Herr Burchardt, 2019 hat Konstanz den Klimanotstand ausgerufen. Sechs Jahre später weigert sich der Gemeinderat, die Parkgebühren zu erhöhen. Wie organisiert man einen politischen Prozess, der von Mehrheiten abhängig ist?

Indem wir immer wieder erklären, wie das zusammenhängt – also in diesem Beispiel Parkgebühren und Klimaschutz. Was ist der Sinn, wenn das Parken teurer wird? Die Autos aus der Stadt herauszubekommen und die Menschen zum Bus- und Radfahren zu bringen. Ich kann da als Bürger aus zwei Perspektiven draufschauen.

Ich kann mich darüber aufregen, dass Parken teurer wird, oder ich sehe die gewonnene Lebensqualität, weil wir anstatt Autoverkehr mehr Grünanlagen und ein besseres Stadtklima haben. Meiner Meinung nach haben wir im Moment aber eine Zeit, in der sich Menschen sowieso schon belastet fühlen. Und deshalb ist es aktuell ausgesprochen schwierig, unpopuläre Entscheidungen zu treffen.

Getroffen werden müssen sie aber trotzdem. Wie schaffe ich Mehrheiten für unpopuläre Entscheidungen?

Der Gemeinderat erfüllt ja die Funktion, die Stadtgesellschaft zu repräsentieren. Und da hat er meiner Erfahrung nach ein sehr feines Gespür dafür, ob die Bevölkerung etwas will und mitgeht oder nicht. Und deshalb sage ich meinen Leuten auch immer, dass unser Job ist, unsere Vorschläge der Menschheit zu erklären. Dann wird der Gemeinderat im Zweifel auch seinen Segen geben, wenn es zur Abstimmung kommt.

Wenn wir aber schon in der Vorlage und bei der Veröffentlichung merken, irgendwie laufen alle in verschiedene Richtungen und jeder sagt: „Was macht der Burchardt denn jetzt schon wieder?“, dann kann ich auch nicht erwarten, dass der Gemeinderat sagt: „Das habt ihr aber toll gemacht.“ Also müssen wir die Menschen überzeugen – und nicht nur den Gemeinderat.

Und wie überzeugt man Menschen davon, dass Klimaschutz wichtig ist?

Wir müssen auch akzeptieren, dass es viele gibt, die das gar nicht wollen, denen Klimaschutz egal ist. Die sagen: „Ich lebe hier, ich zahle meine Steuern, lasst mich in Ruhe. Interessiert mich nicht.“ Das ist legitim, und das muss man auch verstehen und akzeptieren. Ich finde, man muss sich davon verabschieden, es jedem erklären zu können. Aber wenn man das so lange macht wie ich – und viele im Gemeinderat –, dann kriegt man ein relativ solides Gespür.

Man merkt: Jetzt sind wir genau auf dem richtigen Weg. Oder man merkt auch mal: Jetzt sind wir genau auf dem falschen Weg. Das heißt, ich kann nicht davon ausgehen, dass alle dieses Ziel verfolgen und alle das richtig finden, sondern ich muss auch für diese Leute einen Weg suchen, der für sie am Ende passt.

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Aber auch wenn manchen Menschen Klimaschutz egal ist, braucht Konstanz zum Erreichen seiner Klimaziele die Dächer dieser Leute für PV-Anlagen. Wie bekomme ich die Leute dazu, nicht nur den Klimaschutz zu sehen, sondern andere Vorteile?

Ich verstehe nicht, wieso jemand sagt: „Ich nehme lieber meinen Strom aus der Steckdose, als dass ich ihn selbst produziere.“ Wer ein Haus besitzt, der kann in der Regel auch ein paar tausend Euro in so eine Anlage investieren. Natürlich ist es auch so, dass man bei Photovoltaik auf den Dächern immer noch tausend Dinge bedenken muss. Aber im Großen und Ganzen, glaube ich, haben wir jetzt den oberen Totpunkt überschritten. Also, das ist jetzt gelernt und in Bewegung. Wir hatten ja auch einen recht großen Zubau in den vergangenen Jahren.

Sie klingen ganz zufrieden damit, wie der Klimaschutz in Konstanz vorankommt.

Wir haben in den vergangenen sechs Jahren Dinge getan, die wir 2019 noch nicht für möglich gehalten hätten. Wir kennen die wesentlichen Meilensteine und haben eine Klimaschutzstrategie erarbeitet, die sehr konkret ist. Wir haben die Wärmeplanung fertig gemacht – und die ist, wenn man die CO2-Mengen anschaut, maßgeblich. Also, dass wir heute schon in der Umsetzung sind, die ersten richtig großen Seewasserthermie-Projekte zu bauen, hätte ich Anfang 2019 für unmöglich gehalten.

