Das Treffen findet an einem sonnigen Spätnachmittag in einem der Gärten im hinteren Bereich der Zogelmannstraße im Konstanzer Stadtteil Stadelhofen statt. Rund ein Dutzend Anwohner sitzen in lockerer Runde beieinander, ein paar Hasen hoppeln im Gras und gelegentlich lässt sich eine Katze blicken. Die Idylle hat nicht zuletzt damit zu tun, weil man sie hier nicht vermutet. Das Quartier gehört zur hochverdichteten Innenstadt, und von der Straße aus sind die grünen Paradiese nicht einsehbar. Hier finden sich Nachbarn bei schönem Wetter nach Lust und Laune zu einem Hock ein.
Eben diese heile Welt aber sehen die Teilnehmer der Runde bedroht. Sie wehren sich gegen ein Modellprojekt der Stadtverwaltung, durch das „die Lebensqualität im unmittelbaren Lebensraum der Bewohner verbessert und dabei die nachbarschaftlichen Beziehungen gestärkt werden“ sollen.
Parkplätze sollen Chill-Oasen werden
Der Plan: In der Straßenschlucht sollen Parkplätze in Chill-Oasen umgewandelt werden. Ursprünglich sollte es sich um sechs Stellplätze handeln, doch mangels Interesse von Anwohnern wurde die Zahl vorerst auf vier reduziert. Und auch davon sollen nur zwei „als Aufenthaltsflächen zur privaten Nutzung“ verwendet werden, die beiden anderen Parkplätze sind künftig als Abstellflächen für Fahrräder vorgesehen.
Bei der Gestaltung der Chill-Oasen will die Stadt den Anwohnern weitgehend freie Hand lassen, wobei sich die Laufzeit der kostenlosen Nutzung auf eine Saison von Frühjahr bis Herbst beschränkt. Naheliegend ist eine typische Balkon- oder Terrassenausstattung mit Pflanzen, einem Mobiliar fürs Zusammensein mit Freunden oder Nachbarn beim Grillen oder gemeinsamen TV-Erleben von Sportereignissen.
Am Geld soll‘s dabei nicht scheitern. 50 Prozent der Materialkosten beziehungsweise maximal 1500 Euro pro Chill-Oase inklusive der Verwaltungsgebühren und aller allgemeinen Kosten übernimmt die Stadt. Im Winter können die Möblierungen und Materialien der Chill-Oasen dann in einem Container der Stadt Konstanz eingelagert und im Folgejahr erneut verwendet werden.
So ganz neu ist die Idee der auch als Parklets bezeichneten Chill-Oasen nicht. Laut Stadtverwaltung gibt es sie beispielsweise in Berlin, Wien, Stuttgart und München in unterschiedlichen Ausprägungen. Hinter derartigen Initiativen steckt zugleich der Gedanke, dass der öffentliche Raum nicht mehr länger nur dem Verkehr und insbesondere dem Auto vorbehalten bleibt.
Im Fall von Konstanz liest sich das aus Sicht der Stadtverwaltung so: „Mit der Nutzung der öffentlichen Teil-Straßenfläche als Aufenthaltsfläche ohne Kommerz werden zwar Stellplätze reduziert, aber die Lebensräume der dortigen Bewohner erweitert.“ Die dadurch wegfallenden Parkplätze könnten „vorerst am Döbele und später in der dortigen Parkgarage kompensiert werden“.
Anwohner wollen keine Chill-Zonen
Offensichtlich aber haben die Planer im Rathaus nicht berücksichtigt, dass ein ansehnlicher Anteil der Anwohner in der Zogelmannstraße ihre Lebensräume ganz anders gestalten wollen. Sie sehen erstens nicht ein, warum sie ihren im hinteren Bereich der Straßenschlucht befindlichen Rückzugsraum im Grünen mit einer Parkfläche in der verkehrsberuhigten Zone mit den Geruchs- und Lärmbelästigungen der Straße tauschen sollen. Zweitens werde dadurch ohne Not der ohnehin schon absurde Parksuchverkehr erhöht und drittens hätte man sich gewünscht, wenn sich die Strategen in der Stadtverwaltung vor der Initiative für das Modellprojekt eingehend mit den realen Verhältnissen in der Straße und dem Quartier befasst hätten.

