Jürgen Klöckler, Leiter des Konstanzer Stadtarchivs, hat aber fleißig im Archiv gestöbert und recherchiert. Es interessierte ihn, warum sich Litzelstetten freiwillig eingemeinden ließ, im Gegensatz zu vielen anderen Gemeinden, die massiven Widerstand geleistet hatten.

Allmannsdorf wurde 1915 und Wollmatingen 1934 zwangseingemeindet. „Wollmatingen war die reiche Braut wegen der großen Flächen; Allmannsdorf war die schöne Braut von der Lage her“, schildert Jürgen Klöckler. Litzelstetten war 1971 die dritte Gemeinde, die zu Konstanz kam. „Die arme Braut“, wie der Stadtarchivar feststellt. Er tauchte tief in die Geschichte ein. „In den späten Weimarer Jahren gab es Versuche, Litzelstetten nach Konstanz zu holen“, berichtet der Historiker. Lockangebote habe es gegeben. Wohlwissend um die schlechte Wasserversorgung im damaligen Bauerndorf – es gab nur Dorfbrunnen, so Klöcker – stellte Konstanz den Anschluss an das Seepumpwerk in Aussicht.
„Doch Litzelstetten wollte selbstständig bleiben. Der damalige Litzelstetter Bürgermeister Heinrich Gensle, der Litzelstetter Gemeinderat und große Teile der Bevölkerung war dagegen.“ Im Zuge der Blut- und Bodenpolitik der NS-Zeit schaukelte sich das Eingemeindungsthema unter dem damaligen Konstanzer Oberbürgermeister Albert Herrmann hoch bis ins Innenministerium nach Karlsruhe, doch „1936 war das Thema erst einmal vom Tisch“, so Klöckler, der fortfährt: „Die Folge: Die Litzelstetter mussten selber Geld in die Hand nehmen und sich die erste Wasserversorgung ergraben lassen.“
„Eine eingeschworene Gemeinschaft“
Mit diesem Plus an Infrastruktur wurde das Dorf plötzlich attraktiver. „Bereits vor dem ersten Weltkrieg kommen die ersten Professoren ins Dorf. Willy Andreas baute beispielsweise eine Ferien-Villa“, gibt Jürgen Klöckler ein Beispiel für den langsam einsetzenden Bauboom jener Zuzügler, die auf Komfort bedacht waren. Zunächst waren es erst noch wenige Auswärtige, die nach Litzelstetten kamen. Nach dem Zweiten Weltkrieg zählte, wie er anmerkt, das Dorf 400 bis 450 Einwohner. „Eine eingeschworene Gemeinschaft“, stellt der Stadtarchivar fest.
Höchst genussvoll kommt der Historiker dann auf den ersten Litzelstetter Bürgermeister nach dem Krieg zu sprechen: „Franz Moser, Landwirt – und Bauunternehmer.“ Ende der 1940er Jahre begann in Litzelstetten eine rege Bautätigkeit. Zum einen wurden Häuser in Einfachbauweise erstellt, um Vertriebene und Ostflüchtlinge unterzubringen, denn „jede Gemeinde hatte ein gewisses Kontingent unterzubringen.“ Dazu kam, dass „Wirtschafts- und Verwaltungs-Eliten nach Litzelstetten ziehen, welche die Gemeinde herzlich willkommen heißt.
Bis 1967 gab es keinen rechtsgültigen Bebauungsplan. Da muss ich ja nichts dazu sagen“, meint der Historiker. Auch die Uni-Gründung spielte eine entscheidende Rolle, „denn gut verdienende, gut ausgebildete, nicht unbedingt aus der Region stammende Menschen“ fanden in Litzelstetten den idealen Wohnort. Oder, wie Klöckler pointiert formuliert: „Viele Zugezogene, Neigschmeckte – sagen wir ‚Wohn- und Schlafbürger‘ – drängen nach Litzelstetten.“
Einheimische werden zur Minderheit
In nur 20 Jahren vervielfachte sich die Einwohnerschaft von etwa 500 Bürgern um 1950 auf knapp 3000 im Jahr 1971. Die katholischen Ur-Litzelstetter Kleinbauern wurden also in kurzer Zeit zur Minderheit. Mit den etwa 2500 Neubürgern „mit einer ganz anderen Mentalität“, die sich als „Macher, Schaffer und Städter“ wahrnahmen, wandelte sich auch die konfessionelle Struktur. Plötzlich gab es 40 Prozent Protestanten und 10 Prozent Konfessionslose, nebst nur noch 40 Prozent Katholiken. Im Zuge der Gebiets- und Kreisreform gab es auch in Konstanz Bestrebungen, die Bodanrückgemeinden an sich zu binden.