Seit drei Monaten recherchiert Denis Pscheidl für den Südkurier zum Thema Klimaschutz in Konstanz. Vom OB wollte er unter anderem ...
Seit drei Monaten recherchiert Denis Pscheidl für den Südkurier zum Thema Klimaschutz in Konstanz. Vom OB wollte er unter anderem wissen, wie politische Mehrheiten für Klimaschutzmaßnahmen gewonnen werden können. | Bild: Hanser, Oliver

Zum Beispiel bei den städtischen Gebäuden ist man aber weit hinter den Zielsetzungen zurück. Dort fehlt vor allem Geld. Woher soll das Geld kommen, um die weitere Umsetzung der Klimaschutzstrategie zu finanzieren?

Die Frage ist, ob diese Gebäude überhaupt alle komplett saniert werden müssen. Ich bin mir da auch nicht mit allen unserer Fachleute einig. Jetzt sitzen wir hier in dem Rathaus von 1598. Keine Ahnung, wie viele zig Millionen man braucht, um das hier denkmalgerecht auf diesem Qualitätslevel zu dämmen. Ich glaube, dass eine Antwort für solche Gebäude auch sein kann, zu sagen: „Völlig wurscht, wie viel Wärme da rausgeht – solange das klimaneutral erzeugte Wärme ist.“

Ich finde es wichtiger, den Blick auf die großen Hebel zu lenken, zum Beispiel, dass es uns gelingt, die Müllverbrennungsanlage Weinfelden, in der der Konstanzer Müll verbrannt wird, ans Paradies anzuschließen. Und diese Wärme abzunehmen und damit einen wesentlichen Teil der Stadt Konstanz klimaneutral zu beheizen. Dann brauche ich auch dieses Gebäude hier nicht kunstvoll dämmen, und dann geht halt die Wärme zu den alten Butzenscheiben raus.

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Gut, dass Sie das Wärmenetz für das Paradies und die Altstadt ansprechen. Sie haben nämlich noch nicht beantwortet, woher das Geld für die Klimaschutzmaßnahmen kommen soll. Und alle Wärmenetze der Stadtwerke sollen zusammen rund 550 Millionen Euro kosten.

Erst einmal muss klar sein, dass sich diese Investitionen rentieren müssen. Wir dürfen das nur tun, wenn wir damit Geld verdienen können. Aber auch wenn es sich rechnet, muss ich Jahrzehnte vorfinanzieren. Das können wir nicht allein. Für diese Investitionen brauchen wir Kapital und Bürgschaften. Da müssen wir gemeinsam mit großen Banken Lösungen finden, wie man privates Kapital in diese kommunalen Investitionen bekommt.

Vielleicht gelingt es uns auch, ein Bürgerfinanzierungsmodell hinzukriegen. Da habe ich aber im Moment noch relativ viel Respekt davor, weil da ist man dann schnell in der Bankenmarkt-Regulatorik. Wir müssen das Rad hoffentlich nicht allein erfinden, es geht den anderen rund 1000 Stadtwerken ja genauso.

Ein Mittel, um die Verkehrswende in Konstanz zu finanzieren, ist, die anfangs erwähnten Parkgebühren zu erhöhen. Wenn das Anwohnerparken in den kommenden zehn Jahren auf 600 Euro im Jahr erhöht wird, trifft es ja vor allem Menschen, die kein Eigenheim mit Garage oder Parkplatz besitzen – also tendenziell eher weniger wohlhabende Menschen. Wie mache ich Klimaschutz sozial verträglich?

Wenn wir das Anwohnerparken überhaupt reglementieren müssen, dann machen wir das deshalb, weil im öffentlichen Raum viel zu wenig Platz ist, um die Fahrzeuge abzustellen. Und zunächst müssen wir feststellen, dass die Fahrzeuge immer mehr werden. Also irgendwie können wir uns auch immer mehr Fahrzeuge leisten – und tun das auch. Das ist keine Geschichte von „Arm gegen Reich“.

Wenn man im Paradies leben will, dann weiß man, dass der Parkraum dort immer knapp sein wird. Wir werden das steuern müssen – und ich persönlich gehe davon aus, dass jemand, der ins Paradies zieht, eine andere Mobilität lebt als jemand, der in Dingelsdorf oder Dettingen wohnt.

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Also führt Klimaschutz gar nicht zu sozialen Spannungen?

Ich finde es persönlich wirklich schwer erträglich, dass es eine kleine Gruppe von Multimilliardären gibt, die mit riesigen Schiffen und Privatflugzeugen irgendwo auf der Welt unterwegs sind – und die dafür in keiner Weise angemessen bezahlt. Und deshalb ist meine Antwort auf das soziale Thema immer: Nein, ich glaube eigentlich nicht.

Sondern wir müssen Klimaschutzpolitik so machen, dass die Leute, die heute jeden Zehn-Euro-Schein zweimal umdrehen müssen, nicht zusätzlich belastet werden. Wir können das so gestalten, dass wir am Ende vielleicht einen höheren CO2-Preis haben – dann muss dieser aber auch in irgendeiner Form wieder bei den Menschen ankommen.