Manche gehen zum Golfspielen ins Wollmatinger Ried, andere zum Nacktbaden. Eberhard Klein, Leiter des Bodenseezentrums des Naturschutzbundes (Nabu) auf dem Reichenauer Festland, hat schon vieles erlebt. Er weiß, obwohl die Naturfläche, die zu dreiviertel auf Reichenauer Gemarkung liegt, streng geschützt ist, werde sie immer wieder missbraucht. Aktuell seien die Gefahren besonders hoch. Die Wiesen im Ried sind gemäht, und warme Sonnenstrahlen des Frühlings locken die Menschen ins Freie.

Manche dächten dann, auf so einer gemähten Fläche könne man ja nichts zerstören. Doch das ist falsch. Klein warnt: Ein falscher Schritt, und Naturschätze wie sibirische Schwertlilie, Mehlprimel oder Sumpf-Siegwurz können verloren sein. Denn diese seltenen Pflanzen sind gerade dabei, sich zu entwickeln und ihre Köpfe aus dem Erdreich zu strecken. Besonders schlimm wäre das Zertreten des Wanzen-Knabenkrauts aus der Familie der Orchideen.

Im Jahr 1968 wurden etwa 700 blühende Exemplare gezählt, jetzt sind es nur noch fünf, möglicherweise die letzten in ganz Baden-Württemberg. Das heißt nicht zwangsläufig, dass es im Wollmatinger Ried nur noch fünf solcher Pflanzen gibt, denn nicht jedes Exemplar blüht jedes Jahr. Aber es sind wenige. Und wer einen verbotenen Schritt auf die Wiesen des Rieds macht, zerstört vielleicht eines der letzten Exemplare. Das sei dann ein bisschen, als hätte man das weltberühmte Ölgemälde Mona Lisa unwiederbringlich vernichtet, sagt Eberhard Klein.

Eberhard Klein und seine Mannschaft im Bodenseezentrum des Naturschutzbundes kümmern sich um das Wollmatinger Ried. Das Ziel: „Möglichst ...
Eberhard Klein und seine Mannschaft im Bodenseezentrum des Naturschutzbundes kümmern sich um das Wollmatinger Ried. Das Ziel: „Möglichst wenige Arten sollen unter die Räder kommen.“ | Bild: Rindt, Claudia

Der Naturschutzbund im Bodenseezentrum mit fünf hauptamtlichen Mitarbeitern sowie Freiwilligen und Ehrenamtlichen wacht über das Wollmatinger Ried, eines der wichtigsten Schutzgebiete Europas, und 27 andere wertvolle Schutzgebiete am westlichen Bodensee. Das Ried ist eine Kulturlandschaft, es ist also geprägt von der früheren Landwirtschaft. Die damaligen Bauern mähten die Streuwiesen, weil sich die Halme besonders gut als Unterlage im Viehstall eigneten. Das Streu saugte den Urin auf, ließ sich nicht so leicht zertreten und war günstig.

Schilfrohre wurden in alter Zeit verwendet, um Matten herzustellen, die einem Putz Stabilität verleihen. Das Mähen hat dafür gesorgt, dass sich viele Arten entwickeln konnten und die Flächen nicht verbuschten. In den 60er-Jahren aber entwickelte sich eine modernere Landwirtschaft. Die Streuwiesen verloren an Bedeutung. Sie wurden nicht mehr gemäht. Das übernehmen bis heute Naturschützer. Auf den Feuchtwiesen können sich Tiere und Pflanzen weiter entwickeln.

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Das Ried bietet Platz für seltene Pflanzen und Tiere

Bis vor etlichen Jahren brachten Nabu-Mitarbeiter das Mähgut zum Kompostieren und zahlten dafür Geld. Inzwischen schätzen es Landwirte, aber auch Züchter von Pilzen. Das bisher verwendete Stroh wurde ihnen zu teuer, also griffen sie zum Einstreu-Material. Das sei ein Nebeneffekt, sagt Klein.

