Mit dem Wasser sind auch die Vögel verschwunden. Lisa Maier blickt auf die weiten Sandbänke im Wollmatinger Ried, auf die trockenen Schilfflächen – nur in der Ferne stehen ein paar Lachmöwen im Schlick. „Hier sollte eigentlich bald die Brutsaison starten“, sagt die Vogel-Expertin vom Nabu-Bodenseezentrum.

Schwarzhalstaucher und Bartmeise würden sich normalerweise jetzt in den Schilfzonen tummeln, an den Halmen ihre schwimmenden Nester bauen, auf dem Reichenauer Damm würde man balzende Vögel hören. Doch das Wasser fehlt in dem Schutzgebiet – und damit auch ihr Lebensraum. Seit Wochen steht der Bodensee in den Schlagzeilen, der Pegel ist so tief wie seit Langem nicht.

Für den Menschen mag das unangenehm sein – er muss zum Baden weit hinauslaufen, an manchen Ufern stinkt es. Doch was bedeutet der Pegelstand für die Vögel? Der SÜDKURIER hat zwei Experten gefragt, mit welchen Problemen die Tiere zu kämpfen haben – und welche Arten sich über ein kleines „Wattenmeer“ freuen.

Rundflug über Konstanz und Reichenau im April 2025: So sieht das Wollmatinger Ried bei Niedrigwasser aus der Luft aus.
Rundflug über Konstanz und Reichenau im April 2025: So sieht das Wollmatinger Ried bei Niedrigwasser aus der Luft aus. | Bild: Timm Lechler

Bedrohte Arten brüten eigentlich im Wollmatinger Ried

Das Wollmatinger Ried liegt bei Wasservögeln im Frühjahr eigentlich hoch im Kurs – aber nicht bei Trockenheit. „Die Tiere möchten ins Schilf rein schwimmen können und an den Halmen ihre Nester verankern“, sagt Lisa Maier. So können sie über das Wasser ihren Brutplatz erreichen und sind im Schilf vor Feinden versteckt.

Besonders die seltenen Arten stellen hohe Ansprüche – wie der Drosselrohrsänger: Etwa 30 Brutpaare leben in dem Schutzgebiet vor der Reichenau, das ist rund die Hälfte der gesamten Population in Baden-Württemberg. Die Art steht auf der Roten Liste 1, ist also akut vom Aussterben bedroht. Der Drosselrohrsänger warte nun auf steigendes Wasser, sagt Maier, und das könne noch eine Weile dauern.

Das Wollmatinger Ried ist eine wichtige Schutzzone für den Drosselrohrsänger – doch der findet hier aktuell keinen Platz zum Brüten.
Das Wollmatinger Ried ist eine wichtige Schutzzone für den Drosselrohrsänger – doch der findet hier aktuell keinen Platz zum Brüten. | Bild: NABU/Tom Dove

Niedrige Pegel im April seien nicht ungewöhnlich, doch dieses Jahr könnte es selbst im Sommer eng werden. Andere Vögel sind da flexibler: „Arten wie Blässhuhn und Haubentaucher ziehen jetzt teilweise Richtung Konstanzer Hafenbecken, um dort ihre Nester zu bauen“, erzählt die Ornithologin. Hier könnten sie an Bootsleitern und Anlegern ihre Schwimmnester bauen, die Nähe zum Menschen schütze vor Angriffen durch Greifvögel.

Der Schwarzhalstaucher baut seine Schwimmnester am liebsten in Schilfgebieten, doch viele Zonen am Bodensee liegen aktuell trocken.
Der Schwarzhalstaucher baut seine Schwimmnester am liebsten in Schilfgebieten, doch viele Zonen am Bodensee liegen aktuell trocken. | Bild: NABU/Tom Dove

Niedrigwasser könnte für manche Arten gefährlich werden

„Der klassische Rhythmus wird gerade aufgeweicht“, sagt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. In typischen Jahren hat der Bodensee im Frühjahr einen hohen Wasserstand, die Schilfflächen werden geflutet.

„Der klassische Rhythmus wird gerade aufgeweicht“, warnt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell.
„Der klassische Rhythmus wird gerade aufgeweicht“, warnt Wolfgang Fiedler vom Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie in Radolfzell. | Bild: Max-Planck-Institut für Verhaltensbiologie/Christian Ziegler

Das Hochwasser 2024 habe so zu einer starken Brutsaison geführt, vermutet der Forscher, viele Zonen standen unter Wasser: „Das war super attraktiv.“ Im Herbst weist der See gewöhnlich einen niedrigen Pegel auf – bis dann wieder das Schmelzwasser aus den Bergen kommt.

So lautet die Theorie, doch der Blick in die Zukunft zeichnet ein anderes Bild: „Es kündigt sich mit dem Klimawandel an, dass sich die Jahre mit zu niedrigem Pegelstand häufen“, sagt Lisa Maier. Ein schlechtes Jahr könnten die Vögel zwar verkraften, viele Arten sind anpassungsfähig. Doch auf Dauer kann das besonders für die Arten gefährlich werden, die ohnehin vom Aussterben bedroht sind.

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Lebensräume könnten sich in Zukunft massiv verändern

Neben Brutplätzen fehlt es an Nahrung: In den Flachwassergebieten grasen die Wasservögel Algen und Laichkräuter ab, suchen mit ihren langen Hälsen nach Muscheln am Seegrund. Doch jetzt liegen diese Flächen häufig trocken, an den verbliebenen Stellen gibt es Konkurrenz. Im Wollmatinger Ried beginnt das Wasser aktuell kurz vor der Rheinrinne, hier fahren die Sportboote vorbei, die Motoren dröhnen.

„Diese Bereiche meiden die Vögel, weil da einfach sehr viel los ist“, erklärt Lisa Maier. Andere Bodensee-Gäste freuen sich hingegen über das Niedrigwasser. „Wir haben jetzt einige Schlickflächen, so ein bisschen wie das Wattenmeer – die sieht man bei Hochwasser nicht“, sagt Wolfgang Fiedler. Limikolen (Watvögel) und Kiebitze finden hier Nahrung – sonst würden sie in diesen Tagen auf ihrem Weg nach Osteuropa wohl nicht am See rasten.

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Und was sagt der Blick in die Zukunft? „Wenn langfristig zwei bis drei Meter Wasserstand fehlen, dann würden sich die Lebensräume natürlich massiv verändern“, warnt Fiedler, das könnte für die Bodensee-Vögel problematisch werden. Seine Prognose fällt pessimistisch aus. Zu wenig Schmelzwasser im Winter aus den Alpen, zudem seien die Zuflüsse aus den Alpen oft durch Stauseen reguliert: „Da gibt es bisher noch gar keine Regelwerke, die dem Bodensee eine gewisse Wassermenge zusichern“, sagt der Biologe.

Auch Lisa Maier sieht einzelne Stellschrauben, zum Beispiel bei größeren Schutzzonen: „Doch man kann zwar kleinere Nachbesserungen machen – das große Problem bleibt aber der Klimawandel.“