuell bis zu 250.000 Vögel am Bodensee auf, in den 1960er Jahren waren es noch deutlich weniger.

Ein Job für Liebhaber

Karl Mühl, ein Radolfzeller Kommunalpolitiker, habe die Wasservogelzählung 1958 mit ins Leben gerufen, berichtet Lisa Maier, die mit Arno Reinhardt einen Abschnitt am Ermatinger Becken zählt. „Entenzählungen hieß das damals“, schmunzelt Maier. Die Initiatoren der Ornithologischen Arbeitsgemeinschaft (OAG), die bis heute die Zählungen organisiert, waren oft Lehrer und in ihrem Hobby, der Ornithologie, der Vogelwelt verbunden.

Inzwischen hat im Januar die 500. Vogelzählung am Bodensee stattgefunden. Seit September 1961 finden die Wasservogelzählungen systematisch am gesamten Bodensee, also auch auf Schweizer und der österreichischen Seite statt, jeweils einmal pro Monat von September bis April. „Das Gute daran ist, dass man bereits 1961 dieselbe Methode verwendete, die heute noch in Gebrauch ist. Dadurch sind die Daten sehr gut vergleichbar“, erklärt Arno Reinhardt.

Im Einsatz: Mit einem Spektiv verschafft sich Arno Reinhardt einen Überblick über die Zahl der Individuen der verschiedenen Vogelarten ...
Im Einsatz: Mit einem Spektiv verschafft sich Arno Reinhardt einen Überblick über die Zahl der Individuen der verschiedenen Vogelarten am Ermatinger Becken. | Bild: Harald Jacoby

Doch welchen Zweck haben diese Daten und wer nutzt sie? Die OAG ist zwar inzwischen als Verein organisiert, doch strenggenommen ist sie ein Zusammenschluss von Privatpersonen, sie tritt nicht als Verband auf. Über die in der OAG aktiven Personen gibt es aber vielfältige Verbindungen zur Wissenschaft. So sind einige Mitglieder am Max-Planck-Institut für Ornithologie tätig. Das hilft beiden Seiten: Die OAG bleibt bei einer wissenschaftlich exakten Datenerhebung und andererseits können Forscher die Daten, die aus den Zählungen gewonnen werden, jederzeit nutzen.

Viele Veränderungen durch den Klimawandel

Daten, die über einen so langen Zeitraum hinweg erhoben werden, zeigen immer Veränderungen auf. Was die Vogelwelt betrifft, so haben etliche davon mit dem Klimawandel zu tun. Nachvollziehbar sind Veränderungen des Lebensraums beispielsweise am Verhalten der Reiher-, Tafel und der Spießente.

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In den 1980er Jahren stieg die Zahl der Individuen dieser Arten sichtbar an, berichtet Arno Reinhardt. Das hänge mit zwei Faktoren zusammen: Zum einen wanderte in diesem Zeitraum die Dreikantmuschel aus dem Schwarzmeerraum ein und bot willkommene Nahrung für die Entenarten. Zweitens wurde 1984 die Jagd auf Enten verboten. Die Enten hatten also allen Grund, sich am Bodensee sicher zu fühlen. Die höchsten Zahlen wurden um die Jahrtausendwende erreicht.

Die Spießente, eine der Arten, die gern am Ufer des Bodensees überwintert, eigentlich aber in Skandinavien und Russland beheimatet ist.
Die Spießente, eine der Arten, die gern am Ufer des Bodensees überwintert, eigentlich aber in Skandinavien und Russland beheimatet ist. | Bild: Tom Dove

Etwa seit 2015/2016 kommen weniger Enten an den See, um hier zu überwintern. Einige Arten, Reiher- oder Tafelente etwa, seien in Skandinavien und den westlichen Regionen Russlands beheimatet. „Im Winter frieren die Feuchtgebiete dort zu, die Enten finden nicht mehr genügend Nahrung“, erläutert Arno Reinhardt.

Deshalb wanderten sie in den Wintermonaten an den Bodensee zu eisfreien Gewässern aus und kehrten im Frühling zurück. Inzwischen aber bleibe es wegen des Klimawandels auch in Russland zeitweise eisfrei. „Die Enten kommen später und verlassen den Bodensee früher wieder“, sagt Reinhardt. Manche Individuen migrierten auch gar nicht mehr.

Daten liefern wichtige Erkenntnisse

Die Daten über die Vogelmigration dienen aber nicht nur wissenschaftlichen Zwecken. Auch Städte und Gemeinden am Bodensee nutzen sie regelmäßig, wenn es etwa um Genehmigungsverfahren geht. „Wenn eine Gemeinde beispielsweise ihren Hafen ausweiten will, dann werden seitens der Naturschutzverbände die Daten der Vogelzählungen an die Gemeinden abgegeben und eine Stellungnahme dazu“, erläutert Lisa Maier, die hauptamtlich beim Naturschutzbund beschäftigt ist. In den vergangenen Jahren wurde der Datensatz zum Beispiel verwendet, als es um das Genehmigungsverfahren für den Wasserbus am Konstanzer Seerhein ging.

Der Schwarzhalstaucher baut seine Schwimmnester am liebsten in Schilfgebieten.
Der Schwarzhalstaucher baut seine Schwimmnester am liebsten in Schilfgebieten. | Bild: NABU/Tom Dove

Grundsätzlich gilt: Wo die Wasservögel in der Brutzeit massiv gestört oder durch menschliche Aktivitäten von den Uferzonen verdrängt werden, dort nimmt ihr Bestand ab. Größere Bauvorhaben in unmittelbarer Ufernähe und Freizeit- und Wassersportaktivitäten sind für die meisten scheuen Vogelarten schädlich. „Durch die zunehmenden Störfaktoren gewinnt die Ausweisung von Naturschutzgebieten an Bedeutung“, erläutert Lisa Maier. So kämen die Wasservögel zu dem Schutzraum, den sie brauchen. Und um zu ermitteln, wo sie sich wohlfühlen, dazu liefern wiederum die Vogelzählungen die nötigen Daten.