Wohnen und Verkehr, Klimaschutz und Schulen: Viele Themen prägen die Diskussion vor der zweiten Runde der Konstanzer Oberbürgermeisterwahl. Vergleichsweise selten kommt die Diskussion auf das Thema Wirtschaft und Finanzen – und das ist nicht gut, denn wer gestalten will, braucht Geld. Woher kommt es in Konstanz und wie frei ist die Stadt im Ausgeben? Der Faktencheck Wirtschaft und Finanzen erklärt es.

1. Der öffentliche Dienst ist als Sektor der größte Arbeitgeber in Konstanz.

Das Rathaus ist nicht nur politische Schaltzentrale, sondern die Stadt mit ihren Töchterbetrieben ist auch wichtiger Arbeitgeber.
Das Rathaus ist nicht nur politische Schaltzentrale, sondern die Stadt mit ihren Töchterbetrieben ist auch wichtiger Arbeitgeber. | Bild: Lukas Ondreka

Wer den Wirtschaftsstandort Konstanz verstehen will, sollte wissen: Viele Menschen, die in Konstanz arbeiten, sind mit ihrem Einkommen weitgehend abgekoppelt von der allgemeinen Wirtschaftsentwicklung. Sie arbeiten im öffentlichen Dienst, dessen Leistungen ja zumeist unabhängig von der Konjunktur sind und deren Finanzierung über Steuereinnahmen gesichert ist.

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Unter den zehn größten Arbeitgebern der Stadt sind fünf öffentliche Einrichtungen. Sie stellen in dieser Gruppe etwa 6000 Arbeitsplätze (bereits umgerechnet auf Vollzeit-Stellen). Die fünf größten gewerblichen Arbeitgeber stellen nur etwas über 2000 Arbeitsplätze. (Quelle Nr. 1, siehe unten)

2. Große Unternehmen spielen in Konstanz eine vergleichsweise geringe Rolle.

Größter gewerblicher Arbeitgeber in Konstanz ist Siemens.
Größter gewerblicher Arbeitgeber in Konstanz ist Siemens. | Bild: Siemens SPPAL

Die Wirtschaftsstruktur der Stadt ist kleinteilig. Der größte gewerbliche Arbeitgeber ist Siemens mit etwa 700 Mitarbeitern, gefolgt vom SÜDKURIER mit 665 Mitarbeitern. Nur zehn Unternehmen haben laut Stadt Konstanz überhaupt mehr als 250 Mitarbeiter. (2) Auch die Verteilung der Steuerzahler ist entsprechend kleinteilig.

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Zwar hütet die Stadt das Steuergeheimnis, aber bekannt ist, dass nur wenige Gewerbesteuerzahler mehr als eine Million Euro im Jahr überweisen. Die für 2019 geplante Summe von 43 Millionen Euro (3) kommt also aus der Breite der etwa 4300 ansässigen Betriebe.

3. Als Pharma- und als Solarstandort hatte Konstanz kein Glück.

Es sollte einst die Weltzentrale von Altana Pharma AG werden Das Byk-Gulden-Haus im Konstanzer Industriegebiet.
Es sollte einst die Weltzentrale von Altana Pharma AG werden Das Byk-Gulden-Haus im Konstanzer Industriegebiet. | Bild: Jörg-Peter Rau

Konstanz war über Jahrzehnte ein erfolgreicher Pharma-Standort, der auch von der Nähe zur Universität profitierte. 2011 hatte Altana am Standort rund 2000 Mitarbeiter (4) auf dem großen Campus entlang der Bahnlinie. Nach dem zweimaligen Verkauf des Unternehmens ist davon noch eine Büro-Etage übrig geblieben. Zuletzt fiel die Entscheidung, dass die Pharmafirma Dr. Kade ihren Standort hier schließt (5).

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Aus der Uni heraus entstand das Solarunternehmen Sunways; es besteht nicht mehr (6). Die von vielen Hoffnungen begleitete Ansiedlung von Centrotherm – die Firma stellt Maschinen her, die Solarzellen fertigen – scheiterte an einem Insolvenzfahren (7). Auch hier waren Entwicklungen und Entscheidungen außerhalb von Konstanz maßgeblich, unter anderem die gekürzten Subventionen für Solarstrom.