Horst Hofner, mittlerweile Bürgermeister von Litzelstetten, trachtete erst nicht nach der Eingemeindung; er fand die andere Version – die Bildung von Verwaltungsgemeinschaften, die mit den weiteren Bodanrückgemeinden möglich gewesen wäre – zunächst charmanter. „Diese Linie hat er zunächst propagiert, aber gleichwohl gab es da noch das Zuckerbrot, das Geld“, so Klöckler, denn das Innenministerium war bereit, für jene Orte, die sich freiwillig bis zum 31. Dezember 1971 eingemeinden lassen, „erhebliche finanzielle Mittel bereitzustellen.“. Vielleicht hat Hofner zu lange gezögert.
Jedenfalls „aufgrund des sogenannten Halskrause-Erlasses war es Ende 1970 verboten, dass sich kleine Gemeinden zusammenschließen“, berichtet Klöckler, der anmerkt, dass es dann nur noch eine Möglichkeit gab: Gute Konditionen auszuhandeln. Im Januar 1971 sprach Hofner dann beim Konstanzer Oberbürgermeister Bruno Helmle vor, sprich: „Erste Sondierungsgespräche ohne den Gemeinderat“, erzählt der Stadtarchivaer und fügt an: „Der Zeitdruck war da, wegen des Geldes. Aber wie würde sich der fast ausschließlich mit Einheimischen besetzten Litzelstetter Gemeinderat und die Bürgerschaft verhalten?“
„Der Gemeinderat war zuerst dagegen, stimmte aber in seiner Sitzung Ende Oktober 1971 dafür wegen des dringenden Ausbaus der Infrastruktur“, berichtet Jürgen Klöckler, schließlich stand die Gemeinde finanziell schlecht da. „Einen Ufersammler zum Beispiel hätte sich Litzelstetten gar nicht leisten können.“ Der Historiker kommt auch auf Bruno Helmles Vorabgeschenk zu sprechen, denn im Sommer 1971 wurde die Wasserversorgung auf dem Purren gebaut. „Und er hat den Anschluss an das städtische Busnetz in Aussicht gestellt.“ Und die Zugezogenen drängten quasi zur Eingemeindung. „Wir wollen eine städtische Verwaltung“ war eine zentrale Forderung der städtisch geprägten Neubürger.“
Ein Eklat kurz vor der Eingemeindung
Trotzdem kam es vorab noch zu einem kleinen Eklat. Pikant nämlich: Am 24. Oktober 1971 – also kurz vor der Eingemeindung – fanden Kommunalwahlen statt. Einige Litzelstetter erhoben Einspruch und fochten die Wahl an. Vom Verschwinden von Wahlzetteln und des schriftlich festgehaltenen Wahlergebnisses war die Rede. Der Wahlanfechtung wurde jedoch nicht stattgegeben. Was Jürgen Klöckler aber dennoch verwunderte, ist die geringe Wahlbeteiligung, die gerade einmal bei 57 Prozent lag. „Das ist sehr wenig bei einer solch existenziellen Gemeindefrage“, stellt er bezüglich der bevorstehenden Eingemeindung fest.
Am 1. Dezember 1971 wurde schließlich der Eingemeindungsvertrag unterzeichnet; kurz vor knapp, denn „sonst wären die finanziellen Mittel aus Stuttgart nicht geflossen“, merkt Klöckler an. Die Eingemeindung war nicht zum Schaden von Litzelstetten, denn der neue Stadtteil von Konstanz bekam die notwendige Infrastruktur. „Es ist richtig Geld geflossen. In Summe 8,75 Millionen D-Mark“, stellt der Stadtarchiver fest und erinnert an Hermine Preisendanz, die von 1972 bis 1986, Ortsvorsteherin von Litzelstetten war. „Sie hat 1974 festgestellt, dass Konstanz die Verpflichtungen eingehalten habe – außer dem Hallenneubau“, berichtet Jürgen Klöckler. Auch der folgte, aber eben ein klein wenig später.