Damit haben die beiden Künstlerinnen, Susanne Smajic und Andrea Kiss, nicht gerechnet: Das Kulturzentrum am Münster ist voller Leute, im Stimmengewirr liegen Neugierde und Spannung. Alle wollen in den Gewölbekeller, wo ihre Ausstellung startet – begleitet von einer Live-Aufführung von Tänzerinnen.

„Von der Stange. Poledance“ zeigt mit eindrucksvollen Zeichnungen von Smajic und Fotostrecken von Kommunikationsdesignerin Kiss eine Tanzform, die zwischen Faszination und Vorurteil schwankt – mit Pinselstrich, mit der Kamera und vor allem mit einem offenen und wertschätzenden Blick auf die Frauen, die diesen Tanz leben. Es ist eine Auseinandersetzung mit Körperkunst, Bewegung und Sinnlichkeit – und ein Projekt, das Klischees sichtbar hinterfragt.

Sarah Müssig, Leiterin des Kulturamts Konstanz, begrüßt die Gäste zur Vernissage, sichtlich erfreut über den Andrang. „Poledance scheint ein Thema zu sein“, sagt sie. Das Kulturamt wolle mit dieser Ausstellung die vielfältige Kunstszene der Stadt fördern. Weil in den Gewölbekeller nur rund 50 Personen passen, strömen die Besucher in Etappen in die Ausstellung – niemand will den Live-Auftritt verpassen.

Die Vernissage im Gewölbekeller war gut besucht. Viele der Gäste zeigten sich beeindruckt von den Auftritten der Poledancerinnen.
Die Vernissage im Gewölbekeller war gut besucht. Viele der Gäste zeigten sich beeindruckt von den Auftritten der Poledancerinnen. | Bild: Hanser, Oliver

Dann beginnt die Musik. Mit Spannung und Leichtigkeit schwingen sich die drei Tänzerinnen an der Stange bis an die Decke, kreisen elegant, hängen kopfüber – alles in absoluter Kontrolle. Wer mit dem Bild des Nachtclubs kam, sieht schnell: Dahinter steckt Körperkunst, Athletik und Sinnlichkeit.

„Diese Körperspannung!“, sagt eine Besucherin staunend. „Das ist eine Symphonie aus Kraft und Anmut. Es wird Zeit, dass das Gesellschaftsbild dieser Tanzform aus der Schmuddelecke geholt wird“, so die 56-Jährige.

Marina Holzwarth und ihre große Leidenschaft Video: Hanser, Oliver

„Wir haben große Achtung vor der Körperbeherrschung“

Die Körperlichkeit, den Rhythmus und die Bewegung bringen Smajic und Kiss in ihren Werken zur Geltung. Die Geschichte dahinter: Smajic, die seit Jahren Menschen beim Tanzen skizziert – von Ballett bis Hip-Hop –, tauschte sich mit ihrer Neuwerk-Kollegin Kiss aus, die sie auf Poledance aufmerksam machte. Kiss sagt: „Ich habe in der Nähe des ,Babalou‘ gewohnt und bin oft daran vorbeigelaufen.“

So sei sie neugierig geworden. „Das Ambiente, das gedimmte Licht und die etwas verruchte Stimmung fand ich spannend“, erzählt sie. Also schlugen die beiden Künstlerinnen eines Abends dort auf – und waren sprachlos. „Die Damen, die dort getanzt haben, waren faszinierend“, erklären die beiden. „Wir haben große Achtung vor der Körperbeherrschung.“

Andrea Kiss (links) und Susanne Smajić freuen sich über die Resonanz am Eröffnungstag ihrer Ausstellung.
Andrea Kiss (links) und Susanne Smajić freuen sich über die Resonanz am Eröffnungstag ihrer Ausstellung. | Bild: Hanser, Oliver

Zunächst begegnete man ihnen mit etwas Skepsis. „Ein paar Blicke sagten: Seid ihr vom Amt?“, erinnert sich Kiss lachend. Doch nach Gesprächen – auch mit dem Besitzer – öffneten sich ihnen Türen. Tänzerin Olimpia war von Anfang an offen und interessiert. „Ich liebe es zu tanzen – egal, ob vor dem Publikum im Club oder vor den beiden Künstlerinnen“, sagt sie. Und Kiss ergänzt: „Wir sind so glücklich, dass wir Olimpia gefunden haben.“

So begann das Projekt: mit Vertrauen, Nähe und der Erlaubnis, mit Block und Kamera Teil dieser Welt zu werden. Es folgten mehrere Besuche, bei denen Smajic und Kiss die Tänzerinnen fotografierten und zeichneten. „Wir sind beide vorurteilsfrei und haben keine Berührungsängste“, sagt Smajic. „Ich habe bereits so viel Akt gezeichnet – der menschliche Körper ist für mich völlig natürlich und schön.“ Kiss ergänzt: „Wir haben einen femininen Blick auf die Frauen.“

Olimpia zeigt: Beim Poledance ist sie in ihrem Element Video: Hanser, Oliver

Sportart oder Job im Club? „Beides hat seine Berechtigung“

Marina Holzwarth ist eine der Tänzerinnen bei der Vernissage. Die 25-jährige Studentin erklärt: „Ich habe beim Poledance meine Leidenschaft entdeckt, die größte, die ich habe.“ Für sie ist Poledance eine Mischung aus Kraft, Technik und Ausdruck. „Die einen verdienen damit im Club Geld, die anderen sehen es als Sport – beides hat seine Berechtigung.“

Freya Moßig kam über den Wunsch, Turnen und Tanz zu verbinden, zum Poledance. Für sie steht der akrobatische Aspekt im Vordergrund, sie findet es aber wichtig, die Wurzeln des Tanzes zu ehren. „Poledance kommt ursprünglich nun mal aus dem Stripclub. Dass die laszive Darstellung in der Gesellschaft kaum Raum bekommt, finde ich schade“, sagt sie. Beide Studentinnen geben Poledance-Kurse an der Universität Konstanz. „Die Kurse sind innerhalb von Minuten ausgebucht.“

Freya Moßig und Marina Holzwarth: ein artistisches Duo Video: Hanser, Oliver

Was Smajic und Kiss in ihrer Ausstellung zeigen, ist mehr als eine Dokumentation. Es ist eine Würdigung. Zeichnungen, die Bewegung sichtbar machen, ohne sie zu fixieren. Fotografien, die Nähe zulassen, ohne zu entblößen – eine Einladung, den Blick zu schärfen.

„Uns wurde von den Tänzerinnen selbst und vom Nachtclub volles Vertrauen entgegengebracht“, erzählen sie. „Wir bekamen Einblick in eine Szene, die sonst meist verborgen bleibt.“ Und sie versprechen: „Wir kommen wieder. Aber das nächste Mal nicht am Nachmittag. Sondern zu vernünftigen Zeiten – also nach Mitternacht.“