Einfach schnell hinsitzen, wenn das Kind auf dem Arm schwer wird. Kurz pausieren, wenn der Fußweg mit strapazierten Gelenken mühsam wird. Platz nehmen, um ein Eis statt im Laufen mal in Ruhe genießen zu können. Das wünschen sich viele Konstanzer und Besucher der Stadt.
Doch wenn sie im historischen Zentrum unterwegs sind, ist die Enttäuschung oft groß. Während das Angebot von Sitzplätzen in der Außengastronomie massiv zugenommen hat, sind Orte, an denen man ohne zu konsumieren einfach mal sitzen kann, rar. Das zeigt auch diese Aufstellung des SÜDKURIER in der Konstanzer Innenstadt.
Freie Sitzplätze sind oft unattraktiv
An vielen öffentlichen Orten gibt es danach zehnmal mehr Sitzplätze in der Gastronomie, als es kostenlose Möglichkeiten gibt, sich auszuruhen. Freie Sitzbänke oder -plätze im Schatten gibt es kaum, und oft werden diejenigen, die nichts konsumieren können oder wollen, in die Ecke gedrängt. So sind Sitzbänke von Fahrrad-Abstellanlagen umkreist, von Motorrollern zugestellt, hinter einer Litfaßsäule versteckt oder aus anderen Gründen unattraktiv. Rückenlehnen sind die Ausnahme, und oft sitzen die Nutzer auf kaltem Stein oder Metall.
Der Stadtseniorenrat hat das Thema bereits aktiv aufgegriffen – und zwar als Anliegen von Konstanzern aller Altersgruppen. Fußgänger, sagt Vorsitzende Irene Heiland, „sind wir alle. Autofahrer, Radler, Bus-Nutzer sind immer nur Teile der Gesellschaft.“ Wobei ihre Kollegin Elisabeth Jansen ergänzt: „Die Möglichkeit, sich zwischendurch ausruhen zu können, ist für viele eine Voraussetzung, dass sie überhaupt zu Fuß unterwegs sein können.“ Manche Menschen trauten sich deshalb kaum mehr aus dem Haus.

Im Rathaus ist das Thema laut Irene Heiland angekommen. Der Stadtseniorenrat sei von der Stadtverwaltung schon um Standort-Vorschläge gebeten worden. Zugleich lobt sie, dass auf dem Stephansplatz schon erste Verbesserungen erzielt wurden. Christian Millauer von der Bürgergemeinschaft Petershausen freut sich überdies, dass zunehmend Sitzbänke auch über Eck aufgestellt werden. „Da kann man einfach besser schwätzen als nebeneinander“, so der Senior.

Wie aber ist nun die tatsächliche Situation im historischen Zentrum von Konstanz? Wir machen uns auf den Weg durch die Altstadt, vom Münsterplatz bis zur Bodanstraße. An jedem Ort haben wir zwei Bilder aufgenommen, die einmal das Angebot an Sitzplätzen der Gastronomie zeigt und einmal einen Eindruck vermittelt, wo man verweilen kann, wenn man nichts konsumieren möchte.
Münsterplatz
Der vielleicht schönste Platz der Stadt ist voll in der Hand der Gastronomie. Dutzende Tische stehen auf dem Münsterplatz. Sitzen ohne Verpflichtung zum Konsum kann man auf einem Mauerabsatz auf der Nordseite der Kirche und auf einigen wenigen Bänken am Beginn der Inselgasse, gegenüber dem Stadt-Relief. Die Sitzbänke bestehen aus Metallrohren.


Hofhalde
Vor wenigen Jahren aufwendig umgebaut, bietet die Hofhalde drei öffentliche Sitzmöglichkeiten: Steinquader, die eher wahllos verteilt zu seien scheinen, mit einer harten und kalten Oberfläche. Dazu kommen noch einige Bänke im angrenzenden Pfalzgarten.
Viel mehr Raum gibt die Stadt der Gastronomie: Das Restaurant auf der Ostseite hat die Zahl seiner Tische zuletzt noch vergrößert. Die Stadtverwaltung hat dazu auf SÜDKURIER-Anfrage erklärt, man sei den Konstanzer Wirten 2021 in der für sie schwierigen Corona-Zeit entgegengekommen und habe auch für 2022 die Genehmigungen für Außengastronomie großzügig gehandhabt.


Wessenbergstraße
Auf der Haupt-Fußgängerstraße der Stadt gibt es im Bereich der Stephanskirche einige Sitzbänke. Eine steht halb verdeckt hinter einer Litfaßsäule und dem dortigen Kiosk. Zwei weitere, direkt am Karle-Steuer-Brunnen, sind inzwischen von der Gastronomie geradezu eingekesselt. Wer hier sitzt, weiß gar nicht mehr, ob er sich eigentlich in einem Café oder im öffentlichen Raum befindet. Auch hier hat sich die Außengastronomie stark ausgedehnt.


Zollernstraße
Weiter geht es in die Zollernstraße, wo man sehr schön sehen kann, wie charmant man das Thema lösen und den Ausgleich zwischen Gastro- und Bürger-Interessen schaffen kann. Denn hier gibt es ein sehr schönes Sitzbänkle rund um einen Baum, mit, je nach Sonnenstand, auch schattigen Plätzchen. Es liegen dort sogar Kissen, denn auf dem Bänkle können auch Kunden Platz nehmen, die sich gegenüber einen Kaffee holen. Zum Konsum verpflichtet ist hier aber niemand.


