Trotz Hitze, es könnte der heißeste Flohmarkt in seiner über 50-jährigen Geschichte gewesen sein, kamen etwa 80.000 Besucher. Das zeigt: Der Bedarf ist da. Ruckzuck sind alle Stände – fast 80 Prozent gehen an Konstanzer – ausgebucht. Das Interesse an diesem Format ist groß. Deshalb braucht es eben diese große Fläche, sodass sie die Menschen verteilen können. So soll eine drangvolle Enge und damit eine Gefahrensituation vermieden werden.
Dieser grenzüberschreitende Flohmarkt beinhaltet nämlich all das, wofür Konstanz steht, aber vor allem stehen sollte: Es ist ein Fest für alle, weltoffen, friedlich, integrativ und nachhaltig. Gegenstände werden nicht auf den Müll geworfen, sondern finden neue Besitzer. Menschen mit wenig Geld in der Tasche können sich Gewünschtes oder Benötigtes leisten. Bekannte treffen sich und Fremde kommen automatisch an den Ständen ins Gespräch, handeln, feilschen und haben Spaß. Sie kommunizieren außerhalb des gewohnten Umfelds, und gerade das ist nach der Pandemie und deren Folgen umso wichtiger, denn soziale Kompetenz will nicht nur gelernt, sondern auch geübt sein.
Durch die Pandemie scheint nämlich eine nicht geringe Zahl der Mitmenschen vom Egoismus in eine Egozentrik übergegangen zu sein, wie sich am mangelhaften Miteinander und zum Teil sogar respektlosen Umgang im Alltag deutlich zeigt. Umso wichtiger ist das Übungsfeld Flohmarkt, das längst ein beliebtes Volksfest für alle Generationen und Nationen geworden ist.
Das Problem ist der Umgang mit der Gefahrenlage
Jetzt gibt es allerdings schon Stimmen, den grenzüberschreitenden Flohmarkt bräuchte es nicht, Stadtteil- oder Quartierflohmärkte würden ausreichen. Nein, genau das tun sie nicht. Bei solchen Minimärktchen bewegen sich die Menschen in ihrem gewohnten Umfeld, in ihrer sozialen Blase; eine Durchmischung der unterschiedlichen Stadtteilbevölkerungen und vielleicht auch der gewisse soziale Stresstest wie beim großen Flohmarkt findet nicht statt.
Das große Problem ist nicht die Größe und Beliebtheit des Flohmarktes, sondern der Umgang mit der sich veränderten Gefahrenlage. Terroranschläge sind nicht auszuschließen, aber das waren sie spätestens seit dem 11. September 2001 ohnehin nie. Jetzt von Veranstaltern immense und teure Sicherheitsauflagen zu fordern, die einem Anti-Terror-Schutz gleichkommen, ist unverhältnismäßig.
Anti-Terror-Schutz sollte Aufgabe der Kommune, des Landes oder des Bundes sein, während die Veranstalter sich um die Erfüllung der normalen Sicherheitsbestimmungen kümmern. Wenn wir einmal ehrlich zu uns selbst sind, dann wissen wir, dass diese Maßnahmen nie eine umfassende Garantie für Schutz sein können, sondern lediglich die Möglichkeit einer Gefahrenabwehr in Facetten darstellt.
Eine Festung gibt nur Scheinsicherheit
Beim Flohmarkt wurden 63 Zufahrten vorwiegend mit Herner Truck-Sperren geschützt. Sind sie Schutz oder bergen sie eine andere Gefahr? Das Gelände mit seinen vielen Zubringerstraßen und -gassen wurde bislang für diese zahlreichen Fluchtwege hochgeschätzt, jetzt aber wurden genau diese als Gefahrenquelle diskreditiert. Kann im Notfall, beispielsweise einer Massenpanik, schnell entfluchtet werden, wenn diese Wege mit massiven Gerätschaften verbaut sind? Schließlich können diese Gefahrenabwehr-Blockaden nicht in Sekundenschnelle weggeschoben werden, während hingegen Menschen in Panik plötzlich und unkalkulierbar reagieren.
Die Kosten für die Sicherheitsauflagen* sind immens, sodass die Veranstalter einen solchen Bonus für die Stadtgesellschaft womöglich nicht mehr leisten können. Es ist dringend an der Zeit, dass sich die Politik für eine generelle Linie entscheidet, und die Bürger sich vergegenwärtigen, dass das Leben per se mit Risiken und Gefahren verbunden ist. Eigenverantwortung lautet hier das Stichwort, nüchterner Blick auf die Realität ein weiteres.
Machen wir uns nichts vor: An einem ganz normalen Samstag kann in der Innenstadt ein Terroranschlag verübt werden oder ein Irrer ausrasten. Das ist zu keiner Zeit ausgeschlossen – und war es nie. Selbst wenn die Stadt zur Festung würde: Absolute Sicherheit gibt es nicht und wird es nie geben. Es wäre fatal, sich auf eine Scheinsicherheit zu verlassen und die Augen vor der Wirklichkeit zu verschließen.
Ein Fest-Verzicht wäre fatal
Genauso fatal wäre es, wenn Konstanz auf große Veranstaltungen verzichten und das gesellschaftliche, gesellige Leben in Räume – die übrigens auch Gefahren bergen – verlegen würde. Gibt es keine großen Veranstaltungen unter freiem Himmel mehr, verlernen die Menschen die sozialen Kompetenzen, sie entfremden und verschanzen sich in ihrem kleinen Dunstkreis oder es kommt zu ausufernden, entgleisenden Partys im öffentlichen Raum, wie während der Corona-Zeit. Das kann nicht gewollt sein.
Der grenzüberschreitende Flohmarkt, so wie er ist, ist für die Stadtgesellschaft genauso wichtig und bedeutend wie die Konstanzer Fasnacht. Beide Anlässe scheinen im ersten Moment grundverschieden, sind aber bei genauerer Betrachtung artverwandt. Sie schenken Freude und Zuversicht, die Gemeinschaft wird gepflegt, Freundschaften oder zumindest schöne Erinnerungen werden gestiftet und damit die Grundpfeiler einer gesunden Demokratie gelegt.
Sollte die Stadt diesen schönen Volksfest-Flohmarkt mit seinen verbindenden Momenten sterben lassen, hat sie die eigentlichen Probleme nicht gelöst. Die nächste Großveranstaltung kommt. Die Gefahrenlage wird sich vermutlich nicht ändern. Wir müssen mit dieser Unsicherheit und dem Risiko leben lernen müssen. Fest steht aber: Massive Straßensperren hin, Verbotszonen her – die Konstanzer werden sich sicher nicht ihre Feste und damit ihre Lebensfreude nehmen lassen, und das ist gut so.
*In einer ersten Fassung hatten wir geschrieben, es sei die Stadtverwaltung gewesen, die die Sicherheitsauflagen hochgesetzt habe. Das ist so nicht korrekt, deshalb haben wir den Text geändert.