Ein Vierteljahrhundert ist es her, dass Radolfzell und die Schweizer Gemeinde Amriswil offiziell eine Städtepartnerschaft eingingen: Im Juli 1999 unterzeichneten der damalige Oberbürgermeister Günter Neurohr und der Amriswiler Gemeindeammann Peter Kummer die Urkunde, dafür war eigens eine große Delegation aus Radolfzell in die Schweiz gereist.
Aber auch wenn die Städtepartnerschaft nun nach 25 Jahren ein kleines Jubiläum feiert, geht die Freundschaft zwischen den beiden Gemeinden noch viel weiter zurück: Schon nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs knüpften Amriswil und Radolfzell Kontakt, als die Schweizer den Deutschen in großer Not zu Hilfe eilten. Details enthüllt ein Blick in das Radolfzeller Stadtarchiv.
Hilferuf nach dem Weltkrieg
Nach dem Krieg mangelte es in Deutschland an vielem, wie aus Archivunterlagen hervorgeht, litten auch in Radolfzell die Menschen Not. In einem Schreiben des damaligen Bürgermeisters Wilhelm Gohl im Dezember 1945 heißt es: „Zwar ist unsere Heimatstadt dank glücklicher Fügungen größtenteils verschont geblieben, doch hat die allgemeine Not auch vor unseren Toren nicht Halt gemacht.“ Die Versorgung der Bevölkerung mit den lebensnotwendigen Dingen sei seit Jahren unzulänglich.

„Wir sind heute aus eigenen Kräften und mit eigenen Mitteln leider nicht mehr in der Lage, Hunger und Kälte von einer leider großen Zahl verarmter Mitbürger fernzuhalten“, so die ernüchternde Bilanz rund ein halbes Jahr nach Kriegsende. Betroffen seien neben den Einheimischen besonders schwer auch die Ostflüchtlinge, die in Radolfzell in großer Zahl erwartet wurden.
Julius Hauser macht den Anfang
Hilfe begann zunächst in Form eines einzelnen Mannes: der damalige Chef der Radolfwerke, Julius Hauser, bot der Stadt seine Unterstützung an. Hauser, selbst Schweizer, gelang es, dass die Gemeinde Amriswil mit Gemeindeammann Carl Müller an der Spitze eine Patenschaft für Radolfzell übernahm.
Damit ging eine vielseitige Unterstützung der Deutschen durch die Schweizer einher: Nicht nur erreichten Radolfzell in den Folgejahren immer wieder Hilfepakete aus Amriswil, in denen unter anderem Lebensmittel, Medikamente und Schuhe geschickt wurden.

Hilfsgüter, Schülerspeisung, Erholungsaufenthalt
Auch wurde schon im Dezember 1945 ein geplanter Erholungsaufenthalt einiger Radolfzeller Kinder in der Schweiz erwähnt. Im Radolfzeller Krankenhaus wurden Anfang 1946 vorbereitend für die im Sommer geplante Aktion 28 Mädchen und 33 Jungen untersucht, die zur Auswahl für diesen Ausflug vorgesehen waren. Doch trotz der Vorkehrungen musste das Vorhaben schlussendlich abgesagt werden, da Amriswil erst von einer Kinderlähmung-Epidemie, dann den Masern und schließlich einer Grippe-Welle heimgesucht wurde.

Allerdings konnten durch die Unterstützung aus Amriswil auch Schülerspeisungen in Radolfzell stattfinden. Zwei Zeitzeugen, die sich daran noch erinnern, sind Hannelore Dreher und Horst Auer. Sie berichten von den Speisungen, die in den Schulen stattfanden. Es habe Suppe gegeben und Kakao, berichtet Horst Auer, morgens seien diese ausgegeben worden. Hannelore Drehers Mutter habe ihr dafür sogar extra eine Stofftasche genäht, „da haben wir das Geschirr reingetan“, so Dreher.

1965 hilft Radolfzell Amriswil
Auch nach der Nachkriegszeit blieb der Kontakt zwischen Radolfzell und Amriswil bestehen. 1956 besuchten Ammänner des Kantons Thurgau, in dem Amriswil liegt, die deutsche Stadt am Bodensee. Wie der SÜDKURIER damals berichtete, übersandte Amriswil Radolfzell zu diesem Anlass einen in Silber geschmiedeten Teller, der nicht nur das Amriswiler Wappen trug, sondern auch eine Inschrift: „Dem befreundeten Radolfzell gewidmet vom Gemeinderat Amriswil.“
1960 fand außerdem ein Freundschaftsbesuch der Gemeinde Amriswil in Radolfzell statt, fünf Jahre später folgte der Gegenbesuch. Im gleichen Jahr waren es schließlich auch die Radolfzeller, die Amriswil in einer Not aushalfen: Im Februar 1965 war in der Kleiderfabrik Esco in Amriswil ein Großbrand ausgebrochen, das auch auf zwei benachbarte Wohnhäuser übergriff, wie aus einem SÜDKURIER-Artikel aus der Zeit hervorgeht.
Kurz nach dem Unglück schrieb die Gemeinde Amriswil an den Radolfzeller Bürgermeister Hermann Albrecht und berichtete von dem Brand sowie einer Geldsammlung für die Brandgeschädigten, deren Wohnungen durch das Feuer zerstört wurden. Nur wenige Tage später beschloss der Radolfzeller Gemeinderat, 3000 D-Mark zu überweisen.
Ein Stück Radolfzell in Amriswil
Später folgten weitere gegenseitige Besuche, 1985 wurde eine Freundschafts-Eiche in Amriswil gepflanzt, die der Gemeinde von der Stadt Radolfzell geschenkt wurde. Mehr als 50 Jahre nach dem ersten freundschaftlichen Kontakt gingen die beiden Städte schließlich Anfang Juli 1999 anlässlich der Amriswiler 1200-Jahr-Feier die offizielle Städtepartnerstadt ein.

Zu dem Anlass erwies Amriswil Radolfzell auch eine besondere Ehre: Gleichzeitig wurde nämlich ein neuer Begegnungsort eingeweiht, der den Namen „Radolfzeller Platz“ erhielt.
Besuch zum 25-Jährigen
Und auch heute ist der Kontakt noch eng: Anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Städtepartnerschaft besuchte kürzlich erneut eine Radolfzeller Delegation die Stadt im Kanton Thurgau.

Und bei der Amriswiler Kulturnacht am Samstag, 14. September, präsentieren die Fotofreunde Blende20 aus Radolfzell in der Schweiz 101 Bilder mit Motiven aus Radolfzell – und sorgen so erneut für einen engen Kontakt zwischen den Partnerstädten.