Vor allem aber gehe es um den Erhalt des alten Kulturraums, damit sich dort extrem seltene Pflanzen und Tiere verbreiten können, wie etwa die Schmetterlinge dunkler und heller Wiesenknopf-Bläuling. Diese sind hoch spezialisiert. Die helle Sorte braucht Feuchtwiesen und zur Eiablage die Pflanze Großer Wiesenknopf. In bestimmten Stadien ernähren sich die Larven nur davon. Diese brauchen auch noch eine ganz bestimmte Ameise als Wirt. Erst dann schlüpfen wieder Schmetterlinge.

Dreiviertel des Schutzgebiets Wollmatinger Ried liegen auf Reichenauer Gemarkung.
Dreiviertel des Schutzgebiets Wollmatinger Ried liegen auf Reichenauer Gemarkung. | Bild: Rindt, Claudia

Das führt zur Frage: Wäre es denn wirklich so schlimm, wenn diese Art nicht überleben würde? Wäre das nicht einfach der natürliche Wandel? Eberhard Klein sagt: „Der Natur ist es schnuppe, ob eine Art ausstirbt oder nicht.“ Doch es sei fraglich, ob der Mensch überleben kann, wenn er selbst dafür sorgt, dass die Tier- und Pflanzenwelt immer ärmer wird.

Die Artenvernichtung, die der Mensch verursacht, indem er den Lebensraum kaputt macht, sei immens. Im Vergleich dazu sei das Aussterben der Dinosaurier „ein Klacks“. Das sei wie ein Netz, erst lösten sich einige Knoten, dann werde das ganze Konstrukt wackelig, und dann breche es zusammen. Die Naturschützer versuchten, ein bisschen Ausgleich zu schaffen. Eberhard Klein sagt: „Möglichst wenige Arten sollen unter die Räder kommen.“

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Über 60 Jahre später: Düngekatastrophe wirkt noch nach

Wie stark der Mensch Einfluss nimmt, zeigt die Flussseeschwalbe am Bodensee. Zum Brüten braucht sie offene Flächen ohne Bewuchs, etwa Inseln mit Kies. Diese gab es lange Zeit am Wollmatinger Ried. Doch dann wurde der See durch Menschenhand mit Phosphor und Phosphat gedüngt, indem zum Beispiel ungeklärte Abwässer in den See liefen. Nun hat der Mensch zwar den Bodensee davor gerettet, dass er umkippt.

Heute entspricht das Bodenseewasser wieder dem sauberen Voralpensee von früher. Doch auf dem Seegrund finden sich immer noch die Ablagerungen von früher. Der Dünger sorgt dafür, dass Kiesinseln mit Pflanzen zuwachsen. Das ist schlecht für die Flussseeschwalbe. Damit sie brüten kann, haben Naturschützer Flöße mit Kies errichtet. So wirkt die Düngekatastrophe von vor über 60 Jahren noch heute nach.

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Rund 50.000 Vögel nutzen das Wollmatinger Ried als Rast- und Überwinterungsgebiet. Von April bis August ist Brutzeit, und dann kommt die Mauser. Manche fliegen viele hundert Kilometer, um im Schutzgebiet in Ruhe die Federn abwerfen zu können. In dieser Zeit sind sie nicht fähig zu fliegen und gegenüber Störungen extrem empfindlich. Klein sagt: Je nach Art könnten Störungen in 500 Meter oder einem Kilometer Entfernung dazu führen, dass sie im nächsten Jahr nicht mehr kommen. „Die Wirkung kann groß sein.“

Der Nabu stülpt dennoch keine Glaskugel über das wertvolle Ried. Die Leute sollen sehen, warum es schützenswert ist. Deshalb führt er bis zu 2000 Menschen im Jahr durch die besondere Landschaft. Bei den Touren müssen die Teilnehmer auf den Wegen bleiben. Es gibt blickdichte Schutzzäune zu den Brutgebieten. Auch bei den Solarbootfahrten auf dem See vor dem Ried gilt: Die Grenzen des Naturschutzgebiets dürfen niemals überfahren werden.