Es ist ein verregneter, schmuddeliger Mittwochabend, an dem niemand gern auf die Straße geht. Trotzdem füllt sich an diesem Mittwoch, 24. Januar, kurz vor Demobeginn um 18 Uhr der Herose-Park innerhalb weniger Minuten. Schließlich wird der Protestzug der Demo gegen rechts am Ende dieses Abends als die größte Demonstration in die jüngere Geschichte der Stadt eingehen.

Warum gelingt es in der 86.000-Einwohner-Stadt, beinahe ein Sechstel der Bevölkerung zu mobilisieren? Und warum nehmen in Singen nur etwa 4000 Personen und in Radolfzell knapp über 1000 teil? Und werden die Proteste weitergehen? Wir haben mit einer der Veranstalterinnen in Konstanz und einem Protestforscher gesprochen, um die Hintergründe der Mobilisierung zu verstehen. Hierzu gibt es einige Thesen:

  • Die Größe des Ortes spielt eine Rolle: In größeren Orten sei es wahrscheinlicher, dass mehr Menschen zu einer Demonstration gingen, „vor allem jüngere Menschen“, sagt Sebastian Koos, der an der Universität Konstanz zu sozialen Bewegungen forscht. Konstanz sei also in der Region im Vorteil, allein, weil es eine Studentenstadt ist. „Dort gibt es eine Vielzahl an jungen, gut organisierten, politisch engagierten Menschen“, sagt Koos. Noch ein weiterer Faktor spielt eine Rolle: In kleineren, ländlich geprägten Orten sei die soziale Kontrolle größer, und damit auch die Hürde höher, sich einer sozialen Bewegung anzuschließen.
Knapp 15.000 Bürger gingen am 24. Januar bei einer Großdemonstration gegen Rechts auf die Straße.
Knapp 15.000 Bürger gingen am 24. Januar bei einer Großdemonstration gegen Rechts auf die Straße. | Bild: Timm Lechler
  • Jede Demonstration muss organisiert sein: Die Form der Mobilisierung ist ein weiterer entscheidender Faktor. „Je mehr Organisationen eine Protestveranstaltung mittragen, desto mehr Menschen werden mobilisiert“, erläutert Soziologe Sebastian Koos. Das bestätigt Hauptorganisatorin Lisa Kreitmeier. Die Konstanzer Demonstration gegen rechts wurde von mehr als 40 Organisationen, die als Mitveranstalter auftraten, getragen. Darunter nicht nur politische Parteien und Gruppierungen, sondern auch Narren- und Sportvereine. „Einige Gruppen, die wir nicht auf dem Schirm hatten, kamen sogar auf uns zu und wollten als Veranstalter mit eingetragen werden“, berichtet Kreitmeier. So sei es vermutlich dazu gekommen, dass auch Personen teilnahmen, die zuvor noch nie auf einer Demonstration gewesen waren.
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  • Die persönliche Ansprache ist entscheidend: Der Mobilisierung kommt natürlich zugute, wenn jede teilnehmende Organisation ihren Mailverteiler nutzt, um ihre Mitglieder zu erreichen. Noch viel entscheidender aber sei die persönliche Ansprache, sagt Sebastian Koos. „Dass man von Bekannten auf die eigene Teilnahme angesprochen wird, schafft eine Erwartungshaltung.“ An der Universität sei sehr viel über die Demonstration gesprochen worden. Lisa Kreitmeier bestätigt das: „Ich wurde sehr oft auf die bevorstehende Demo angesprochen, auch von Menschen, von denen ich es gar nicht erwartete.“
  • Welche Teile der Gesellschaft demonstrierten: Die Basis der meisten politischen Protestzüge seien zwar junge Menschen, wie Koos erläutert. Man spreche dabei wissenschaftlich von einer „biografischen Verfügbarkeit“, sprich, Studierende haben mehr Zeit und nehmen sich Zeit für politische Aktivität. So sei auch die Teilnehmerschaft der Demo gegen rechts „sehr jung, sehr weiblich“ gewesen. Einen großen Teil der Demonstranten könne man dem Spektrum der Grünen-Wähler zuordnen. Darüber hinaus war jedoch auch ersichtlich, dass Menschen aus allen Schichten und Teilen der Gesellschaft teilnahmen. „Es waren viele Familien mit Kindern unterwegs, welche die Demonstration auch als eine Art Schule der Demokratie nutzten“, sagt Koos. Damit habe die Veranstaltung eine Zivilgesellschaft im besten Sinne gezeigt, die versuche, Werte und Normen zu vermitteln.
„Es waren bei der Konstanzer Demo viele Familien mit Kindern unterwegs, die das Ereignis auch als eine Art Schule der Demokratie ...
„Es waren bei der Konstanzer Demo viele Familien mit Kindern unterwegs, die das Ereignis auch als eine Art Schule der Demokratie nutzten“, sagt Sebastian Koos, der über soziale Bewegungen forscht. | Bild: Uni Konstanz
  • Wie weit trägt das Mobilisierungspotenzial in die Zukunft? Der Soziologe Sebastian Koos ist überzeugt, dass die Demos gegen rechts, die jetzt in der gesamten Bundesrepublik stattfanden, sich nicht unbedingt in einem festen Rhythmus etablieren werden. „Ich könnte mir aber gut vorstellen, dass wir bei diesem Thema noch Mobilisierung sehen werden“, sagt er. „Die Signalwirkung der massiven Proteste in Deutschland war schon sehr groß.“ Wahrscheinlich sei, dass sich solche Demonstrationen gegen rechts dann wiederholten, wenn wieder etwas geschehe – vergleichbar mit dem Geheimtreffen von rechtsorientierten Kräften, das dieses Mal die Empörung auslöste. Die Signalwirkung richte sich zum einen an Menschen, die sich überlegten, die AfD zu wählen. „Zweitens an die AfD selbst, die nun sieht: Hier ist Widerstand zu erwarten, der aus der Bevölkerung stammt. Das erleichtert auch manches Politische.“
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