Ein Gespenst geht um. Sein Name: Risikogebiet. Am Donnerstag hat die Bundesregierung acht weitere Schweizer Kantone auf die Liste der Covid-19-Risikogebiete gesetzt, die ab Samstag gültig ist. Darunter ist auch der grenznahe Kanton Zürich, der bevölkerungsreichste Gliedstaat der Eidgenossenschaft. Schweizer hatten bereits zuvor die Befürchtung geäußert, dass vielleicht bald die gesamte Schweiz oder die Mehrheit der Kantone auf dieser Liste stehen könnten.
Weitere Kantone könnten auf die Risiko-Liste kommen
Und diese Sorge ist durchaus begründet, wie ein Blick in den aktuellen Situationsbericht zur epidemiologischen Lage des schweizerischen Bundesamtes für Gesundheit zeigt. Demnach erfüllten in der Kalenderwoche 41 (5. bis 11. Oktober) 22 der 26 Schweizer Kantone das Kriterium für die Aufnahme in die berüchtigte Liste: Mehr als 50 neugemeldete Corona-Infizierte pro 100.000 Einwohner in den vergangenen sieben Tagen. Darunter sind auch die meisten grenznahen Kantone wie Thurgau, St. Gallen, Aargau oder Basel-Stadt.
Doch welche Folgen hätte das für den Konstanzer Handel, die Hotellerie und Gastronomie, wenn weite Teile der Schweiz oder das gesamte Land zum Risikogebiet würden? Aktuell ist es so, dass dank einer am Freitag verkündeten Ausnahmeregelung für Grenzgebiete zwischen Deutschland, Frankreich und der Schweiz ein 24-stündiger Aufenthalt für Personen in den Grenzgebieten gestattet ist. Ohne anschließende Quarantäne oder ähnliche Einschränkungen.
Situation wäre eine Katastrophe für den Handel in Konstanz
Das ist auch gut so. Wäre die Regelung am Freitag nicht gekommen, dann „hätte das für den Handel faktisch die gleichen Folgen wie eine Grenzschließung, wenn der Besuch in Deutschland mit einer Quarantäne- oder Attestpflicht verbunden ist“, brachte Claudius Marx die aus seiner Sicht verheerenden Folgen auf den Punkt. Marx ist Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Hochrhein-Bodensee mit Sitz in Konstanz.
Er befürchtet, dass sich die Situation wiederholen könnte, die zur Zeit der Grenzschließungen im Frühjahr vorherrschte. Denn als die Läden nach dem verordneten Stillstand wieder öffnen durften, blieben die Schweizer Kunden immer noch aus. „Auch wenn sie wieder offen hatten, konnten viele Einzelhändler weiterhin nicht kostendeckend arbeiten“, erinnert sich Marx.
Das Wegbleiben der Schweizer Kunden hatte nicht nur für den Konstanzer Einzelhandel teils fatale Folgen. Denn in den Landkreisen Waldshut, Lörrach und Konstanz gaben die Eidgenossen 2019 noch 1,5 Milliarden Euro für Einkäufe aus.
„Während der Grenzschließungen kam es im Einzelhandel zu Umsatzeinbußen von bis zu 80 Prozent“, so Marx. Für den Fall, dass es durch die Ausweisung immer weiterer Kantone als Risikogebiete erneut zu einem Wegfall der Schweizer Kunden kommt, sieht der IHK-Hauptgeschäftsführer schwarz: „Mit Blick auf die Insolvenzen hat unsere Region die Phase der Grenzschließungen ziemlich glimpflich überstanden. Aber wir dürfen auf keinen Fall in diese Zeit zurückfallen.“
Marx: „Nationalität ist als Anknüpfungspunkt nicht geeignet: Wenn jemand mit Corona infiziert ist, ist es egal, ob er aus Zürich oder Berlin kommt. Das Gefahrenpotenzial ist das Gleiche.“
Die Corona-Infektionslage in der Schweiz
Nicht nur für den Einzelhandel der Region sind die Schweizer Kunden teils überlebenswichtig. „Während der Zeit der Grenzschließungen hatten die Gastronomen Einbußen von 20 bis 40 Prozent“, betont Dieter Wäschle, Inhaber des Hotel-Restaurants Petershof und stellvertretender Vorsitzender des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga Baden-Württemberg.
Gefreut hatte Wäschle, dass der baden-württembergische Verwaltungsgerichtshof das Beherbergungsverbot im Land gekippt hatte: „Das Verbot war verheerend für Hotels und Gaststätten: Seit sechs Tagen sind nur Stornierungen eingelaufen. Würde das so weitergehen, käme das einem zweiten Stillstand gleich.“
Mit dem Gerichtsentscheid sei jetzt wenigstens die Hoffnung da, dass die Stornierungen zurückgehen und es auch wieder Gästeanmeldungen gibt.
Betriebe, die von den Schweizern stark abhängig sind, würden verstärkte Grenzkontrollen oder Quarantäneregeln ins Herz treffen. Genauso wie all jene Menschen, die grenzüberschreitende Freundschaften, Liebesbeziehungen, Ehe, Verwandtschaften pflegen. In der Facebook-Gruppe für diesen Personenkreis, die sich während des Lockdowns gegründet hatte, war am Freitag die Verwirrung groß. Auf die 24-Stunden-Regel für Menschen in Grenzgebieten schrieb eine Nutzerin: „Alle 2 Stunden irgendwas anderes....24 Stunden ohne Quarantäne, na prima.. wie großzügig.“ Andere Nutzer feierten Baden-Württemberg für die Regelung. Eine Hessin schrieb sogar: „Vielleicht sollten wir mal schnell nach Baden-Württemberg ziehen.“ Denn dort gelten grenzüberschreitende Liebespaare nicht als Ausnahme.