Diese Wirklichkeit ist beispielsweise von den umliegenden Restaurants und Kneipen geprägt, was nach Darstellung der Anwohner-Gruppe in den wärmeren Jahreszeiten nachts viel Lärm mit sich bringt. Als Verstärker wirke sich dabei der Widerhall der durchgängigen Häuserfronten aus, und die Leerguthinterlassenschaften alkoholisierter Personen samt ihrer gelegentlichen Entleerungen von Magen- und Blaseninhalten sprächen ebenfalls gegen die Einrichtung von Chill-Oasen.
Lewis Kopp als einer der Gegner des Modellprojekts ergänzt die Schilderungen seiner Mitstreiter mit dem Hinweis auf den Durchgangsverkehr in der Straße. Er weiß nicht, warum er hier auf einer Chill-Oasen-Bank zusammen mit Nachbarn ein Feierabendbier trinken soll, wenn er‘s im Garten so viel schöner hat.
Gleichzeitig werden von den Anwohnern reichlich Vorschläge gemacht wie die Lebensqualität in Stadelhofen erhöht werden könnte. „Für uns wäre es eine wirkliche Aufwertung der Stadtteils, wenn der Durchfahrts- und Einkaufstourismus deutlich eingeschränkt werden würde“, heißt es in einem Schreiben von Cathrin Burkhart-Kopp an die Stadtverwaltung. Sie versteht außerdem nicht, warum nicht schon vorhandene Begegnungsplätze wie der nahegelegene Bodanplatz begrünt wird.
Für Lars Kiesling, der in der naheliegenden Huetlinstraße wohnt, stellt sich unterdessen die Frage des Umgangs der Stadtverwaltung mit den Bürgern. „Wir haben in einer Entfernung den See und die Stadtverwaltung will uns sagen, wo wir uns treffen sollen“, sagt er. Chill-Oasen sind seiner Meinung nach angesichts des Umfelds nicht nötig, Parkplätze dagegen fehlten in hoher Zahl.
Die Gruppe hat dabei nichts gegen das Ziel einer autofreien Innenstadt, für Anwohner aber müssten gleichwohl Parkplätze zur Verfügung stehen. „Jeder Dachboden wird ausgebaut“, so die Rechnung von Lars Kiesling, „gleichzeitig werden Parkplätze reduziert.“ Das könne nicht gut gehen, weil viele Menschen auf ein Auto angewiesen sind. Stefan Fischer pflichtet ihm mit der Bemerkung bei, dass er sich frage, auf „welchem Planet die Stadtverwaltung eigentlich lebt“.
Debatte im Ratsausschuss
Bislang sind die Argumente der Stadelhofer Chill-Oasen-Gegner ebenso wirkungslos geblieben wie eine Unterschriftensammlung, die laut Roswitha Burkart trotz widriger Umstände in kurzer Zeit rund 100 Namen umfasst. Unbeeindruckt zeigte sich auch der zuständige Fachausschuss des Gemeinderats bei der Prüfung des Vorhabens. Gisela Kusche von der Freien Grünen Liste (FGL) und Verena Faustein von Jungen Forum Konstanz (JFK) beispielsweise signalisierten „volle Unterstützung“ für das Vorhaben der Stadtverwaltung.
Der SPD-Stadtrat Jürgen Ruff immerhin wies auf die Kluft zwischen Politik und Bürger hin, was im Laufe der Diskussion für Bedenken bei Holger Reile von der Linken Liste Konstanz (LLK) führte. Es sei schon zum Schmunzeln, so der LLK-Stadtrat, dass die Stadt etwas Gutes beabsichtige, aber die Bürger so gar nichts von der Idee halten. Er warnte ferner vor einer Art Häuserkampf in der Zogelmannstraße zwischen Befürwortern und Gegner des Projekts. Unter den Nachbarn könnten dadurch „Konflikte übelster Art“ ihren Ausgang nehmen – mit dem Ergebnis, dass das Gegenteil einer „Stärkung nachbarschaftlicher Beziehungen“ erreicht würde.