Als 1945 der Zweite Weltkrieg zu Ende ging, rechneten wohl die wenigsten damit, dass Deutschland und Frankreich jemals eine freundschaftliche statt feindliche Beziehung verbinden könnte. Jahrelang hatten sich die Länder auf dem Schlachtfeld gegenübergestanden, das Verhältnis war alles andere als gut. Nach dem Krieg jedoch begannen schließlich Annäherungsversuche, die schlussendlich, ermöglicht auch durch die Bemühungen der Staatsmänner Charles de Gaulle und Konrad Adenauer, zu Städtepartnerschaften und damit zur gelebten Versöhnung führten – auch in Radolfzell.
Seit mehr als 50 Jahren verbindet die Kommune am Bodensee eine Städtepartnerschaft mit der französischen Stadt Istres, wobei das Jubiläum gleich zweimal gefeiert werden kann – unterschrieben wurden die Verträge nämlich sowohl 1974 in Frankreich, als auch 1975 in Radolfzell. Im Juni will die Stadt Radolfzell die Verbindung daher auch an vier Tagen mit mehreren Programmpunkten feiern. Doch wie kam es überhaupt zur Partnerschaft zwischen den Städten? Und wie hat sich diese sich über die Jahre entwickelt?
Erst gab es andere Partnerschafts-Kandidaten
Wie aus alten Unterlagen aus dem Mai 1974 hervorgeht, war es die Stadt Istres, die erstmals im Januar desselben Jahres Interesse an einer Partnerschaft zeigte: Demnach habe das französische Partnerschaftskomitee damals angefragt, „ob die Stadt Radolfzell an einer Partnerschaft mit Istres interessiert sei“. Dabei ist Istres jedoch nicht der erste Kandidat für eine deutsch-französische Verbindung gewesen. Wie die Radolfzeller Verwaltung weiter berichtete, habe sich schon zuvor eine Partnerschaft mit der Gemeinde St. Laurent zu Var nahe Nizza angebahnt. Diese habe sich jedoch zerschlagen, der Weg für Gespräche mit Istres war also frei.
Kontakte nach Frankreich hatte man aber dennoch schon längst aufgebaut: So fanden Schüleraustausche mit der Gemeinde Manosque statt, die laut einem damaligen SÜDKURIER-Bericht wohl ebenfalls vorüber als Partnerstadt zur Debatte stand. Zudem gab es in Radolfzell bereits einen deutsch-französischen Club.
Mitte Mai 1974 folgte schließlich ein erster Besuch einer Kommission aus Istres am Bodensee, im Juni der Gegenbesuch der Radolfzeller. Am 11. Juli waren die Würfel dann gefallen, die Pläne wurden konkret: „Radolfzell wird mit der französischen Stadt Istres eine Partnerschaft eingehen“, verkündete der SÜDKURIER damals.
Gleich zweimal wird unterschrieben
Bis zur Unterzeichnung der Urkunde, die die Vereinigung offiziell besiegelte, dauerte es nicht lange: Schon am 21. September 1974 war es soweit, zu dem Anlass war eine Radolfzeller Delegation erneut nach Istres gereist. Dort wurde den Gästen einiges geboten. Nicht nur wurde der damalige Radolfzeller Bürgermeister Fritz Riester zum Ehrenbürger von Istres ernannt, auch gab es unter anderem einen Umzug und ein „Fest der Jumelage“. Auch Radolfzell brachte sich ein: Die deutsche Delegation brachte eine Radolfzeller Stadtflagge und einen „Baum der Städtefreundschaft“ mit, der gemeinsam eingepflanzt wurde.

Einige Monate später, im Juli 1975, folgte schließlich die zweite Vertragsunterzeichnung, dieses Mal in Radolfzell. Die französischen Freunde waren zu diesem Zweck zum größten Fest der Stadt, dem Hausherrentag, eingeladen worden, berichtete der SÜDKURIER damals. 256 Franzosen machten sich daraufhin auf den Weg an den Bodensee. Dort fand am 19. Juli der feierliche Akt auf dem Marktplatz statt.

Dabei fand Oberbürgermeister Riester höchst lobende Worte: „Es gebe bestimmt niemanden, der heute die Freundschaft zwischen dem deutschen und dem französischen Volk nicht für unerlässlich halte“, gab der SÜDKURIER damals Riesters Worte wieder, Radolfzell habe keine bessere Schwesternstadt finden können.

Besonderes Gastgeschenk
Istres‘ Bürgermeister Maurice Gouin brachte sogar eine Hommage an den ehemaligen US-Präsidenten John F. Kennedy ein: „Heute bin ich ein Radolfzeller“, erklärte er nach einem Zeitungsbericht der Menge und erntete dafür viel Beifall. Im Gegenzug erhielt er die Ehrenbürgerschaftsrechte der Stadt Radolfzell.

Auch dieses Mal gab es ein besonderes Gastgeschenk, nämlich Steine aus der Crau, einer Schottersteppe westlich von Istres. Im Radolfzeller Stadtgarten wurden sie zu einem Denkmal zusammengefügt, wobei Gouin sich selbst einbrachte: „Bürgermeister Gouin legte in Anwesenheit vieler Besucher des Stadtgartens selbst Hand an, als die Steine mit Mörtel zusammengefügt wurden“, berichtete der SÜDKURIER am 22. Juli 1975. Auf der Spitze wurde ein Stein angebracht, der nicht nur mit dem Namen Istres, sondern auch einem Stern aus dem Wappen der französischen Stadt versehen worden war.
Die Freundschaft wird enger
In den folgenden Jahren wuchs die Städtepartnerschaft weiter, unter anderem knüpften auch Vereine in Deutschland und Frankreich Kontakt, auch fanden Schüleraustausche statt. Im Jahr 1978 unterstützte das Deutsche Rote Kreuz Radolfzell seine Kollegen in Istres mit einer im wahrsten Sinne des Wortes großen Spende: Die Gruppe übergab einen neu überholten Krankenwagen, den es bis dahin beim französischen Roten Kreuz in Istres noch nicht gegeben hatte. Gleichzeitig fanden gegenseitige Besuche der Städte statt – auch zu Jahrestagen der Vertragsunterzeichnungen.
Mit Geschenken geizte zu diesen Anlässen keine Seite. Zum fünfjährigen Bestehen der Städtepartnerschaft taufte Istres so seine längste und breiteste Straße im Jahr 1979 auf den Namen „Avenue Radolfzell“. Radolfzell wiederum hat auch heute noch die „Istres-Promenade“, den „Provenceweg“ und den „René-Moustelon-Platz“, der nach dem ehemaligen Präsidenten des istrischen Partnerschaftskomitees benannt wurde.

Und auch weitere Geschenke wurden ausgetauscht. So brachte Radolfzell zum Beispiel eine Erinnerungsplakette aus Granit nach Istres und die Istrianer überreichten unter anderem eine Kupfertafel, eine Sonnenuhr und ein gusseisernes Kreuz. Letzteres wurde 1995 am Radolfzeller Konzertsegel aufgestellt und schien unbekannte Täter derart zu begeistern, dass sie es schon im Oktober 1997 stahlen. Weil das Kreuz nicht mehr aufgefunden werden konnte, musste die Stadt 1998 schließlich eine Kopie herstellen lassen.
Der Kontakt bleibt bestehen
Und auch heute noch sind die Verbindungen zwischen Istres und Radolfzell eng, regelmäßig gibt es gegenseitige Besuche. 2024 wurde der 50. Geburtstag der Städtepartnerschaft in Istres gefeiert, im Sommer wird nun erneut in Radolfzell an die langjährigen Verbindungen erinnert.