4. Die Wirtschaft hat es in Konstanz nicht leicht, sich Gehör zu verschaffen.

Der Konstanzer Ratssaal hat inzwischen modernste Kommunikationstechnik. Anliegen der Wirtschaft, sagen Kritiker, finden trotzdem zu ...
Der Konstanzer Ratssaal hat inzwischen modernste Kommunikationstechnik. Anliegen der Wirtschaft, sagen Kritiker, finden trotzdem zu selten Gehör. | Bild: Kirsten Schlüter

Die Wahrnehmung von Konstanz als Hochschul- und Beamtenstadt wird dem Wirtschaftsgefüge nicht ganz gerecht. Auch deshalb hat Oberbürgermeister Burchardt vor Jahren einen Wirtschaftsausschuss eingeführt, in dem eigentlich Top-Führungskräfte und Inhaber aus den Unternehmen die Politik beraten sollen. Unter diesen Teilnehmern macht sich, hinter vorgehaltener Hand, allerdings auch Frust breit. Am Ende redeten doch meist die Kommunalpolitiker – von denen nur wenige als Unternehmer oder Führungskräfte selbst wirtschaftliche Verantwortung tragen.

5. Der Mangel an Wohnraum und Kinderbetreuungsplätzen ist zum Standortnachteil geworden.

Ohne geht es für fast alle Familien nicht: Kitaplätze sind für einen Wirtschaftsstandort von großer Bedeutung.
Ohne geht es für fast alle Familien nicht: Kitaplätze sind für einen Wirtschaftsstandort von großer Bedeutung. | Bild: dpa

Die Stadtverwaltung erkundigt sich über Umfragen regelmäßig nach den Bedürfnissen der Konstanzer Unternehmen. Neben dem Wunsch nach Gewerbeflächen und Verkehrswegen taucht dort als Hindernis für die Schaffung von Arbeitsplätzen der Mangel an Wohnungen und Kinderbetreuungsplätzen auf. (8) Es gibt wohl kaum ein Unternehmen in Konstanz, dem nicht schon gute Bewerber oder sogar bereits per Vertrag angestellte Mitarbeiter abgesprungen sind, da diese keine Wohnung gefunden haben. (9)

6. Auch Gewerbeflächen sind in Konstanz knapp und deshalb für Unternehmen oft zu teuer.

See und Natur setzen Grenzen: Neue Flächen auch fürs Gewerbe sind in Konstanz knapp.
See und Natur setzen Grenzen: Neue Flächen auch fürs Gewerbe sind in Konstanz knapp. | Bild: Rau, Jörg-Peter

Nach den Einbrüchen in der Pharma- und Solarbranche gab es zeitweise einen Leerstand bei Gewerbeimmobilien. Dieser hat sich nach Angaben der Stadtverwaltung weitgehend aufgelöst. Im Gegenteil, wenn Unternehmen wachsen wollen, haben sie es oft schwer, dafür auch Raum zu finden. Auch deshalb wird ein Streifen am Rand des Flugplatzes nun doch noch bebaut (10).

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Immer wieder kommt es aber vor, dass in Konstanz ansässige oder vertretene Firmen sich für eine Erweiterung an anderen Standorten entschließen, so etwa das Schweizer Technologieunternehmen Baumer, das in Stockach expandiert (11), oder der Roboter-Hersteller Fruitcore (12), der sich in Villingen-Schwenningen vergrößert. Beide Ansiedlungen hätten sicher auch Konstanz gut getan.

7. Konstanz ist weder eine besonders arme noch eine besonders reiche Stadt.

Am Ende geht es immer auch ums Geld: Der Konstanzer Haushalt ist schon jetzt hart umkämpft.
Am Ende geht es immer auch ums Geld: Der Konstanzer Haushalt ist schon jetzt hart umkämpft.

Vor einigen Jahren war die Überraschung groß, als Konstanz offiziell als notleidende Kommune eingestuft wurde (13). Tatsächlich ist die Finanzkraft von Konstanz mittelmäßig. Die jüngsten aussagekräftigen Vergleichszahlen des Statistischen Landesamts (14) stammen von 2015. Danach erzielte Konstanz aus der Gewerbesteuer 552 Euro pro Kopf (Singen 657, Tuttlingen 792, Villingen-Schwenningen 474, Tübingen 357) und aus dem der Stadt zustehenden Anteil aus der Einkommensteuer 503 Euro (Singen 401, Tuttlingen 503, Villingen-Schwenningen 438, Tübingen 519). Abgefedert wird die finanzielle Lage durch die Spielbankabgabe, die vom Land kommt, und den Ausgleich für die besonderen Kosten im Zusammenhang mit den Studenten (je rund 3 Millionen Euro).

