In fast 100 Jahren ist es – man möchte fast sagen: erst – das 14. Fährschiff, das für die Linie Konstanz-Meersburg gebaut wurde: Jetzt ist die ‚Richmond‘ fertig und getauft. Bis die Passagiere sie selbst erleben und betrachten können, laden wir hier zu einem kleinen kommentierten Rundgang in Bildern ein. Begleiten Sie uns auch an Orte, die man sonst als Fahrgast nicht zu sehen bekommt!
Und wer sich nochmals erinnern will, wie das mit dem Schiffsbau so lief:
- Hier geht es zum SÜDKUIRER-Bericht vom Baubeginn im September 2018 auf der Pella-Sietas-Wert in Hamburg.
- Hier lesen Sie, wie es zu Schwierigkeiten beim Bau kam und wie klar wurde, dass der Zeitplan keinesfalls noch zu halten ist.
- Und in diesem Bericht können Sie lesen und sehen, wo das Projekt noch im September 2022 stand und wie aus einem Rohbau ein fertiges Schiff wurde.
Die „Richmond“ ist 82,5 Meter lang und 13,4 Meter breit. Damit hat sie die Dimensionen des aktuellen Stadtwerke-Flaggschiffs, der „Lodi“. Der Größenunterschied zur nebenan festgemachten „Kreuzlingen“ ist schon beachtlich. Noch deutlicher wird es aber im Vergleich zur „Konstanz“ (ex „Meersburg“), die ganz vorne an der Mole liegt. Sie war 1928 das erste Schiff für die Verbindung und konnte gerade einmal 15 Autos mitnehmen. Die „Richmond“ hat auf vier Spuren Platz für 64 Fahrzeuge.
So sieht sie aus der Nähe aus: Die „Richmond“. Das Bogen-Design erinnert an eine Brücke. Immerhin wirbt die Fähre für sich ja auch als „Schwimmende Brücke über den Bodensee“. Für ein reines Nutz-Wasserfahrzeug ist das Design ganz schön aufwendig. Der Streifen in der Stadtwerke-Hausfarbe Rot zeigt auch an anderen Schiffen, zu welchem Betrieb sie gehören.
Vom Fahrzeugdeck führt eine Treppe in den Passagierbereich. Wer will, kann auch im Auto sitzen bleiben (daran erkennt man bekanntlich die abgebrühten Fähre-Pendler), aber den Ausblick über den See lassen sich die meisten Fahrgäste nicht entgehen. Wer darauf angewiesen ist, kann auch einen Lift nach oben benutzen.
Zuerst geht es zum wohl wichtigsten Ort auf dem Schiff: Die beiden Steuerhäuser sind rundum verglast, man kann dem Schiffsführer bei der Arbeit zusehen. Übrigens heißt er nicht Kapitän, denn die gibt es nur auf hoher See und nicht auf Binnengewässern. So oder so, hat er sicher einen der schönsten Arbeitsplätze, die man sich vorstellen kann. Dafür ist Schicht-, Wochenend- und Feiertagsarbeit angesagt: Die Fähre verkehrt an 365 Tagen quasi rund um die Uhr.
Die kleinen Passagiere können am Steuerrad schon mal ausprobieren, ob das auch für sie eine interessante berufliche Perspektive wäre, wenngleich natürlich im Steuerhaus die Elektronik vorherrscht und nicht die Schiffsromantik mit so einem Teil, das aussieht wie in „Fluch der Karibik“.
Wem es eher nach leiblichen Genüssen zumute ist: Die neue Fähre hat ein schickes Bistro. Der neue Betreiber firmiert unter Team Backbord und verspricht regelmäßige Öffnungszeiten. Unter dem bisherigen Pächter blieb den Fahrgästen oftmals die ersehnte Tasse Kaffee versagt. Bei der Schiffstaufe nahmen die ersten Gäste schon mal Platz.
Gegenüber, stets in Richtung Meersburg weisend, befindet sich der Fahrgastraum. Dort können alle Passagiere Platz nehmen, die nichts konsumieren wollen. An den Tischen können sie ihr Vesper verzehren oder auch ein paar schnelle Arbeiten am Laptop erledigen – was man in den 15 Minuten Überfahrtszeit halt so schafft. Die neuen Polster verströmen einen angenehmen Ledergeruch.
Wer das lieber will, kann auch draußen sitzen – je nach Sonnenstand und Wind bieten sich alle vier Seiten der Fähre an. Hinten zieht es natürlich weniger. Und, ganz außergewöhnlich für ein öffentliches Verkehrsmittel im Jahr 2023: Es gibt sogar einen kleinen Raucherbereich. Wer sich daran stört, findet woanders an Deck genügend frische Luft.
Verpönt sind Rauchen und offenes Licht natürlich auf dem Fahrbahndeck und strengstens verboten ist das alles in den Bereichen unter Deck. Kein Wunder, hier lagert so viel eiskaltes Flüssiggas in Thermo-Tanks, dass die Fähre eine ganze Woche damit hin- und herfahren kann. Die potenziell explosive Substanz erfordert einen anderen Umgang als der sonst übliche Treibstoff Diesel. Hinter dieser Tür befinden sich die Gasbehälter.
