Es war die Beerdigung ihrer Tante, die Sandra Benz-Bernhard vor drei Jahren zum Nachdenken brachte. „Ein Aushilfspfarrer war engagiert worden und während der Rede am Grab hat er die Tochter meiner Tante kritisiert“, berichtet sie – und noch nach Jahren ist die Empörung zu spüren. Ein solches Verhalten gegenüber trauernden Angehörigen sei unwürdig. Sandra Benz-Bernhard entschloss sich, es selbst besser zu machen.

„Worte des Pfarrers oft unpersönlich“

Seither ist die 46-Jährige freie Trauerrednerin. Für sie ist es wichtig, dass die Trauergemeinschaft etwas über den Menschen erfährt, der verstorben ist, „und das dürfen auch Dinge sein, die fröhlich waren“, sagt Benz-Bernhard. Die Worte von Pfarrern am Grab seien ihr oft zu unpersönlich gewesen. In den Job ist die Verwaltungsfachangestellte, die auf der Reichenau fast jeder kennt, mit Bedacht eingestiegen: mit Gesprächen mit Bestattern. Inzwischen hält sie selbst zwei bis drei freie Trauerreden im Monat.

Sandra Benz-Bernhard bei einer Trauerrede. Ihr Ziel ist es, den Lebensweg des Verstorbenen in den Mittelpunkt zu stellen.
Sandra Benz-Bernhard bei einer Trauerrede. Ihr Ziel ist es, den Lebensweg des Verstorbenen in den Mittelpunkt zu stellen. | Bild: privat

Auch Melanie Mroncz sieht ihre Tätigkeit als Rednerin eher als Berufung denn als Beruf. Die hauptberufliche Erzieherin spricht bei Hochzeiten, wenn ein Paar sie engagiert – und auch sie ist durch ein persönliches Erlebnis dazu gekommen. „Meine beste Freundin hatte vor fünf Jahren eine freie Trauung, die ich als sehr berührend empfand“, sagt sie.

Schon immer habe sie das Thema, wie zwei Menschen zueinander finden, fasziniert. Erste Versuche eigener Reden machte sie im Bekanntenkreis, bis sie sich sicher war: das läuft auch nebenberuflich. Die Pandemiezeit nutzte sie, um ihre Selbstständigkeit aufzubauen.

Melanie Mroncz bei einer Hochzeitsrede – für die Vorbereitung und Gespräche mit dem Paar und dessen Umfeld nimmt sie sich viel Zeit.
Melanie Mroncz bei einer Hochzeitsrede – für die Vorbereitung und Gespräche mit dem Paar und dessen Umfeld nimmt sie sich viel Zeit. | Bild: privat

Seither läuft das Geschäft – die Nachfrage ist groß. „Wenn ich alle Anfragen annähme, wäre ich Vollzeit beschäftigt“, sagt die Konstanzerin. Das will sie nicht, dazu liebt sie ihren Hauptberuf und die Nähe zu Kindern zu sehr. Die Gründe, warum sich Paare frei trauen lassen, seien vielfältig. Häufig seien es Menschen, die aus der Kirche ausgetreten seien und es für verlogen hielten, für diesen einen Tag auf deren Dienste zurückzugreifen.

Oder Paare, die sich die Rede persönlicher wünschten als dies bei der Kirche üblich sei. „Die meisten Paare sind zwischen 25 und 35 Jahre alt. Und viele schätzen einen gewissen Show-Charakter bei ihrer Hochzeit“, sagt die 35-Jährige.

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Freie Redner nehmen sich deutlich mehr Zeit für ihre Auftraggeber. Melanie Mroncz investiert allein in das Vorbereitungsgespräch zwischen drei und sieben Stunden. Auch das Schreiben der Rede kostet Zeit und Kreativität. Für einen Pfarrer wiederum ist die Hochzeits- oder Grabrede ein Teil des Gesamtdienstes an jenem Tag – und keinesfalls das Zentrum. Damit es nicht zur Routine wird, hat Mroncz die Zahl der Trauungen, die sie begleitet, begrenzt: 22 sind es dennoch im Jahr und damit ist sie im Sommer jedes zweite Wochenende beschäftigt.

Etwa zehn Prozent wünschen freie Redner

Ganz offensichtlich spiegelt sich in der zunehmenden Nachfrage nach freien Reden zu einschneidenden Ereignissen das Bedürfnis nach Individualität in einer zunehmend säkularen Gesellschaft. Michael Richter, Inhaber von Concordia Bestattungen in Konstanz, relativiert allerdings die Zahl derjenigen, die aus dem gewohnten Schema ausbrechen. „Es sind höchstens zehn Prozent, die keinen Pfarrer bei der Beerdigung ihres verstorbenen Angehörigen wünschen“, sagt er. Die Zahl nehme zwar zu, aber nicht gerade exponentiell.

„Entweder sind die Angehörigen – und der Verstorbene – aus der Kirche ausgetreten oder sie wollen schlicht keine kirchliche Begleitung“, sagt er zu den Gründen. Manche hätten auch schlechte Erfahrungen gemacht. Den leichten Trend zu freien Rednern sieht auch er in der größeren Individualität der Rede begründet. „Ein Pfarrer hat bis zu 30 Minuten Redezeit – davon spricht er im besten Fall 15 Minuten über den Verstorbenen.“

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Freier Redner am Grab kostet 300 bis 700 Euro

Einen großen Unterschied machten die Kosten aus. Ein Pfarrer bekomme für seine Rede am Grab gerade mal zehn Euro Trinkgeld – der freie Redner könne zwischen 300 und 700 Euro verlangen. Manchmal wundere er sich, wie schnell Menschen bereit seien, dieses Geld für den Redner auszugeben, während viele bei den Kosten für den Bestatter gern sparten, sagt Richter.

Dass Personen, die freie Redner für eine Hochzeit oder Beerdigung bestellen, bereit sind, viel Geld dafür auszugeben, bestätigen die Rednerinnen. Eine Hochzeitsrede lassen sich Paare noch mehr Geld kosten als eine Trauerrede: zwischen 700 und 1500 Euro seien realistisch, sagt Mroncz.

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Offenbar haben aber auch die Kirchen kein Mangel an Aufwand mit Trauungen oder Taufen – jedenfalls unmittelbar nach der Pandemie. Die Zahl der Trauungen sei pandemiebedingt in diesem Jahr stark gestiegen, schreibt Matthias Trennert-Helwig, Dekan der katholischen Kirche in Konstanz, auf Anfrage. Sie verdoppelten sich auf etwa 20 gegenüber 2021.

Ob Beerdigung oder Hochzeit – Standardformate sind möglicherweise ein Auslaufmodell. „Ich sehe mein Angebot als ein persönliches, es soll keine Konkurrenz zur Kirche sein“, sagt Melanie Mroncz. Auch Sandra Benz arbeitet gern mit Pfarrern bei einer Beerdigung zusammen, sofern die Kirche dazu bereit ist. „Manche Angehörigen wünschen sich etwa die Segnung des Grabes“, sagt sie. Noch tut sich zumindest die katholische Kirche schwer mit der Kooperation. Es werde entweder ein Pfarrer oder ein freier Redner bestellt, schreibt Trennert-Helwig. Die Zahl der katholischen Trauerfeiern sei in den vergangenen Jahren in der Altstadt leicht gesunken und liege bei etwa 50 pro Jahr.