Herr Daub, in diesem Jahr waren Sie bereits zum dritten Mal als Senior Expert im Norden Tansanias, um sich im URRC (Usa River Rehabilitation & Training Center) zu engagieren. Was ist das für eine Einrichtung und was machen Sie da genau?

Stefan Daub: Das URRC ist eine Einrichtung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Tansania (ELCT). Ziel der Arbeit ist es, die etwa 150 jungen Menschen mit Einzel- oder Mehrfach-Handicap zu unterstützen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Dies geschieht durch professionellen heilpädagogischen Unterricht – was in Afrika sehr selten zu finden ist – bis eben gezielter motorischer Förderung in der Physiotherapie.

Wie kam es zu Ihrem Engagement als Senior Expert für das URRC?

Stefan Daub: Der Kontakt mit dem URRC kam 2022 durch den damaligen Vorsitzenden des deutschen Fördervereins Willy Zink zustande. Er war auf der Suche nach einer Rehabilitationsklinik für ein Praktikum eines tansanischen Physiotherapeuten des URRC. Da ich durch viele Reisen eine hohe Affinität zum afrikanischen Kontinent besitze, habe ich, als die Anfrage kam, sofort angebissen. Zumal es sich sehr schnell zeigte, dass die jungen Menschen im URRC allesamt mit ihren Diagnosen auch Patienten im Hegau-Jugendwerk sein könnten.

Unsere beidseitigen Erfahrungen des Praktikums mit meinem tansanischen Kollegen hier in Gailingen waren am Ende derart positiv, dass rasch der Gedanke eines Gegenbesuches reifte. Und so wurde ich dann Senior Expert beim SES in Bonn. Der SES ist die führende deutsche Entsendeorganisation für ehrenamtliche Fach- und Führungskräfte und eng an das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) angegliedert.

Was konnte der junge tansanische Hospitant, von dem sie gerade berichtet haben, für seine Arbeit mitnehmen?

Stefan Daub: Das Studium, welches die tansanischen Physiotherapeuten absolvieren, ist sehr theorielastig, das heißt, er hat ganz viel von unserer praktischen Therapiearbeit mit den Patienten mitgenommen. Wir nennen das „hands on“, weil es darum geht, die Patienten in der Übungsbehandlung auch anzufassen und zu führen.

Sie sind Leiter der Physiotherapie am Hegau-Jugendwerk (HJW) in Gailingen. Die neurologische Reha gilt als besonders anspruchsvoll. Was sind die größten Anforderungen?

Stefan Daub: Sehr häufig bleiben bei neurologischen Erkrankungen motorische – aber nicht nur – Einschränkungen zurück, das heißt, die Patienten behalten ein Handicap. Das ist für junge Menschen keine einfache Situation.

Das könnte Sie auch interessieren

Welche Parallelen gibt es zwischen den Krankheitsbildern und Beschwerden, die Sie im HJW finden, und denen im URRC?

Stefan Daub: Eine große Zahl der Patienten kam mit einer Hirnschädigung auf die Welt. Bei dieser Gruppe, der sogenannten Zerebralparese, gibt es eine unwahrscheinlich hohe Bandbreite an Einschränkungen auf vielen Ebenen. In der Physiotherapie kümmern wir uns vorwiegend um die Bewegungsstörungen, das heißt, besser Sitzen, Stehen und Gehen lernen – trotz spastischer Lähmung.

Können Sie Ihr therapeutisches Wissen eins zu eins in Afrika anwenden?

Stefan Daub: Nein, da gibt es in jedem Fall Dinge, die nicht übertragbar sind. Wir in Gailingen arbeiten in der Physiotherapie sehr stark gerätegestützt, um das Therapieziel zu erreichen; das heißt mit modernen Therapiegeräten, die Robotik nutzen – wie unseren Lyra Gangtrainer. Klar ist, dass es so schnell in Tansania keinen Gangroboter geben wird. Aber das macht die Aufgabe auch wieder reizvoll, durch kreative Lösungen und mit einfachen Mitteln gemeinsam mit den Patienten zum Ziel zu kommen.

Was konnten Sie bisher konkret im URRC mit Ihrem Einsatz erreichen?

Stefan Daub: Durch gezielte Schulungen und praktische Anleitung konnte ich sicher Impulse setzen, die zu einem besseren Therapieergebnis führen. Einem jungen Mann haben wir beispielsweise wegen seiner extremen Fehlstellungen der Füße Orthesen gebaut. Diese trägt er nun bereits seit einem Jahr und profitiert ganz eindeutig davon, weil er damit stabiler frei stehen kann. Ein weiterer Aspekt ist der interdisziplinäre Austausch mit allen Fachbereichen. Gerade wenn es um die Akzeptanz eines Hilfsmittels wie eines Rollators geht, ist das ganze Team gefragt, damit eine gute Kommunikation mit den Patienten gelingt.

Das könnte Sie auch interessieren

Welche Bedeutung hat der deutsche Förderverein für das URRC?

Stefan Daub: Der Förderverein hat eine sehr große Bedeutung, da er Projekte unterstützt und vorantreibt, die mit den oft sehr bescheidenen Mitteln der Tansanier nicht möglich wären. So wurde beispielsweise ein kompletter Kraftgeräteraum, eine Mucki-Bude in Containern nach Tansania gebracht, der dort bis heute sehr wertvolle Dienste leistet.

Was würden Sie sich für Ihre weitere Arbeit hinsichtlich Ihrer Arbeit in Deutschland und Ihres ehrenamtlichen Engagements in Tansania wünschen?

Stefan Daub: In Deutschland steht das Gesundheitswesen unter enormem ökonomischem Druck. Ich überblicke jetzt über 30 Jahre meiner Arbeit als Physiotherapeut im HJW Gailingen, und ich mache mir Sorgen, ob wir unsere qualitativ hohen Standards, für die ich kämpfe, unter diesen Rahmenbedingen halten können. Tansania und damit der Kontakt zu den liebgewonnenen Menschen dort, ist für mich eine Inspiration, die ich nicht missen möchte. Am Ende des Tages geht es immer um den einzelnen Menschen. Wenn es gelingt, einen Lebenslauf hier wie dort zu verbessern, dann erfüllt mich dies mit Freude und Dankbarkeit.