An der Oberfläche des verflüssigten Methans geht dies in die Gasphase über und kann direkt aufgefangen werden. Im gasförmigen Zustand wird es zu den Motoren transportiert – in Leitungen, die immer doppelwandig sind, damit im Fall eines Lecks kein Methan in die Umgebungsluft gelangt. Die Motoren von MTU Friedrichshafen, einem Unternehmen von Rolls Royce Power Systems, sind ziemliche High-Tech-Geräte und wurden extra für diesen Zweck angepasst.
Auffällig sind die Zündkerzen, die man hier an einer der beiden Zylinderreihen sieht. Die braucht es, weil der Motor, anders als die auf Diesel basierende Ursprungskonstruktion, kein Selbstzünder ist. Eigentlich ist dieser Achtzylinder mit rund 1000 PS eher mit dem Ottomotor eines Benziner-Autos zu vergleichen. An beiden Enden des Schiffs ist jeweils ein Motor.
Von der Welle des Motors geht es über ein hydraulisches Wandlergetriebe (im Bild unten ganz links) auf die Gelenkwelle. Das Wandlergetriebe ist wichtig, sonst könnte das Schiff gar nicht aus dem Stillstand anfahren, weil das den Motor gewissermaßen abwürgen würde. Dieser Anblick ist übrigens einmalig: Später wird die Antriebswelle noch mit einer Abdeckung versehen.
Am Ende des Antriebsstrangs ist der auf dem Bodensee übliche Voith-Schneider-Wendepropeller. Das ist ein kleines (oder eigentlich besser: ziemlich großes) Technikwunder, das dem Schiff ausgezeichnete Manövrierfähigkeit verleiht. In dem blauen Gehäuse ist die Ansteuerung für fünf senkrechte Blätter, die in ihrer Richtung verstellt werden können. Das geschieht über das auffällig gelbe Gestänge.
Freundlicherweise hatten die Stadtwerke am Tag der Fähretaufe einen ausgebauten Voith-Schneider-Wendepropeller an Land ausgestellt. Hier kann man sehen, wie es normalerweise unter Wasser aussieht. Alle Fährschiffe der Linie Konstanz-Meersburg nutzen diese aufwendige Technik (in diesem Wikipedia-Artikel gibt es eine gute Visualisierung, wie es genau funktioniert). Übrigens werden beide Propeller betrieben, egal in welche Richtung das Schiff fährt. Laut Cheftechniker Christoph Witte werden zwei Drittel der Kraft vom vorderen und ein Drittel vom hinteren Propeller erzeugt.
Unter Deck ist ziemlich viel Elektrotechnik untergebracht. Nicht nur die elektronische Steuerung braucht Strom. Das Schiff muss ja auch navigiert und beleuchtet werden, für die Fahrgäste und die Schiffsführer gibt es eine Klimaanlage, und im Bistro muss ja auch die Kaffeemaschine funktionieren. Im Winter kann zum Heizen die Abwärme der Motoren verwendet werden. Es gibt also viel zu schalten, steuern und regeln.
Die Stadtwerke bauen etwa alle sieben Jahre ein Schiff, und bei einer Flotte mit sechs Fähren bedeutet das eine Lebensdauer von 40 bis 50 Jahren. Da müssen sich irgendwann auch Techniker zurechtfinden, die am Bau und an der Inbetriebnahme des Schiffs gar nicht beteiligt waren. Umso wichtiger ist eine ordentliche, nachvollziehbare Verkabelung.
Auch die Ankerwinde wird elektrisch angetrieben. Die Ankerkette ist 100 Meter lang, und wird neben dem Antrieb liegend gelagert. Eine Trommel für so eine lange Kette wäre riesig! Inmitten des Sees kann die „Richmond“ nicht ankern, dafür ist er zwischen Meersburg und Konstanz-Staad zu tief.
Für eine letzte Station bleiben wir unter Deck und gehen dorthin, wo auch normale Passagiere Zutritt haben. Im Eingangsbereich zu den Toiletten gibt es eine schöne Bilder-Collage mit Fotos aus des Konstanzer Partnerstadt Richmond-upon-Thames, einem Londoner Stadtbezirk mit etwa 200.000 Einwohnern. Wer Abwechslung vom Bodensee sucht, kann sich ja mal ans Ufer der Themse begeben.
Gut möglich, dass man in Richmond netten Menschen begegnet, die sogar den Namen Konstanz schon einmal gehört haben. Andersherum dürfte Richmond hier am Bodensee bald in aller Munde sein. Und an Bord der Fähre erinnert noch ein besonderes Geschenk an die deutsch-britische Freundschaft: Gareth Roberts, der Vorsitzende des Richmonder Bezirks-Gemeinderats, hat als Taufgeschenk die wunderschöne Bordglocke überreicht.
Was die „Richmond“ schon leistet und was noch Zukunftsmusik ist
Hoffen wir, dass diese Glocke niemals ein Notsignal geben muss und die „Richmond“ eine gute und möglichst umweltfreundliche Fahrt haben wird. Nach all den Querelen beim Bau ist es doch ein Grund zur Freude, dass sie jetzt stolz im Staader Hafen liegt und bald Menschen, Autos, Fahrräder, Lastwagen und Busse über den See bringt.