8. Konstanz hat solide gewirtschaftet, aber Geld für Wunschträume ist nicht da.

Eine so aufwendige Sanierung wie die des Kinderkulturzentrums Kikuz am Raiteberg kann sich Konstanz nur dank Zuschüssen vom Bund leisten.
Eine so aufwendige Sanierung wie die des Kinderkulturzentrums Kikuz am Raiteberg kann sich Konstanz nur dank Zuschüssen vom Bund leisten. | Bild: Scherrer, Aurelia

Die Stadt hat aktuell etwas über 20 Millionen Euro Schulden, die seit 2012 um rund 30 Prozent zurückgegangen sind (15). Die Steuereinnahmen sind von 2012 bis 2019 von rund 88 auf etwa 118 Millionen Euro gestiegen, das entspricht genau dem Bundestrend (16), (17) – Konstanz war also in der Erhöhung der städtischen Einnahmen weder besonders erfolgreich noch besonders schwach. Der frühere Finanzchef Hartmut Rohloff, ein offener Burchardt-Unterstützer, urteilt: „In den letzten acht Jahren wurde eine umsichtige und nachhaltige Haushaltspolitik betrieben. Wichtigstes finanzpolitisches Ziel war immer ein ausgewogener Haushalt ohne Verlierer.“

Luigi Pantisano sieht durchaus Spielraum für viele Projekte und geht fest von hohen Zuschüssen von EU, Bund und Land etwa für den Klimaschutz aus. Rohloff warnt dagegen, diese Wahlkampfversprechen würden „in den anstehenden Haushaltsplanberatungen für 2021 und folgende zu heftigen Verteilungskämpfen führen“. (18) Zumal der Stadt wie auch den Fördergebern Bund und Land durch Corona Einnahmen wegzubrechen drohten.

9. Viele Dinge, die Konstanz sich leistet, müsste die Stadt nicht anbieten.

Das Theater – hier die Inszenierung der „Bremer Stadtmusikanten“ aus der Vor-Corona-Zeit – ist eine der ...
Das Theater – hier die Inszenierung der „Bremer Stadtmusikanten“ aus der Vor-Corona-Zeit – ist eine der herausragenden Leistungen im städtischen Kulturangebot. | Bild: Theater Konstanz

Wenn Städte etwas für ihre Bürger tun, können dies Pflichtaufgaben oder freiwillige Leistungen sein. Die Pflichtaufgaben erledigt die Kommune im staatlichen Auftrag, zu ihnen gehören zum Beispiel Feuerwehr oder Abwasserbeseitigung. Zu den freiwilligen Aufgaben gehören zum Beispiel Kultur oder Schwimmbäder. Und hier ist Konstanz gegenüber seinen Bürgern großzügig. 2020 umfasst der Etat für Kultur 19,7 Millionen Euro, das sind 14,5 Prozent der Gesamtausgaben. Ein hoher Teil dieses Budgets geht an Theater und Philharmonie. Beides sind Einrichtungen, die sich nur wenige Städte unter 100.000 Einwohnern leisten. (3)

10. Konstanz wird wohl nie mehr ein Industriestandort werden.

Auch das war mal Konstanz, und es ist noch nicht einmal 50 Jahre her: Degussa am Seerhein auf einer Aufnahme von 1975.
Auch das war mal Konstanz, und es ist noch nicht einmal 50 Jahre her: Degussa am Seerhein auf einer Aufnahme von 1975. | Bild: SK-Archiv

Immer wieder ist von der Hoffnung zu hören, ein großer Industriebetrieb könne sich in Konstanz ansiedeln und hier viele Arbeitsplätze schaffen, an denen eine greifbare Wertschöpfung entsteht. Denkbar ist das natürlich, und die Abwanderung der Pharma-Produktion von Byk Gulden und später Nycomed nach Singen sitzt noch tief im Konstanzer Gedächtnis. Grund damals war, dass die Stadt keine Fläche anbieten konnte beziehungsweise den Flugplatz nicht in Frage stellen wollte.

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Dennoch wird sich für räumlich weit ausgedehnte Firmen künftig eher noch schwerer ein Platz finden lassen. Frühere Industrieareale wie Herosé und Great Lakes am Seerhein sind längst neu bebaut (19), das Siemens-Gelände an der Bücklestraße wird ebenfalls keine industrielle Nutzung mehr erfahren (20).

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