Der Gegner kommt wie aus dem Nichts. Sein Name ist Laurenz Rubl, lebte zehn Jahre in Wien und hat dort gute Erfahrungen mit Chill-Oasen gemacht. Jetzt wohnt er in der Zogelmannstraße in Stadelhofen und will bei der Initiative der Stadtverwaltung mitmachen.
Der öffentliche Raum ist für alle da, so wird dort argumentiert, weshalb zwei Parkplätze für die Anwohner als frei gestaltbarer Treffpunkt zur Verfügung gestellt werden sollen. Ein Tisch, ein paar Stühle, vielleicht Blümchen, so dass man zum Beispiel eine Runde Skat spielen kann oder einfach nur plaudern. Laurenz Rubl weiß nicht, was daran schlecht sein soll.

Doch Stadelhofen will nicht chillen. 40 bis 50 Personen, überwiegend Anwohner der Zogelmannstraße, haben sich bei der auch als Kiffer-Bänkle titulierten Sitzgelegenheit an der Einmündung zur Hüetlinstraße versammelt und hören zu, was Jürgen Ruff als SPD-Fraktionssprecher im Gemeinderat zur Entscheidungsfindung in Sachen Chill-Oasen zu sagen hat. Sie stehen da mit verschränkten Armen, finsterer Mimik, der Blick vieler geht zu Boden oder ins Leere. Längst hat man genug diskutiert, und wer kennt die Verhältnisse besser als diejenigen, die hier leben?
Einer von ihren ist Rainer Henze. Der Mann ist Mitglied der SPD, hat maßgeblich zu der Aussprache unter freiem Himmel beigetragen und ist somit als Co-Moderator von Jürgen Ruff ein Glücksfall für die Genossen. Er stellt klar, dass das Problem weit über das Für und Wider der Chill-Oasen hinausgeht und seine Kritik beginnt bei der abgehobenen Tonlage des städtischen Info-Flyers über die Aktion.
Rainer Henze bringt sodann den Wegfall von 16 Parkplätzen durch die Erweiterung der Außengastronomie zur Sprache, wird in seiner Argumentation durch Zwischenbemerkungen von Veranstaltungsteilnehmern über die Probleme bei der Warenanlieferung sowie für Handwerker unterstützt, und dass neuerdings die Mülltonnen von der Straßenseite ins Hausinnere beziehungsweise in den Hinterhöfen verräumt werden müssen, passt für Rainer Henze ganz ins Bild einer „Stadtverwaltung im Krawallmodus“.
Mülltonnen schleppen trotz Rollator?
Als Zeugin für die Bürgerferne der Verwaltung gehen die Blicke zu Hannelore Böckler. Die Anwohnerin der Zogelmannstraße ist 79 Jahre alt, auf einen Rollator angewiesen und weiß nicht, wie sie ihre Mülltonnen über jeweils acht Treppenstufen (einmal hoch, einmal runter) bugsieren soll.

Dann wird‘s persönlich. Der Reaktion von Oberbürgermeister Uli Burchardt, wonach man mit den spezifischen Problemen in innerstädtischen Verdichtungsräumen nun einmal leben müsse, ermangelt es nach Meinung von Rainer Henze in ihrer schnoddrigen Art an Wertschätzung für die Anliegen der Anwohner.
Jürgen Ruff unternimmt unterdessen den Versuch einer Erklärung für die verfahrene Situation: In der Stadtverwaltung spreche man nach seiner Kenntnis nicht unbedingt miteinander, und so sei es vermutlich zum zeitnahen Abbau von Parkplätzen durch das Bürgeramt (in seiner Zuständigkeit für die Außengastronomie) und das Bauamt (verantwortlich für die Chill-Oasen) gekommen.
Unmut wegen Missachtung von Unterschriftenaktion
Ein Wunder, dass dies die Gemüter nicht beruhigt. Jetzt ist die Reihe an Christine Claussen, die von Schikane der Stadtverwaltung spricht – unter anderem wegen des Umgangs mit einer Unterschriftenaktion gegen die Chill-Oasen. Unterschrieben wurde sie auch von Anwohnern benachbarter Straßen, was im Rathaus nicht akzeptiert worden sei, weil es lediglich um die Zogelmannstraße gehe. Immerhin bekam Christine Claussen irgendwann eine Antwort vom OB, aber das hat sie wegen der abgehobenen Art „noch wütender gemacht“.
Und mittenrein in diese atmosphärisch aufgeladene Debatte also platzt der Österreicher. Zufällig kommt er vorbei, fragt nach der Ursache für die Ansammlung der Menschen und bricht wie geschildert spontan eine Lanze fürs Chillen. So ganz überzeugt freilich ist auch er nicht vom Konzept der Stadtverwaltung. Dass zum Beispiel nur 50 Prozent der Kosten bei der Oasen-Ausstattung übernommen werden, sei anders als in Wien – und er werde ganz bestimmt nicht privat einen Tausender für die Sache locker machen.
Skepsis regt sich bei ihm im Verlauf der Debatte außerdem wegen der von der Stadt auferlegten Haftungsverpflichtungen und der ungeklärten Toiletten-Frage. Zwar sind die Chill-Oasen nur für Anwohner gedacht, aber wenn Laurenz Rubl alleine auf dem umgewidmeten Parkplatz hockt, dann will auch er lieber woanders abhängen. Am See beispielsweise wäre die Chance dazu, die Luftlinie dorthin beträgt etwa 300 Meter.
„Wenn jetzt die Ampel noch Haschisch frei gibt...“
Nicht nur deswegen ist Konstanz nicht Wien oder München – Orte, die vom Rathaus als Referenzstädte für die Chill-Oasen in die Diskussion eingebracht werden. In den Metropolen herrsche eine ganz andere Weitläufigkeit, sagt Elke Ziegler, das sei „nicht so ein enges Ding wie hier“. Sie weist auf die Schalleffekte in der Zogelmannstraße hin, und im Laufe der Nacht würden die Gespräche erfahrungsgemäß nicht besser und leiser.
Viele Schlafzimmer befänden sich außerdem zur Straße hin, der Lärm sei schon jetzt sehr belastend. „Wenn die Ampel noch das Haschisch frei gibt...“, führt sie aus und muss den Satz wegen künftigen Folgen für die anderen schlafbedürftigen Anwohner nicht beenden. Man schmunzelt, aber der Humor hat einen bitteren Beigeschmack angesichts all der Dinge, die „man schon bisher von der Straße und den Hauswänden abgekratzt“ habe.

Dann löst sich die immer wieder vom Parksuchverkehr heimgesuchte Versammlung allmählich auf, doch den SPD-Vertretern wird noch ein ganz besonderer Anschauungsunterricht in Sachen politischer Entscheidungsfindung geboten. Vorbei geht‘s zunächst an schrottigen Fahrrädern, die laut Anwohner Lewis Kopp weniger Ausdruck der Mobilitätswende in Konstanz sind, sondern einfach „nur mit der Vegetation verschmelzen“.
Dann dürfen die Stadträte einen Blick in die Hinterhöfe der Zogelmannstraße werfen. Sie sind alles andere als trist: Kleine Paradiese tun sich auf, gepflegte Gärten mit Vogelgesang, Inseln der Ruhe und Treffpunkt der Nachbarn. Hier sitzt man gern und pfeift auf Chill-Oasen im lärmigen Gewese der Straße und der Gefahr von Nebenwirkungen einer schwer kontrollierbaren Freizeitszene.