Fischmarkt
Am Fischmarkt hat die Zahl der Außengastro-Plätze nicht zu-, sondern sogar abgenommen, seit das „Latinos“ nicht mehr existiert. Der frei gewordene öffentliche Raum allerdings wurde bisher nicht dafür genutzt, Plätze zum Sitzen und Verweilen für alle zu schaffen. Und das, obwohl die auf dem Platz vorhandenen Sitzbänke oft wenig attraktiv sind, zum Beispiel stehen sie direkt an der Auto-Zufahrt zum Parkhaus oder inmitten von Fahrrad- und Motorradabstellplätzen.


Marktstätten-Unterführung
Die großzügigen Treppen auf beiden Seiten der Unterführung haben schon immer zum Verweilen eingeladen. Und die Stadt Konstanz hat bei der Sanierung erfolgreich darauf geachtet, dass auch schöne Sitzgelegenheiten für Nicht-Gastronomie-Kunden entstehen. So gibt es einzelne Podeste, wo man statt auf kalten Stein auf warmem Holz sitzen kann. Auch Sitzbänke für weniger bewegliche Menschen sind vorhanden. Die sonnige Südseite ist fest in Gastro-Hand, aber auch hier gibt es immerhin Stufen (ohne Podeste und Sitzbänke).


Marktstätte
Weiter oben auf der Markstätte gibt es auf den Längsseiten des Platzes einige Sitzbänke. Manche von ihnen verschwinden regelrecht zwischen Gastronomie-Sitzplätzen, Warenauslagen eines Drogeriemarkts und hinter geparkten Fahrrädern. Der eine Baum, der natürlichen Schatten spendet, ist von einem Ring aus Betonsteinen umgeben, da kann man sich immerhin kurz hinsetzen und ein Eis essen. Trotzdem bleibt der Eindruck: Wenn das hier der „Festsaal der Stadt“ sein soll, haben wohl vor allem die Gastronomen Grund zum Feiern.


Augustinerplatz
Hier zeigt sich der Zwiespalt wohl ganz besonders deutlich: Es wird wohl niemanden geben, der nicht sagt, dass dieser oft als trist empfundene Ort durch das neue Restaurant mit Außenbewirtung unter den wenigen vorhandenen Bäumen gewonnen hat. Verloren sind dagegen die paar Sitzplätze im Schatten, die es hier gab. Und fast ironisch mutet es an, dass die bisher so gern genutzte, gewellte Liege nun an einen maximal unattraktiven Platz an der hinteren Rathaus-Mauer versetzt wurde. Dennoch ist auf dem Augustinerplatz das Angebot mit Sitzbänken durch die Pflanzen-Inseln noch vergleichsweise gut.


Löwenplatz
Hier ist genau das eingetreten, wovon schon vor 14 Jahren die damalige SPD-Stadträtin Brigitte Leipold ausdrücklich gewarnt hatte: Ein zuvor öffentlicher Raum ist komplett dem Kommerz preisgegeben worden. Eine Genehmigung für hunderte Gastro-Sitzplätze von zwei Restaurants war für die Stadtverwaltung hier kein Problem, das Aufstellen von ein paar Sitzbänken ohne Konsumverpflichtung dagegen offenbar schon. Auf der anderen Seite des Kaufhauses, an der Einmündung der Rosgartenstraße in die Bodanstraße, dem früheren Brunnenplatz, sieht es auch nicht besser aus.

Und wie sieht es außerhalb der Altstadt aus?
Festzuhalten ist nach dieser Tour aber auch: Die oft beklagte Kommerzialisierung des öffentlichen Raums ist nur eine Seite der Wirklichkeit. Konstanz bietet auch sehr viele attraktive Orte zum Verweilen, an denen niemand etwas bezahlen oder kaufen muss. Bisweilen werden dort gastronomische Angebote sogar vermisst.

Also geht es auf unserem Spaziergang durch Konstanz noch ein bisschen weiter an Orte ohne Konsumzwang. Die Liste ließe sich natürlich noch fortsetzen mit Klein Venedig, Schänzle, Hoerle-Park, Bismarckturm und vielen anderen Plätzen, die eine hohe – und jetzt muss das Lieblingswort der Stadtplaner doch endlich kommen – Aufenthaltsqualität bieten.


Und schließlich sei noch ein ganz besonderes Angebot hervorgehoben. Mitten in der Innenstadt gibt es Orte, wo alle Besucher willkommen sind, wo niemand Geld ausgeben muss, wo man sogar trocken und sonnengeschützt im Innenraum sitzen und sich erholen kann (allerdings ohne dabei ein Eis zu essen oder lautstark zu kommunizieren). Es sind die Kirchen, die tagsüber allen offen stehen, die dem Ort einen gewissen Respekt entgegenbringen.

Die Tour durch die Altstadt führt zurück an den Münsterplatz und damit an einem weiteren Ort, der zeigt, dass eben nicht alles Kommerz ist in der Stadt. Auch hier muss niemand etwas bezahlen und kann sich geschützt und in Ruhe aufhalten. Auch Kinder sind willkommen, und gegen mögliche Langeweile gibt es ein riesiges Angebot: Es ist die Stadtbibliothek am Münster. Auch so ein Ort, der keinen Unterschied macht zwischen denen, die 3,50 Euro für einen Milchkaffee ganz locker zahlen, und den anderen, die sich das nicht leisten können oder wollen.